Foto: IMAGO/ZUMA Wire/ Just Stop Oil

PRO: Keine Rücksicht mehr

von Michael Völker

Es geht nicht darum, sich beliebt zu machen. Mit gutem Zureden, interessanten Vorträgen, mit sanftem Drängen, großen Demos oder harten Fakten lässt sich nichts erreichen, wie jetzt hinlänglich bewiesen ist. Wir stehen am Abgrund, und niemanden interessiert es. Weil alle nur an sich und ihre eigene Bequemlichkeit denken.

Protest kann und darf nicht gefällig sein, sich an den Bedürfnissen der trägen Mehrheit orientieren. Protest muss aufwühlen, muss auffallen, muss verstören. Nur so erhalten die Klimaaktivistinnen und -aktivisten Aufmerksamkeit für ihr Anliegen, das sie für essenziell, mehr noch, für eine Frage des Überlebens halten. Das Überleben der nächsten Generation.

Bilder anschütten, Straßen blockieren – wen regt das auf? Wir steuern geradewegs auf die Katastrophe zu. Wetterkapriolen werden den Planeten verwüsten, Menschen sterben. Da wird ernsthaft darüber debattiert, ob es legitim ist, Suppe über ein (geschütztes) Bild zu schütten? Ob es zumutbar ist, (noch länger) im Stau zu stehen? Diskutiert doch darüber, wie man den Druck auf die Regierungen erhöhen kann oder was man selbst mit seinem Verhalten bewirken kann.

Da es bisher nicht gelungen ist, ausreichend Aufmerksamkeit für eines der drängendsten Probleme der Zeit zu schaffen, muss Protest zwangsläufig weit über das hinausgehen, was bisher war. Rücksicht auf die Leute in ihrer Komfortzone ist definitiv nicht angebracht. (Michael Völker, 18.11.2022)

KONTRA: Letzte Regeneration

von Markus Rohrhofer

Es gibt durchaus vernünftige Methoden, Suppe zu verteilen. So feiert etwa die jährliche Winterhilfsaktion "Suppe mit Sinn" der Wiener Tafel für Menschen in Not dieser Tage ihr 15-Jahr-Jubiläum. Dem gegenüber stehen aber aktuell völlig sinnlose Suppenaktionen radikaler Klimaaktivisten – wahlweise greifen sie auch zu Kartoffelpüree oder Öl. Heute werden Galerien gestürmt, Kunstwerke besudelt, und wer uneingeladen gekommen ist, um länger zu bleiben, klebt sich einfach irgendwo fest.

Die eigentliche Botschaft ist unumstritten: Es ist höchst an der Zeit, dass niemand mehr die Augen vor den Folgen des Klimawandels verschließt. Doch ob ihrer Radikalität haben es die Aktivisten geschafft, dass dieses Anliegen völlig in den Hintergrund gerückt ist. Wenn an Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrgehänge ein Klimaretterkopf pickt oder Lebensmittelfarbe von Klimts Tod und Leben tropft, reden wir nicht vermehrt über die dringende Notwendigkeit eines klimatischen Umdenkprozesses. Im Vordergrund stehen die Aktionen.

Die pubertären Proteste haben letztlich nur das Potenzial, soziale Spannungen empfindlich zu verschärfen. Regeneration ist daher das Gebot der Stunde: anhalten, durchschnaufen, erholen und mit einem kühlen Kopf auf den Boden des Rechtsstaates zurückkehren. Denn dort gibt es genug Möglichkeiten, abseits jeglicher Zerstörungswut Unmut legal kundzutun. (Markus Rohrhofer, 18.11.2022)