Der ÖVP-Ethikrat empfiehlt den Parteiausschluss von Thomas Schmid; Parteichef Karl Nehammer dürfte dem Vorschlag folgen und der aktuell ruhenden Parteimitgliedschaft ein endgültiges Ende setzen. Das ist nachvollziehbar. Viel problematischer ist, was der Ethikrat nicht empfiehlt.

Dass der Ex-Öbag-Chef und ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium überhaupt Mitglied der Volkspartei ist, wurde zwar erst kürzlich öffentlich bekannt. Dass er das wohl nicht länger bleiben kann, scheint aber wenig überraschend: Er ist der Dreh- und Angelpunkt diverser Korruptionsaffären in der ÖVP und ihrem Umfeld; über sein Handy gingen Chatnachrichten, die die zahlreichen türkisen Causen – von der Inseratenaffäre bis zu Interventionen bei Posten und gegen Steuerprüfungen – erst ans Licht brachten.

Die ÖVP-Parteigranden sollen vom türkisen Ethikrat offenbar geschont werden.
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Aber: Schmid gestand vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) nicht nur seine eigenen Verfehlungen – er belastete auch einige der wichtigsten Akteure der ÖVP schwer. Allen voran: Ex-Parteichef und Ex-Kanzler Sebastian Kurz, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Klubchef August Wöginger. Jeder der drei Genannten übt oder übte nicht nur eine zentrale Funktion für die Partei aus, sondern auch für die Republik. Der Flurschaden, den allein schon die im Raum stehenden schweren Vorwürfe anrichten, betrifft daher nicht nur die Volkspartei. Er sät auch Misstrauen gegen das politische System an sich.

Keine Konsequenzen

Gegen Kurz, Sobotka und Wöginger empfiehlt der Ethikrat, der über den 2012 beschlossenen Verhaltenskodex der Volkspartei wachen soll, aber keinerlei Konsequenzen – obwohl allein die vorliegenden Chats den strengen, selbstauferlegten Verhaltensregeln wohl deutlich widersprechen. Von der "hohen moralischen Verpflichtung" und der "Vorbildfunktion", die Politikerinnen und Politiker haben müssten, ist darin etwa die Rede. Deshalb habe die ÖVP "zusätzlich zu vorhandenen gesetzlichen und statutarischen Regelungen" Standards für ihre Funktionsträger beschlossen. Politische Moral und Ethik müssten "über die strikt einzuhaltende Rechtsordnung" hinausgehen.

Dass der Ethikrat die von der WKStA untersuchten Vorwürfe gegen die Parteigrößen von Kurz abwärts aktuell "nicht beurteilen" will, begründet er in seinem am Donnerstag veröffentlichten Bericht allerdings damit, dass es von diesen keine Geständnisse gebe.

Dieses Vorgehen des Gremiums ist staats- und demokratiepolitisch völlig unlogisch. Parteistrategisch ist es logisch – jedenfalls nach Auslegung der ÖVP: Die Parteigranden sollen vom türkisen Ethikrat offenbar geschont werden. Würde ein ÖVP-Gremium den Parteiausschluss von Ex-Kanzler Kurz oder Nationalratspräsident Sobotka fordern, würde das hohe Wellen schlagen, in der öffentlichen Wahrnehmung käme es einem türkisen Schuldeingeständnis nahe. Thomas Schmid dient dagegen als willkommener Sündenbock, um parteiinternes "Handeln" zu signalisieren.

An seinen eigenen Maßstäben gemessen hätte der Ethikrat aber ein klares Zeichen setzen müssen: dass die aufgetauchten Chats auch der anderen Funktionsträger dem Ethikkodex der eigenen Partei widersprechen – auch um als Einrichtung glaubwürdig zu bleiben. So bestätigt er nur den Eindruck der Kritiker: dass der türkise Ethikrat ein zahnloses Gremium ist, der ÖVP-Verhaltenskodex ein reiner Papiertiger. (Martin Tschiderer, 17.11.2022)