Der Angriffskrieg Russlands wird, damit ist leider zu rechnen, länger dauern. Russland hat die Strategie eines hybriden Kriegs gewählt, um der Ukraine einen Siegfrieden aufzuzwingen: einen klassisch-militärischen Krieg, auch mit der Bombardierung der zivilen Infrastruktur, der den Verteidigungswillen der Ukraine brechen soll. Kriegsverbrechen werden in Kauf genommen, vielleicht auch zentral geplant; Moskau rechnet offenbar nicht damit, jemals dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Gleichzeitig will Russland mit psychologischer Kriegsführung den Willen des Westens zur Unterstützung der Ukraine brechen.

Dazu zählt, in unseren Ländern Zwietracht zu säen: durch fünfte Kolonnen und nützliche Idioten. Das Schöne an diesen ist, dass sie nicht zentral gesteuert werden müssen. Wladimir Putin kann getrost auf den blinden Ehrgeiz und den grenzenlosen Opportunismus der Trumps, Le Pens, Wagenknechts und Kickls dieser Welt setzen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie sogar Wahlen gewinnen; zumindest untergraben sie die Bereitschaft ihrer Länder, die Ukraine weiter zu unterstützen, wenn dafür ein wirtschaftlicher Preis zu zahlen ist. Und einen Preis werden wir zahlen.

Putin kann auf die Trumps, Le Pens, Wagenknechts und Kickls dieser Welt setzen.
Foto: AP/ Sergei Guneyev

Verteuerung der Energie

Die schärfste Waffe Putins ist die langfristige Verteuerung der Energie. Erneuerbare Energien können nicht schnell aufgebaut werden und garantieren keine Grundlasten. Deutschland wird seine Atommeiler endgültig abschalten, auch wenn das in einer Energiekrise reine Selbstbeschädigung ist. Russische Gaslieferungen an Europa reduzieren sich drastisch, von circa 140 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2021 auf geschätzt 60 Milliarden dieses Jahr und vielleicht noch 25 Milliarden nächstes Jahr. Diese 115 Milliarden angebotsseitig zu ersetzen, wird schwer, was sich auch nicht ändern wird, wenn der Krieg bald enden würde.

Es gibt kein plausibles Szenario, in dem Russland und Europa zum Status quo ante zurückkehren, da es so grundlegende Interessenkonflikte gibt, dass sie sich mittelfristig ohne eine Unterwerfung der EU nicht überwinden lassen.

Die Nachfrage nach Gas wird sinken müssen, was vor allem die Industrie trifft, weil wegen der Energiepreise europäische Unternehmen nicht wettbewerbsfähig sein werden. Eine Deindustrialisierung Europas in den nächsten paar Jahren hätte dauerhafte Wohlstandsverluste zur Folge. Was das politisch bedeuten würde, kann man sich ausmalen, auch wenn ich den Eindruck habe, dass die Gefahr bei vielen politischen Entscheidungsträgern in ihrer Dringlichkeit nicht erkannt wird.

Für die europäische Politik, und für Österreich, das jetzt für seine unbedachte Abhängigkeit von russischem Gas besonders abgestraft wird, kann es keine höhere Priorität geben als die langfristige Erschließung neuer Energiequellen. Dafür werden wir schwierige Entscheidungen treffen müssen, zum Beispiel zur Atomkraft, zur Gasproduktion in Europa mittels Fracking (viel importiertes Flüssiggas wird natürlich mit Fracking erschlossen) und zum Ausbau von Gas- und Stromnetzen über Grenzen hinweg.

Es gibt keine guten Antworten, aber es gibt weniger schlechte Optionen. Wir sollen uns nicht täuschen: Der Hut brennt. Auch ohne Gas. (Veit Dengler, 21.11.2022)