Sein Handwerk hat sich in den Hobbybereich verlagert, ist Drechsler Hermann Viehauser überzeugt.

Foto: Julia Beirer

Sobald die Tür zu Hermann Viehausers Werkstatt in Wien-Alsergrund aufgeht, strömt der Geruch von geschnittenem Holz in die Nase. Zwei Säcke prall gefüllt mit Sägespänen lehnen am Ende der Treppe, die hinunter in den Arbeitsbereich des Drechslers führt. Auf dem Tisch dahinter türmen sich Holzschalen der Größe nach.

Alles hat hier seinen Platz. Verschiedene Drechselmesser liegen in Reih und Glied griffbereit bei der Drechselbank. In den Regalen an der Wand sind bereits gerundete Holzstücke in ein Fach geschlichtet, Rohlinge getrennt nach Größe und Form in ein anderes. Ohne Ordnung gehe es nicht, sagt Viehauser und spannt ein Holz in die Drechselbank. Zweimal klopft er noch mit dem Hammer darauf, damit es richtig sitzt, und schon dreht sich das Stück.

Zielsicher greift sich Viehauser eines der Drechselmesser und setzt am Holz an. Schon fliegen die Späne, und das Holz verformt sich zu einem immer dünner und länger werdenden Griff. Den hinteren Teil des Holzes drechselt Viehauser zu einer flachen Spitze. Wenige Minuten später löst er das fertige Stück heraus und lässt den Kreisel über seine Werkbank tanzen. Viehauser lächelt. Auch nach so vielen Jahren erfreut ihn die Arbeit.

Gedrechselt, geschliffen und gewachst in nur wenigen Minuten. "Es sieht einfacher aus, als es ist", sagt Viehauser.
Foto: Julia Beirer

"Drechseln ist das älteste Handwerk", sagt er. Die ersten Funde gingen auf das siebente Jahrhundert vor Christus zurück. Früher hätten auch Adelige gedrechselt, erzählt er und nennt etwa Karl den Großen. Begehrt war die Drechselbank wohl auch, weil neben Holz wertvolle Rohstoffe wie Perlmutt, Bernstein oder Elfenbein geformt werden können. "Heute hingegen ist das Drechseln als Handwerk verlorengegangen", sagt Viehauser.

Kein Markt mehr

Er selbst habe noch bei seinem Vater in Bad Hofgastein die Drechslerlehre absolviert. Mittlerweile kennt er keinen einzigen gelernten Drechsler in Wien, eine Innung gebe es schon lange nicht mehr. Der Grund: Im professionellen Bereich gibt es schlicht keinen Markt mehr. "Früher hat jeder Tischler einen Drechsler eingeplant. Heute kommen Stiegensprossen aus der CNC-Fräse." Viehauser ist überzeugt, dass sich sein Handwerk in den Hobbybereich verlagert hat. Eine Entwicklung, die er nicht nur negativ sieht.

Denn er hat sich angepasst. Um neben Auftragsarbeiten und Restaurationen über die Runden zu kommen, hat er einen Zweitjob als persönlicher Assistent, vor allem aber lehrt er Interessierten sein Handwerk. Viehauser bietet Drechselkurse an den Wiener Volkshochschulen an. Seine Teilnehmenden sind "happy, etwas mit den Händen zu schaffen. Das fehlt heute in unserer Gesellschaft."

Damit die Drechselbank auch in Zukunft Verwendung hat, lehrt Hermann Viehauser sein Handwerk Interessierten Hobbyhandwerkern.
Foto: Julia Beirer

Aussterben ganzer Berufe?

Doch nicht nur dem Drechsler gehen die Aufträge ab. Bereits 2016 hat eine Studie der Österreichischen Unesco-Kommission davor gewarnt, dass ganze Berufszweige mitsamt deren Wissen und Können vom Aussterben bedroht sind. Die Begründung: Globalisierung der Beschaffungs- und Absatzmärkte, Liberalisierungs- und Konzentrationsprozesse sowie Technisierung und Standardisierung von Produktionsabläufen setzen traditionelle Herstellungsmethoden und Strukturen im Handwerk immer stärker unter Druck. Besonders betroffen seien die letzten zwei Generationen.

Trotzdem zählte die Sparte Gewerbe und Handwerk laut österreichischer Wirtschaftskammer (WKO) vergangenes Jahr 281.683 aktive Mitglieder und belegt damit nach wie vor den ersten Platz, gefolgt vom Handel. Was also tun, damit Drechsler, Bäckerinnen und Tischler auch in Zukunft bestehen können?

Gabriel Roland, Direktor der Vienna Design Week, ist überzeugt, dass sich viele Menschen in einer zunehmend digitalen Welt nach einer gewissen Authentizität sehnen. "Handwerk kann diese Bedürfnisse auf zeitgemäße Art befriedigen. Das muss nicht nur im Rückblick auf Vergangenes sein", sagt Roland. Die Basis dafür, dass Unternehmen in Zukunft relevant bleiben können, sei, dass ihre Produkte die geeignete Nische finden.

Dazu brauche es Gestaltung, Kommunikation und Vermarktung, die in wertschätzender Beziehung zum Handwerk stehen. "Sonst wird es museal oder kann genauso gut industriell hergestellt werden. Das ist dann kein Handwerk mehr", sagt Roland. Dem versucht die Vienna Design Week mit dem Format "Passionswege" entgegenzuwirken. Dabei treten Designer und Handwerkerinnen in Dialog und schaffen ein neues, individuell gestaltetes Produkt abseits von Verkaufszahlen und Massenproduktion.

Besondere Wünsche

"Für das Individuelle wird es immer Platz geben", sagt Maria Smodics-Neumann, Obfrau der Sparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Wien. Auch wenn Schneiderinnen und Schneider nicht mehr die breite Masse für den Alltag ausstatten und Tischlerinnen und Tischler keine Möbel mehr für ganze Wohnungen herstellen: Es werde immer Menschen geben, die besondere Wünsche haben und dafür zum Handwerker gehen. "Sei es, weil sie ein besonderes Stück für einen Anlass wollen oder weil sie Vorstellungen haben, die ihnen die Konfektion nicht erfüllen kann", sagt Smodics-Neumann, die selbst eine Maßschneiderei in Wien hat.

Gerade in einer Zeit, in der alles in großen Mengen verfügbar ist, hätten die Menschen einen starken Wunsch nach Handgemachtem. "Jede große Entwicklung erzeugt immer in einem kleinen Segment die absolute Kontrabewegung." Am Handwerk würden die Menschen außerdem "das Erlebnis" schätzen. Es gefalle ihnen, dabei zu sein, wenn etwas entsteht. Auch der Trend, Altes oder Kaputtes reparieren zu lassen, komme dem Handwerk wieder zugute, meint Smodics-Neumann. "Ich könnte mich nicht erinnern, dass vor 20 Jahren jemand Mantelinnenfutter getauscht hätte. Jetzt tun Menschen das."

Der hippe Bäcker

Voraussetzung, dass Betriebe bestehen können, sei jedoch, dass sie mutig sind und mit der Zeit gehen, sagt die Spartenobfrau und verweist auf hippe Bäckereien in der Wiener Innenstadt. Aber selbst über ganz alte Handwerke, die kaum noch benötigt werden, würde sie ungern "das Damoklesschwert hängen wollen": "Zwei Pinsel- und Bürstenmacher können wahrscheinlich ein wunderbares Auslangen finden."

Automatisierung und Digitalisierung sieht sie nicht nur als Gefahr, sondern auch als Chance. Beispielsweise könnten sich traditionelle Betriebe von Maschinen helfen lassen (siehe Seite 15) und sich dadurch Arbeitsschritte ersparen. Sie könnten außerdem ihre Produkte im Netz verkaufen und bewerben. "In der Kundengewinnung sind wir alle sehr positiv mit der Digitalisierung konfrontiert", sagt Smodics-Neumann.

Auch in ihrem Bereich, der Maßschneiderei, gebe es einige neue Technologien, die sich erste Kolleginnen und Kollegen bereits zunutze machen – etwa digitale Avatare. "Man kann sie in die Proportionen des Kunden bringen, ihnen ein gestreiftes Jackerl anziehen, und der Kunde sieht sofort: So würde ich aussehen."

Statt Technologie setzt Drechsler Hermann Viehauser lieber auf Techniken. Er beherrscht viele davon und bringt sie gerne seinen Kursteilnehmenden bei. "Dadurch geht die Freude, etwas mit den Händen zu machen, nicht verloren." Und auch sein Handwerk lebt weiter. (Julia Beirer, Lisa Breit, 19.11.2022)