Viele Unternehmen haben sich nur dank billiger Kredite und Staatshilfen über die Coronakrise gerettet. Mit beidem ist es jetzt vorbei.

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Wenn sich am Strand das Meer stark zurückzieht, droht womöglich ein Tsunami. Stark zurückgegangen sind in Österreich auch die Firmenpleiten in den Corona-Jahren 2020 und 2021 – nun setzen hohe Energiepreise und steigende Zinsen den Unternehmen stark zu. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nimmt bereits jetzt wieder merklich zu. Baut sich gerade etwa eine Pleitewelle auf, die im nächsten Jahr über das Land rollen wird?

So dramatisch stuft Karl-Heinz Götze die Lage nicht ein. Er leitet beim Kreditschützer KSV 1870 die Insolvenzen und sagt: "Wir gehen schon davon aus, dass es 2023 mehr Insolvenzen geben wird." Konkret erwartet er 5500 Firmenpleiten, das sind etwa zehn Prozent mehr als im Vorkrisenjahr 2019, bevor die Insolvenzpause einsetzte. Das ist für Götze noch im Rahmen, bei seiner Prognose räumt er aber ein: "Es gibt viele Fragezeichen."

Viele Unbekannte

Schließlich ist ungewiss, wie stark das Zinsniveau nächstes Jahr ansteigen wird und damit variable und neue Kredite teurer werden. Ebenso, wie stark die Teuerung, vor allem bei den Energiekosten, im nächsten Jahr sein wird oder wie hoch die Lohnabschlüsse in der jeweiligen Branche ausfallen werden.

"Es braucht eine gewisse Bereinigung", gibt Götze allerdings zu bedenken. Während der Corona-Jahre seien Zombiefirmen entstanden, die sich nur dank der Regierungshilfen und billiger Kredite über Wasser halten konnten. Zuletzt seien etwa 40 Prozent aller Insolvenzen gar nicht erst eröffnet worden. "Weil sie nicht einmal das Geld aufbringen konnten, um eine Insolvenz zu eröffnen", erklärt Götze. Was dann passiert? Das betroffene Unternehmen verliert die Gewerbeberechtigung, Gläubiger gehen leer aus.

Durch Krise getragen

"Das zeigt, dass viele Unternehmen mit Steuergeld durch die Corona-Krise durchgetragen wurden", sagt Creditreform-Geschäftsführer Gerhard Weinhofer über den steigenden Anteil masseloser Insolvenzen. Die Hilfen hätten nämlich vor allem jenen Firmen genutzt, die ohnedies schwach kapitalisiert waren. Wie viele solcher Unternehmen gibt es insgesamt? Im Sommer hätten etwa fünf Prozent der etwas größeren Unternehmen drei Jahre in Folge ein negatives Betriebsergebnis erzielt und gelten für Weinhofer als stark insolvenzgefährdete Zombiefirma.

Bei etwa 400.000 Unternehmen hält er das für verkraftbar – zumal solche Zombies auch Kapital und vor allem Personal binden, das anderswo händeringend gesucht wird. Zudem erinnert Weinhofer an die Gründungswelle vergangener Jahre, von jungen Unternehmen scheide stets ein relativ hoher Anteil rasch wieder aus.

Transportwesen gefährdet

Nach Branchen aufgeschlüsselt sieht der Creditreform-Chef im Transportwesen derzeit die größte Insolvenzgefahr. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden auch im Bausektor, sonst diesbezüglich Nummer eins, viele aufgeben müssen. Auch im Handel sei die Insolvenzgefahr groß, denn "die Kaufkraft der Österreicher sinkt wegen der Teuerungswelle." Unter dem Strich erwartet Weinhofer etwa 6000 Firmenpleiten im nächsten Jahr, also noch etwas mehr als KSV-Experte Götze.

Die sinkende Kaufkraft spüren vor allem jene Haushalte, bei denen es vorher schon finanzielle Probleme gab. "Wir merken schon, dass es für viele eng wird", sagt Clemens Mitterlehner, Chef der Dachorganisation ASB Schuldenberatung. Zu den höheren Kosten für Energie, Wohnen und Nahrungsmitteln kommen nun auch steigende Zinsen. Sowohl variable Immobilien- als auch Konsumkredite werden empfindlich teuerer, die Überziehungszinsen steigen – womit sich die Schuldenspirale schneller dreht.

Mehr Privatkonkurse

Mitterlehner erwartet für nächstes Jahr rund 10.000 Privatkonkurse in Österreich, das sind um etwa sechs Prozent mehr als im Vorkrisenjahr 2019. "Es ist zu befürchten, dass das erst der Anfang ist", ergänzt er. Wie bei den Firmen steige auch die Anzahl an Personen, die nicht einmal die Voraussetzungen für einen Konkurs mitbringen – etwa wenn sie mit ihrem Einkommen voraussichtlich nicht das Auslangen finden können.

Insgesamt geht Mitterlehner für Österreich von einer großen Anzahl an Personen aus, die eigentlich längst überschuldet sind, ohne einen Privatkonkurs anzustreben, nämlich von 300.000 bis 400.000 Menschen. Belastbare, offizielle Zahlen dazu gibt es bisher noch nicht. Bis Jahresende sollen jedoch erste Ergebnisse einer Erhebung dazu vorliegen. "Warum ist die Diskrepanz zu den Privatkonkursen so hoch?", fragt Mitterlehner. Die folgenden Jahre könnten also noch deutlich mehr Pleiten bei Privaten bringen. (Alexander Hahn, 19.11.2022)