Mit seinem Sitz in Luxemburg ist der Europäische Gerichtshof das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union.

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Luxemburg – Dass ein minderjähriger Flüchtling bereits verheiratet ist, schließt die Familienzusammenführung mit den Eltern in der Europäischen Union nicht aus. Das EU-Recht schreibe nicht vor, dass der Flüchtling unverheiratet sein müsse, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag. Es ging um eine Palästinenserin aus dem Libanon, die für sich und ihre Söhne ein Visum für Belgien beantragt hatte, wo ihre Tochter lebt.

Die Tochter heiratete bereits mit 15 Jahren im Libanon und reiste dann ihrem Ehemann nach Belgien hinterher, der dort eine gültige Aufenthaltserlaubnis hat. Die Ehe der Minderjährigen wurde in Belgien nicht anerkannt, das Mädchen selbst aber als unbegleiteter Flüchtling. In Belgien dürfen zwei Menschen erst im Alter von 18 Jahren gültig heiraten.

Belgisches Gericht entscheidet konkreten Fall

Ein Visum für die Mutter stellte das Land nicht aus. Nach der Heirat gehöre die Tochter nicht mehr der Kernfamilie der Eltern an, hieß es zur Begründung. Dagegen klagte die Mutter in Belgien. Das belgische Gericht stellte dem EuGH die Frage, ob ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling unverheiratet sein müsse, damit ein Recht auf Familienzusammenführung entstehe.

Diese Frage verneinte der EuGH nun. Ein bereits verheirateter Flüchtling könne sonst den besonderen Schutz für unbegleitete Minderjährige nicht in Anspruch nehmen, erklärte er. Minderjährige seien nicht weniger schutzbedürftig, wenn sie verheiratet seien. Vor allem bei Mädchen könne eine bestehende Ehe darauf hinweisen, dass sie "schweren Formen von Gewalt wie Kinderehen oder Zwangsehen" ausgesetzt seien. Im konkreten Fall muss nun das belgische Gericht entscheiden. Es ist dabei an die Rechtsauffassung des EuGH gebunden. (APA, 17.11.2022)