Werdenigg deckte vor fünf Jahren schwere Missstände auf. Es habe Übergriffe und Vergewaltigungen im Skizirkus gegeben.

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Kronberger leitet "Optimal Sports" im Skiverband.

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Vor fünf Jahren, am 20. November 2017, erschien der Artikel "Es gab Übergriffe. Von Trainern, Betreuern, Kollegen" im STANDARD. Der Bericht von Nicola Werdenigg über Missbrauch im Skisport sollte eine Lawine auslösen und wurde als Österreichs "Story des Jahres" ausgezeichnet. Nun findet der Stoff den Weg ins Kino.

Petra Kronberger weiß noch genau, wo sie war, als sie am 19. November 2017 von Werdeniggs "Sportmonolog" erfuhr. Sie war im Salzburger Mozarteum, dort hatte der Chor, in dem sie sang, einen Auftritt, es war gerade Pause, als ihr Handy läutete. Die ehemalige Skirennläuferin, nach einem WM-Titel (1991), zwei Olympiaerfolgen (1992) und drei Gesamtweltcupsiegen mit nur 23 Jahren im Dezember 1992 zurückgetreten, war 2015 in den Skiverband zurückgekehrt. Zunächst "Konsulentin für Damensport", wurde Kronberger bald zur "Frauenbeauftragten". Dass sie angerufen wurde, lag auf der Hand.

Im Nachhinein ist sie immer noch erleichtert, dass sie das Gespräch entgegennahm. So war sie nicht völlig unvorbereitet. Wobei sie heute sagt: "Damit, was dann über den Skiverband hereingebrochen ist, hat niemand rechnen können." Werdenigg hatte dem STANDARD-Sportchef Philip Bauer von einem übergriffigen Skifabrikanten, einem pädophilen Heimleiter und der Vergewaltigung durch Teamkollegen berichtet. Ihre Geschichte schlug hohe Wellen, Jahrzehnte später hatten die Vorfälle den Skisport und den ÖSV eingeholt. Eine weitere frühere Rennläuferin und die Sportjournalistin Helen Scott-Smith berichteten ebenfalls von Übergriffen und Vergewaltigungen im Skizirkus.

Laut Scott-Smith gab es eine "Unkultur" österreichischer Trainer, die im Ausland tätig waren. "Sie haben sich die 15- bis 20-jährigen Mädchen aufgeteilt." In der Süddeutschen Zeitung wurde, gestützt auf eidesstattliche Erklärungen, der frühere ÖSV-Startrainer Charly Kahr einer Vergewaltigung bezichtigt. Eine Klage gegen die Zeitung zog er später zurück. Ein anderes Verfahren gegen die Ex-Rennläuferin Ingrid Gutzwiller-Gfölner und ihren Ehemann, denen er üble Nachrede vorgeworfen hatte, hat Kahr verloren.

Ritual des Pasterns

Der Nordische Kombinierer Felix Gottwald schrieb in seinem Blog, Missbrauch hätte sich bis in die jüngere Vergangenheit fortgesetzt. Österreichs mit sieben Medaillen erfolgreichster Olympiasportler prangerte das über Jahre im Skigymnasium Stams gepflegte Ritual des Pasterns an, das ein anderer Ex-ÖSV-Aktiver im STANDARD wie folgt beschrieb. "Die Opfer bekamen Zahnpasta oder einen mehr oder weniger klebrigen Klistier verabreicht. Das heißt, es wurde eine Tube eingeführt."

Für Kronberger steht fest: "Nicola Werdenigg war der Auslöser, sie hat den Turbo gezündet, dadurch wurde ein Bewusstsein geschaffen." Auch im ÖSV, dessen Präsident Peter Schröcksnadel sich lange schwertat im Umgang mit Werdenigg wie im Umgang mit den Missbrauchsfällen. Schröcksnadel sah "seinen" Verband attackiert und meinte, er müsse in die Offensive gehen statt auf die Opfer zu. Werdenigg drohte er mit einer Klage, sollte sie keine Namen (der Vergewaltiger) nennen.

Interventionsplan für etwaige Krisenfälle

An der ÖSV-Spitze steht mittlerweile Roswitha Stadlober, und Kronbergers Job ist nun die Leitung der Abteilung "Optimal Sports". Es gibt drei klar definierte Säulen (Persönlichkeitsstärkung, Gesundheitsentwicklung, Ressourcenbewusstsein) und ein Wertefeld, das sich um die Fragen dreht: "Worauf legt der ÖSV Wert? Und wie gehen wir miteinander um?" Kronberger hat eine Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin und diverse Fortbildungen absolviert, sie hat einen Interventionsplan für etwaige Krisenfälle an der Hand. Krisenfälle wie Mobbing, schwere Verletzungen, kommunikative Dissonanzen oder sexuelle Belästigung.

Dem ÖSV sei es wichtig, "eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich möglichst alle wohlfühlen. Und wenn sich jemand nicht wohlfühlt, weiß er oder sie, wohin er oder sie sich wenden kann." Kronberger betont den "humanistischen Ansatz", ihm liege die Frage zugrunde: Wie geht es dem Sportler, der Sportlerin insgesamt? "Nur wenn sie keinen Stress haben und sich voll fokussieren können, sind gute Leistungen möglich", sagt Kronberger.

Was seine Zeit braucht

Die Zahl der Frauen im ÖSV hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, nicht nur im Präsidium, in der Kommunikation und im Marketing. Auch im Coachingbereich sind in etlichen ÖSV-Sparten mittlerweile Frauen tätig. "Es werden mehr", sagt Kronberger, "aber es braucht seine Zeit."

Es brauchte auch seine Zeit, bis es zu einem Gespräch zwischen dem ÖSV und Nicola Werdenigg kam. Erst unter Schröcksnadels Nachfolger Karl Schmidhofer wurde ein Termin vereinbart, erst unter Schmidhofers Nachfolgerin Stadlober kam er zustande. Auch Kronberger, die Psychologin Chris Karl und ÖSV-Generalsekretär Christian Scherer nahmen an dem Gespräch teil, das Kronberger als "guten Austausch" bezeichnet. "Es war wichtig, Nicola Werdenigg gegenüber zu betonen, dass von uns nichts abgetan und dass sie vom ÖSV sehr ernst genommen wird." Werdenigg habe im Sport "viel bewegt und hochsensible Themen ins Bewusstsein gerückt". (Fritz Neumann, 19.11.2022)