Christiane Peschek hat sich für die Serie "Boys Like Me" (2022) in Selbstporträts in verschiedenen Männerrollen inszeniert, fotografiert und dann digital bearbeitet.

Foto: Wolfgang Thaler

Wenn auf einem Gehsteig in einem Wiener Innenstadtbezirk vor einem etwas abgeranzten Haus ein junger Mann mit Boots und Mütze eine Mandarine zu schälen beginnt, ist die Kunst-Offszene meist nicht weit. Gesund, korrekt, sich der Umwelt und ihrer Probleme bewusst: Es ist wieder Vienna Art Week, und das House of Challenging Orders in Wien-Margareten beherbergt die thematische Hauptausstellung dieser 18. Ausgabe. Das Bürogebäude aus den 1970ern mit allen Nachteilen der zeittypischen Bausubstanz steht vor dem Abriss, das Festival breitet sich darin auf drei Etagen aus. Oder eher: Es drängen sich die rund 40 Künstlerinnen und Künstler in die engen, muffigen Räume.

Facefilter oder Hautreparaturstempel heißen die digitalen Werkzeuge, mit denen Christiane Peschek sich in ihren großformatigen Arbeiten in verschiedene "Boys" hineinversetzt hat. Mit ihren Fragen zu Gender und der Möglichkeit, sich selbst zu transformieren, könnte sie nicht aktueller sein. Jenny Marketou hingegen greift in die physische Welt ein: Im Hafen von Governors Island in New York, wo sie ihr Studio hat, hat sie Austern eingepflanzt, um die Wasserqualität zu erhöhen. Seit zwei Jahren läuft das Projekt, erste Erfolge haben sich bereits gezeigt. Ein Haufen Austernschalen und ein Video bezeugen das.

Poster des Ungehorsams

Video ist überhaupt ein beliebtes Medium der diskursiv aufgeladenen Arbeiten. Challenging Orders als Thema der international besetzten Ausstellung stand schon vor Russlands Krieg gegen die Ukraine fest. Denn einerseits lösen in der Kunst selbst ja dauernd neue Strömungen etablierte Stile ab, andererseits stellt Kunst sich gerne gegen Verhältnisse quer. Auch die Proteste im Iran machen das Thema für die Veranstalter plötzlich noch relevanter, Weltpolitik spielt hier in der Wiedner Hauptstraße 140 aber keine Rolle.

Kritik richtet sich gegen dominante Narrative verschiedener Art. Die Perspektiven sind ökologisch (Saatgut), feministisch (Femizide), gesellschaftspolitisch (rassistische Anschläge). Das Festival selbst bemüht sich um Barrierefreiheit und hat, um Papier zu sparen, eine App entwickelt. Neben vielen jungen Künstlern haben die Kuratoren Robert Punkenhofer und Julia Hartmann auch ein paar große Namen eingeschleust: In den Gängen stellen Poster der seit fast 40 Jahren ihr "creative complaining" erprobenden Guerrilla Girls kritische Fragen. Zivilem Ungehorsam und dessen Ikonen huldigt Shepard Fairey (bekannt u. a. für seine Obama-Motive).

50 Künstler öffnen Ateliers

Die Vienna Art Week ist als Zusammenschluss von 70 Museen, Kunstunis sowie Kunsträumen eine Plattform für die lokale Szene. 35.000 Besucher zählte man zuletzt, 140 Veranstaltungen sind gratis zugänglich. In Mitgliedsbetrieben wie Secession, Mumok oder Angewandte eröffnen während des Festivals 14 Ausstellungen. Dazu kommen Workshops und Lectures in etablierten Galerien und Off-Spaces.

Besonders nah kommt man der Szene aber auch heuer, wenn für die Open Studio Days 50 Künstlerinnen und Künstler in der Stadt ihre Ateliers öffnen. Dass es weniger als zuletzt sind, ist eine bewusste Entscheidung. Ausgewählt wurden sie aus 150 Bewerbungen. Obacht: Während die Art Week bis Freitag läuft, gilt dieses Angebot nur fürs Wochenende! (Michael Wurmitzer, 19.11.2022)