Herfried Münkler eröffnet am 23. 11. die Buch Wien.

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Im Inneren "vieler als demokratisch rubrizierter Länder hat sich eine tiefe Skepsis gegenüber Liberalität und Rechtsstaatlichkeit breitgemacht, die als zu langsam und schwerfällig gelten und denen eine übergroße Einschränkung des Mehrheitswillens der Bevölkerung vorgehalten wird. Das war und ist der Nährboden für das Aufkommen populistischer Bewegungen, die im Namen der Demokratie gegen den liberaldemokratischen Rechtsstaat Front machen."

Diagnose der antidemokratischen Entwicklungen

So der Befund eines der bekanntesten deutschen Politikwissenschafter, Herfried Münkler, in seinem neuen Buch Die Zukunft der Demokratie. Es erscheint im Rahmen der Reihe "Auf dem Punkt", herausgegeben von Hannes Androsch. Münkler, der mit zahlreichen Standardwerken zur Politik auf den Bestsellerlisten erschienen ist und nächste Woche auf der Buch Wien auftritt, liefert auf knapp 200 Seiten eine dichte, anspruchsvoll formulierte Diagnose der antidemokratischen Entwicklungen der letzten Jahre und den Versuch einer Therapie. Vorweggenommen: Die (liberale) Demokratie benötigt "kompetente Bürger", die einerseits das Rüstzeug haben, sich in Fake News und Verschwörungstheorien der Desinformationskanäle zurechtzufinden, und sich andererseits intensiver engagieren – und sei es in den "grassroots" der Kommunalpolitik.

Herfried Münkler, "Die Zukunft der Demokratie". Brandstätter-Verlag. € 20,– / 200 Seiten.
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Münkler beschreibt verschiedene Kategorien der Demokratie, auch jene der "beschädigten Demokratien" oder der "Fassadendemokratien". Der Angriff auf die liberale Demokratie erfolge von innen und von außen. Autoritäre Systeme wie diejenigen Chinas oder Russlands könnten die Existenz freier Systeme in ihrer Nachbarschaft nicht ertragen, weshalb sie auf vielfältige Weise die echten Demokratien zu destabilisieren versuchen. Aber mindestens so bedrohlich seien die Entwicklungen im Inneren, wo sich ganze Gesellschaftsschichten von der liberalen Demokratie abwenden, weil sie ihnen für die Lösung von Problemen wie Migration, Folgen der Globalisierung, Zurückfallen der Mittelschicht nicht mehr geeignet erscheint. Das öffnet Chancen für charismatische, autoritäre Politikertypen.

Informierte Bürger und öffentlich-rechtliche Sender

Münkler ist im Gegensatz zu anderen Autoren, die er zitiert, von der Lebensfähigkeit der liberalen Demokratien überzeugt. Wenn sie im Idealfall so aussehen: "In der liberalen Demokratie sind politische Teilhaberechte, bürgerliche Freiheitsrechte, horizontale Gewaltenkontrolle und eine effektive Regierungsgewalt im Sinn einer Handlungsfähigkeit miteinander verbunden, die weder durch das Militär oder andere Teile des Sicherheitsapparats noch durch mächtige Interessengruppen eingeschränkt ist."

Was braucht die Demokratie? Zunächst informierte Bürger. In den USA könnten erhebliche Teile der Bevölkerung "nicht mehr unterscheiden, was Wahrheit und was Lüge ist, was Wirklichkeit und Fiktion". Münkler fordert daher die Erhaltung öffentlich-rechtlicher Sender. Vor allem aber müssten sich die Bürger selbst organisieren. Politik lernt man nur durch Teilnahme am politischen Prozess, am Beratschlagen und Entscheiden: "Eine Demokratie ohne Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist nicht überlebensfähig." (Hans Rauscher, 19.11.2022)