Auf der COP 27 im ägyptischen Sharm el-Sheikh wird gegen fossile Energieträger demonstriert.
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In etwa einhundert Kilometer Luftlinie Entfernung von Sharm el-Sheikh, wo derzeit noch die Klimakonferenz COP 27 stattfindet, befindet sich eine Ortschaft namens Ras Shukeir. Zur Siedlung am Suezkanal gehört nicht nur ein übersichtlicher Flughafen, sondern auch eine Anlage der Firma Gupco – kurz für Gulf of Suez Petroleum Company. Zum Gelände des Ölterminals haben nur Angestellte Zugang, doch betrachtet man die Küste auf Google Maps von oben, kann man gelblich-grüne Schlieren im Meer erkennen. Dabei dürfte es sich um ausgeleitete Bohrabwässer handeln, wie "BBC News Arabic" und "The Telegraph" berichten.

Die grünen Schlieren an der Küste neben dem Gupco-Ölterminal deuten Fachleuten zufolge nicht auf Algen, sondern womöglich auf eingeleitete Abwässer hin.

Beim Bohren nach Erdöl und Erdgas entstehen Abwässer, die üblicherweise behandelt werden, um die Umgebung nicht mit darin enthaltenem Öl, Fett und Giftstoffen zu kontaminieren. Dass dies in Ras Shukeir wohl nicht geschehen ist, darauf weist die investigative Untersuchung der journalistischen Non-Profit-Gruppe Source Material hin. Geleakte Dokumente, die auch der BBC vorliegen, zeigen demnach, dass dieses Produktionswasser täglich in rauen Mengen ins Rote Meer geleitet wird.

Die Rede ist dabei von 40 Millionen Litern pro Tag. Das würde umgerechnet etwa 16 olympischen Schwimmbecken füllen, in denen freilich niemand schwimmen wollen würde. Im Meer verdünnt sich das Abwasser und entspricht nicht einer Belastung wie durch dieselbe Menge an Erdöl, die freigesetzt werden würde. Fachleute sind dennoch alarmiert. Der Ökologe Greg Asner von der Arizona State University in den USA sagte: "Man muss kein Experte sein, um zu wissen, dass hier etwas nicht stimmt."

Analyse von Satellitenbildern

Satellitenbilder zeigen, dass die grünlichen Abwässer sich sichtlich über eine Distanz von bis zu 20 Kilometern ausbreitet. Familien der Gupco-Angestellten nutzen den neun Kilometer entfernten Strand zur Erholung. "Ich würde mein Kind nicht in dieses Wasser stecken", sagt Ökotoxikologin Gera Troisi von der staatlichen Brunel University London. "Das ist giftig." Belastet ist das Produktionswasser den Dokumenten zufolge mit Schwermetallen wie Blei, Kupfer, Nickel und Kadmium.

Außerdem analysierte die Firma Soar Earth die Wasserqualität mithilfe von Satellitenbildern. So wurde deutlich, dass es sich um keine Algenblüte handeln könne, sondern um Sedimente oder eine lokal freigesetzte Flüssigkeit. Die ältesten Satellitenbilder, die die BBC von diesem Ort fand, zeigen, dass schon 1985 ähnliche grüne Schlieren sichtbar waren. Schon seit Jahrzehnten könne also Produktionswasser ungesäubert ins Rote Meer geleitet worden sein, schreibt der palästinensische Journalist Ziad Al-Qattan in einem zusammenfassenden Artikel.

Im Jahr 2019 versuchte das Erdölunternehmen, eine Firma mit der Behandlung des Wassers zu beauftragen. Damals war klar, dass der Verschmutzungsgrad die Schwellenwerte der Umweltschutzrichtlinien Ägyptens überschreitet, der Regierung war die Lage mindestens seit diesem Zeitpunkt bekannt.

"Habt ein Herz und tut etwas", fordert die 10-jährige ghanaische Klimaaktivistin Nakeeyat Dramani auf der COP27 bei einer Rede vor Delegierten und dem COP-Vorsitz im ägyptischen Sharm el Sheikh
DER STANDARD

Hoffnung auf Schutzgebiet

Der staatlichen Egyptian General Petroleum Corporation gehört die Hälfte des Unternehmens Gupco. Die andere Hälfte besaß vormals der Mineralölkonzern BP, verkaufte sie aber an Dragon Oil aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Es ist wenig überraschend, dass BP und andere ihre schmutzigsten und umweltschädlichsten Anlagen lieber weiterverkaufen, als sie selbst sauber zu machen", kommentierte die britische Grünenpolitikerin Caroline Lucas den Fall. BP betonte, dass die Anteile an Gupco aus finanziellen Gründen verkauft wurden und nicht, um eigene Klimaziele erfüllen zu können. Zu den Abwässern äußerten sich weder BP, noch Gupco oder das ägyptische Umweltministerium.

Der Toxikologin Troisi zufolge können Bestandteile des Produktionswassers sich im Meer mit Sauerstoff verbinden und selbst widerstandsfähige Lebewesen ersticken. Gleichzeitig schirmen die gelösten Feststoffe Sonnenlicht ab. Forderungen von ägyptischen und internationalen Forschenden zufolge sollte auch das Meeresgebiet, zu dem die Küste von Ras Shukeir gehört, zu einem Schutzgebiet gehören. Während NGOs auf der COP 27 damit rechnen, dass das ägyptische Umweltministerium eine Erweiterung des Schutzgebiets ankündigt, wurde dies bisher noch nicht kommuniziert.

Resiliente Korallen

Dies würde den Ökosystemen im Roten Meer zugutekommen, die ohnehin noch genauer erforscht werden müssen. Dort leben beispielsweise Korallen, die bisher überraschend gut mit hohen Wassertemperaturen zurechtkommen, die für viele andere Spezies Korallenbleiche und ein Absterben bedeuten. Korallenriffe bieten zahlreichen Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen einen Lebensraum. Das macht sie nicht nur für Touristinnen und Touristen attraktiv, wie gerade in Ägypten deutlich wird, sie bieten auch Schutz und Ressourcen für gefährdete Arten und ermöglichen Fischerei.

Ägypten ist ein beliebtes Land für Tauchurlaube. Einem aktuellen Bericht zufolge leitet ein Ölkonzern Bohrabwässer ins Rote Meer, die das Ökosystem belasten können.
Foto: APA/AFP/KHALED DESOUKI

Einem Forschungsteam gelang es im vergangenen Jahr, das Rätsel der Resilienz dieser "Superkorallen" im Roten Meer zu lösen: Offenbar ist eine komplexe Aktivierung und Deaktivierung von Genen für ihre Widerstandskräfte verantwortlich. Der facettenreiche Mechanismus macht es schwierig, diese Kräfte auch auf andere Korallenarten zu übertragen und beispielsweise jene im australischen Great Barrier Reef besser zu schützen. UN-Berichten zufolge wird ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau dafür sorgen, dass 90 Prozent der Korallen weltweit absterben. Derzeit hat sich die Erde bereits um 1,1 bis 1,2 Grad erwärmt, das Haltmachen bei 1,5 Grad wird als extrem unwahrscheinlich eingeschätzt.

Drohende Katastrophe

Das Areal vor der Küste des Gupco-Ölterminals lässt sich durch Aufnahmen von oben kaum abschätzen in Bezug auf Ökosystemschäden, zu undurchsichtig sind die Abwasserschlieren. Die Folgen der Verschmutzung sind nicht abzuschätzen. Zwar blüht im ägyptischen Unterwasserreich vielerorts das Leben – trotz der womöglich seit Jahrzehnten abgeleiteten Abwässer. Das Riff an der Küste des Roten Meeres ist eines der längsten Riffe der Erde und beherbergt hunderte Arten, die nur dort vorkommen. Doch Belastungen, wie sie durch Schwermetalle hervorgerufen werden, können bei vielen Organismen für permanenten Stress sorgen. Je höher dieses Stressniveau, desto schlechter können sie sich von anderen Belastungen erholen.

Derweil droht eine verheerende Umweltkatastrophe im südlichen Teil des Roten Meeres: Vor der jemenitischen Küste liegt ein maroder Öltanker vor Anker, der 140.000 Tonnen Öl beinhaltet und jederzeit auslaufen kann. An einer Rettungsaktion wollen sich die OMV und Österreich nicht beteiligen. (sic, 18.11.2022)