William Bradford Shockley (1910–1989) ist hauptverantwortlich dafür, dass der bedeutendste Standort für IT- und Hightech-Industrie weltweit – das Silicon Valley in Kalifornien – so heißt, wie er heißt. Vor genau 75 Jahren war der US-amerikanische Physiker an der Entwicklung des modernen Transistors beteiligt und erhielt dafür mit seinen beiden Kollegen je ein Drittel des Physiknobelpreises 1956. Im Jahr zuvor ließ er sich mit einer eigenen Firma in Kalifornien nieder, die zur Keimzelle der Hightech-Gründerregion werden sollte.

Das aktuelle Cover der Zeitschrift "Science".
Foto: Science / AAAS

Shockley hatte aber auch noch ganz andere Seiten. Und die sind auch der Grund dafür, warum sich das US-Wissenschaftsmagazin "Science" dieser Tage spät, aber doch genötigt sah, sich vom Nobelpreisträger und prägenden Physiker in eindeutigen Worten zu distanzieren. Die aktuelle Ausgabe des Magazins ist dem 75-Jahr-Jubiläum des Transistors gewidmet; das Editorial allerdings, das sich nur mit Shockley befasst, bezeichnet diesen mit angemessen harten Worten.

Erfinder und Nobelpreisträger

Was John Bardeen, Walter Brattain und Shockley Ende 1947 in den legendären Bell Laboratories in New Jersey erfanden, sollte die Grundlage für das Computerzeitalter werden: In ihren Arbeiten behandelten sie Halbleiter und deren Eigenschaften, den elektrischen Strom zu verstärken oder seinen Durchgang zu verhindern. Damit war der Transistor geboren, ein Bauelement, das die Grundlage für die meisten elektronischen Technologien bildete.

William Shockley (Mitte) und seine Co-Nobelpreisträger John Bardeen (links) und Walter Brattain (rechts). Shockley wurde beim Transistor-Patent nicht berücksichtigt.
Foto: Bell Laboratories / gemeinfrei

Transistoren waren um einiges schneller, kühler und kompakter als die bis dahin in den tonnenschweren ersten Computern verwendeten Vakuumröhren und wiesen alle nötigen Voraussetzungen zur Miniaturisierung auf. Die revolutionäre Erfindung sollte die Entwicklung neuartiger elektronischer Dinge ermöglichen – von Transistorverstärkern für E-Gitarren ebenso wie von Taschenrechnern, Computern oder Mondraketen. Und selbstverständlich enthalten auch jene Geräte, mit denen Sie diesen Text lesen, Halbleiterchips.

Gründer und schlechter Manager

Wie konkret Shockley an der Erfindung tatsächlich beteiligt war, ist umstritten. Jedenfalls wurde er beim erteilten Patent nicht berücksichtigt. Wütend darüber, verließ er die Bell Labs, übersiedelte nach Kalifornien und gründete in Mountain View bei San Francisco 1955 seine eigene Firma. Im Shockley Semiconductor Laboratory wollte er mit acht jungen Wissenschaftern an Silizium und integrierten Schaltkreisen weiterforschen.

Shockley erwies sich allerdings bald als schlechter Manager. Wegen seines unberechenbaren Temperaments und seines Verfolgungswahns verließen diese acht Forscher ihrerseits Shockleys Firma und gründeten ein eigenes Unternehmen namens Fairchild Semiconductor. Auch in dieser Firma gab es bald Abgänge, und weitere Start-ups, die daraus entstanden, sorgten für die erste große Gründerwelle im Silicon Valley.

Auf eugenischen Abwegen

1962 wurde Shockley in den wissenschaftlichen Beraterstab des US-Präsidenten berufen und 1963 zum Professor für Ingenieurwissenschaften an der Stanford University ernannt. Seit dieser Zeit widmete er sich – ohne jede Qualifikation im Bereich Psychologie oder Genetik – der Erforschung von Zusammenhängen zwischen Rasse und Intelligenz sowie Themen aus dem Bereich Eugenik. Finanzielle Unterstützung kam dabei vom höchst umstrittenen Pioneer Fund, der eine eugenische Agenda verfolgte.

Shockley sah in der größeren Kinderzahl der Personen mit einem geringeren Bildungsabschluss eine Bedrohung für die Zukunft der USA. Außerdem hielt er afroamerikanische Personen genetisch bedingt für weniger intelligent als weiße. Damit nicht genug, forderte er die Subvention von Sterilisationen für Menschen mit einem niedrigeren IQ als 100 und die verstärkte Fortpflanzung intelligenter Personen.

Samenspenden für die Elite

Er selbst machte damit Ernst: In den 1980er-Jahren spendete Shockley sein Sperma dem umstrittenen Samenbankunternehmen Repository for Germinal Choice, das vom US-Unternehmer Robert Klark Graham 1980 gegründet worden war. Shockley war einer von drei Nobelpreisträgern, die Samen zur Verfügung stellen sollten. Als der eugenische Charakter des Unterfangens in der Öffentlichkeit ruchbar wurde, stiegen zwei anonym gebliebene Nobel-Laureaten wieder aus. Shockley, der die Intention des bizarren Unterfangens mittrug, blieb hingegen als Spender erhalten.

Die 1999 wieder geschlossene "Samenbank für Genies" brachte 217 Kinder hervor, die sich recht unterschiedlich entwickelten. Sie wurde Gegenstand mehrerer Bücher (unter anderem "The Genius Factory" des US-Journalisten David Plotz) und auch in der Pilotfolge von "The Big Bang Theory" gewürdigt. (Die beiden TBBT-Protagonisten kriegen im letzten Moment vor der Spende Skrupel.)

"Science" bisher mit halbherziger Kritik

Das Fachblatt "Science" hat die offensichtlichen eugenischen und rassistischen Fehltritte Shockleys bisher eher halbherzig kommentiert – und ihm umgekehrt immer wieder ein Podium geboten: Als dem Physiker etwa ein Vortrag am Brooklyn Polytechnic Institute in New York untersagt worden war (Cancel-Culture ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts), durfte er in "Science" einen Brief veröffentlichen, in dem er behauptete, dass er in dem Vortrag lediglich Fragen über die Rolle der Rasse bei der Intelligenz stellen wollte. Shockley wurde in "Science" auch wenig kritisch als "Rassentheoretiker" bezeichnet und selbst post mortem verteidigt, als "Nature" einen angemessen kritischen Nachruf veröffentlichte.

Nun allerdings stellt Chefredakteur H. Holden Thorp in einem Editorial klar, dass Shockley weder eine entsprechende Ausbildung noch wissenschaftlich haltbare Thesen zu den Themen "Rasse und Intelligenz" lieferte. Der Physiker habe deshalb die Bezeichnungen "Eugeniker" und "Rassist" verdient. Und Thorp verspricht: "Ab heute wird bei jeder Erwähnung von Shockley in dieser Zeitschrift ein Link zu diesem Leitartikel erscheinen. (...) Shockley war ein Rassist. Shockley war ein Eugeniker. Das ist alles."

Postskriptum: "Freispruch" für James Webb

Nachsatz: Rund um die Benennung des James Webb Space Teleskope wurde moniert, dass Webb diese Ehre nicht verdient hatte – zum einen deshalb, weil er kein Naturwissenschafter gewesen sei, und zum andern, weil in seiner Amtszeit als Nasa-Administrator Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung entlassen worden seien. Die Nasa gab am Freitag in einer Pressemeldung bekannt, dass sich kein Beleg für ein mögliches Fehlverhalten Webbs haben finden lassen – und machte den ausführlichen Bericht des Nasa-Chefhistorikers Brian Odom in der Sache online zugänglich. (Klaus Taschwer, 22.11.2022)