Laut Finanzminister Hunt wird die britische Wirtschaft wird im kommenden Jahr um 1,4 Prozent schrumpfen.

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London – Großbritannien steckt nach Angaben von Finanzminister Jeremy Hunt in einer Rezession. Zuvor verkündete das auch die Bank of England. Die Wirtschaft werde im kommenden Jahr um 1,4 Prozent schrumpfen, sagte Hunt am Donnerstag im Unterhaus in London. Er berief sich auf eine noch unveröffentlichte Schätzung der Aufsichtsbehörde Office for Budget Responsibility (OBR). Demnach steigt auch die Arbeitslosigkeit von derzeit 3,6 Prozent deutlich auf 4,9 Prozent im Jahr 2024. Nach Prognosen der britischen Zentralbank könnte die Rezession bis zu zwei Jahre dauern.

Die schmerzlichen Einschnitte seien zwingend erforderlich, um nach den jüngsten Turbulenzen für Finanzstabilität zu sorgen. Hunt nannte für die künftige Wirtschaftspolitik der Regierung drei Prioritäten: "Stabilität, Wachstum und öffentliche Dienste".

Pfund gab gegenüber Dollar nach

Ganz oben stehe die Stabilität und damit die Bekämpfung der Inflation, "welche die Ärmsten am meisten trifft", sagte Hunt. Er verwies auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie die "durch Russland ausgelöste Energiekrise" als wesentliche Faktoren für die derzeitige Schwäche der britischen Wirtschaft. Nach der Ankündigung gab das Pfund gegenüber dem Dollar zunächst um ein Prozent nach.

Zur Stabilisierung des Etats kündigte Hunt im Parlament Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen im Umfang von 55 Milliarden Pfund an (aktuell 62,87 Milliarden Euro). Damit werde die Wirtschaft wieder zulegen, versprach Hunt. Das OBR schätze das Wachstum auf 1,3 Prozent im Jahr 2024, 2,6 Prozent 2025 und 2,7 Prozent 2026. Zudem würden die Maßnahmen die hohe Inflation, derzeit bei 11,1 Prozent, drücken. Die Preissteigerungsrate ist zurzeit im Land so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Heuer würden die Verbraucherpreise um 9,1 Prozent zulegen, sagte Hunt unter Berufung auf die OBR-Schätzung. Für 2023 sagen die Experten eine Inflation von 7,1 Prozent voraus.

Spitzensteuersatz niedriger

"Das ist ein Plan der ausgewogenen Stabilität", sagte Hunt vor den Abgeordneten. "Ich habe versucht, gerecht zu handeln, indem von denen, die mehr besitzen, auch ein höherer Beitrag verlangt wird." Zudem wird er die Höhe des Steuerfreibetrags um weitere zwei Jahre bis 2028 einfrieren. Das bedeutet, dass Millionen Menschen wegen der steigenden Inflation und höherer Löhne in höhere Steuerklassen rutschen werden. Zudem soll die Schwelle für den Spitzensteuersatz, der bei 45 Prozent liegt, gesenkt werden und künftig bereits für Jahreseinkommen von 125.140 Pfund (143.260 Euro) statt bisher 150.000 Pfund gelten.

Beim "Herbst-Statement", wie die Budgetrede genannt wird, ging es für Hunt um nicht weniger als die Rettung der heimischen Wirtschaft. Der Druck war durch die grassierende Inflation und hohe Energiekosten entsprechend hoch.

Budgetloch von 40 Milliarden

So gut wie alle Britinnen und Briten werden deutliche Reallohnverluste hinnehmen müssen. Immer wieder hat die Regierung betont, dass Lohnerhöhungen im Einklang mit der Inflation die Inflation nur noch weiter antreiben würden.

"Wir werden uns dem Sturm stellen", sagte Hunt. Er sprach von schwierigen Entscheidungen, die aber für Stabilität sorgen, die Inflation senken und den Staatshaushalt ausgleichen sollen. Dazu gehört auch, die öffentlichen Ausgaben in einigen Bereichen deutlich zu senken. Zur Finanzierung wird die Übergewinnsteuer für Energiekonzerne von 25 auf 35 Prozent erhöht. Zudem solle es eine neue Steuer in der Höhe von 45 Prozent für Stromproduzenten geben. Diese solle "vorübergehend" eingeführt werden. Der Finanzminister kündigte aber auch höhere Ausgaben etwa für den maroden Gesundheitsdienst NHS sowie Schulen an.

Klar ist: Hunt sucht viel Geld. Das Budgetloch beträgt rund 40 Milliarden Pfund (45,9 Milliarden Euro), nötig sind aber wohl noch einige Milliarden mehr, um angesichts der Inflation einen Puffer zu haben.

Truss' desaströse Finanzpolitik

Wegen der desaströsen Finanzpolitik von Kurzzeitpremierministerin Liz Truss müssen Hunt und Regierungschef Rishi Sunak aber nun auch noch die Märkte beruhigen. "Meine absolute Priorität ist, dafür zu sorgen, dass wir mit der wirtschaftlichen Situation, mit der wir zu Hause konfrontiert sind, fertigwerden", kündigte Sunak im Vorfeld der Budgetrede an.

Die finanzpolitischen Vorhaben von Sunaks Vorgängerin Truss hatten an den Finanzmärkten heftige Turbulenzen ausgelöst. Truss wollte radikal Steuern senken und diese erwarteten Kosten in der Höhe von mehreren Dutzend Milliarden Pfund nur mit neuen Schulden gegenfinanzieren. Damit räumte Hunt schnell auf. Das Land sitzt auf einem Schuldenberg von 2,45 Billionen Pfund. Hunt will mit seinem Sanierungskurs dafür sorgen, dass verloren gegangenes Vertrauen der Anleger zurückkehrt und die Finanzierungskosten des Staates damit im Zaum gehalten werden. Doch das Vertrauen der Wirtschaft ist noch immer gering.

Die Zustimmung seiner Fraktion wird die Gretchenfrage für Hunt, zumal viele Konservative strikte Gegner höherer Steuern sind und die Steuerlast ohnehin schon jetzt so groß ist wie nie seit 70 Jahren.

Entlastungen und bei Energiekosten

Zugleich ist die Regierung gefordert, den Bürgern in Zeiten stark steigender Energiekosten weiter Entlastung zu verschaffen. Laut dem Statistikamt ONS wäre die Inflation im Oktober sogar auf 13,8 Prozent geklettert, wenn die Regierung die Energiekosten der Haushalte nicht gedeckelt hätte. Diese staatlich verordnete Obergrenze für die Energierechnungen der Haushalte auf durchschnittlich 2.500 Pfund pro Jahr läuft im April aus.

Hunt kündigte nun an, die Deckelung danach um zwölf Monate zu verlängern und zugleich um 500 Pfund aufzustocken. Zudem erklärte Hunt, dem Vorschlag der Niedriglohnkommission zu folgen und den Mindestlohn ab April um 9,7 Prozent auf 10,42 Pfund (11,91 Euro) anzuheben. Kritik kam umgehend von Gewerkschaftsseite: Gary Smith, Generalsekretär der Gewerkschaft GMB, erwartet, dass den Arbeitern trotz der Erhöhung preisbereinigt weniger bleibt: "Die Konservativen haben die Wirtschaft an die Wand gefahren, und jetzt sollen die Arbeiter die Rechnung begleichen." (APA, red, 17.11.2022)