450 Millionen Euro sollen heuer rund um den schwarzen Freitag in den Handel fließen.

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Man schrieb das Jahr 1929. In den USA stürzten am 24. Oktober die Börsenkurse in die Tiefe. Unter Anlegern brach Panik aus. Millionen Amerikaner verloren ihre Ersparnisse. Es war der Auftakt einer schweren Weltwirtschaftskrise. Am Tag nach dem Crash kauften viele New Yorker um ihr letztes Geld ein, bevor es an Wert verlor. Die Straßen der Stadt sollen schwarz vor Menschen gewesen sein. Liegen hier die Wurzeln des Black Friday? Oder wurden die Hände der Händler vielmehr nach Thanksgiving schwarz vom ständigen Geldzählen, weil die Amerikaner den Freitag nach dem beliebten Feiertag gern dazu nutzten, um Geschenke zu kaufen?

Für Geschichtsschreiber sind es zwei von vielen Thesen. Unbestritten ist, dass die kollektive Rabattjagd in den vergangenen zehn Jahren wie eine Welle nach Europa schwappte. Treibende Kraft dahinter war Amazon. Dank niedrigerer Kosten und steuerlicher Vorteile konnte der Onlineriese leichter Preisnachlässe gewähren als seine stationäre Konkurrenz. Neu waren große inszenierte Ausverkäufe nicht. Der schwarze Freitag und sein jüngerer Bruder, der Cyber Monday, verliehen ihnen jedoch ein neues, schrilles Mascherl.

Getrübte Aussichten

Aus Sicht der Konsumenten ist der Zeitpunkt Ende November gut gewählt. In keinen anderen Wochen ist der Anreiz, Geld auszugeben, höher als vor Weihnachten. Aus Sicht des Handels birgt er Zündstoff zur Selbstzerstörung. Rabattschlachten in der wichtigsten Saison des Jahres heizen zwar die Umsätze an, pulverisieren aber die Erträge und untergraben zugleich die Authentizität von Marken.

Ob das Verkaufsförderungsprogramm für den Handel heuer hält, was es verspricht, ist ungewiss. Deutlich gestiegene Lebenshaltungskosten rund um Energie, Mieten und Lebensmittel zwingen viele Haushalte zu sparen. Marktforscher dämpfen daher die Erwartungen für die sogenannte Black Week.

Tausende New Yorker feiern Thanksgiving und schauen sich die 96. jährliche Macy's Thanksgiving Day Parade in Manhattan an. Mit von der Partie: Baby-Yoda, Son-Goku, Boss-Baby, Paw-Patrol und Spongebob
DER STANDARD

Weniger Impuls, mehr Misstrauen

Boston Consulting zufolge will sich zwar jeder zweite Österreicher nach Angeboten umsehen, vor allem um den Weihnachtseinkauf vorzuziehen. Jeder Dritte schränkt die geplanten Ausgaben dafür aber deutlich ein.

Konsumenten kaufen dieses Jahr weniger impulsiv, erhob der Marktforscher ECC Köln. Drei Viertel wollen sich nur noch jene Produkte sichern, deren Anschaffung ohnehin beabsichtigt war. Zugleich wuchs das Misstrauen der Schnäppchenjäger. Mehr als die Hälfte unter ihnen meint zu wissen, dass die Aktionen gar keine sind, weil die abgezogenen Prozente zuvor kurzerhand draufgeschlagen wurden.

Für Bernadette Kamleitner liegt die starke Zugkraft von Rabattspektakeln dennoch auf der Hand. Zentral sei neben dem Herdentrieb der Faktor Zeit, sagt die Leiterin des Instituts für Marketing und Consumer Research der Wirtschaftsuniversität Wien. Die begrenzte Spanne der Preisnachlässe zwinge zu raschen Entscheidungen. Zugleich richte sich Aufmerksamkeit dorthin, wo viel in Bewegung sei. "Der Mensch ist letztlich immer noch Jäger und Sammler."

"Wir belügen uns selbst"

An Tagen wie dem Black Friday einzukaufen vermittle Konsumenten das Gefühl, Sparmeister zu sein. Was vermeintlich eingespart worden sei, fließe vielfach aber in zusätzliche Einkäufe, gibt Kamleitner zu bedenken. "Wir belügen uns selbst – allerdings so gekonnt, dass wir uns nicht auf die Schliche kommen."

Ehrliche Rechnungen stellen rund um aufwendig inszenierte Schleuderpreise freilich auch nicht alle Händler an. Für viele unter ihnen zeige der Black Friday mehr ihre Verzweiflung als ihren Jubel, ist Rainer Trefelik, Obmann des Handels der Wirtschaftskammer, überzeugt. Dass seine Branche heuer auf den schwachen Konsum mit noch höheren Rabatten reagiert, bezweifelt er. Schließlich seien ja auch die Kosten der Unternehmen querbeet massiv gestiegen. "Was soll da noch verschleudert werden?"

Der Black Friday sei heuer mehr denn je ein Spiel mit dem Feuer, warnt Trefelik mit Blick auf wichtige Deckungsbeiträge. Klar, die Versuchung, den Umsatz kurzfristig aufzublasen, sei groß. Aufgrund starken Wettbewerbs könnten ihr wenige Einzelhändler widerstehen. Aber sie sei Gift. Zudem riskiere man, Vertrauen der Kunden zu verspielen. "Warum sollten diese nur einen Tag später für das gleiche Produkt um gut ein Drittel mehr zahlen? Das wäre ja völlig irrational."

"Unsinn Rabattschlacht"

Auch Stephan Mayer-Heinisch ist kein Fan des USA-Imports Black Friday. Der Präsident des österreichischen Handelsverbands nennt die Rabattschlachten in der Hauptsaison der Branche blanken Unsinn. "Sie haben ein System zerstört, in dem der Handel zumindest einige Wochen lang Zeit hatte, seine Waren zum vollen Preis zu verkaufen."

Wie viel die Österreicher heuer tatsächlich rund um den 25. und 28. November ausgeben werden, darüber wird in mannigfaltigen Studien munter spekuliert. Der Handelsverband geht von 450 Millionen Euro aus, die in dieser Zeit in die Geschäfte fließen, inflationsbereinigt um sieben Prozent weniger als 2021.

Konsumenten verweigerten nicht nur dem stationären Handel, sondern auch Onlinekonzernen die Gefolgschaft, zieht Mayer-Heinisch Bilanz. Er erinnert an Amazon. Jahrelang habe die Politik zugelassen, dass der Internetriese Stadt- und Ortskerne ruinierte. Nun leitet dieser angesichts trüber Wirtschaftsaussichten seinen bisher größten Stellenabbau ein.

Günstige Ladenhüter

Gut 10.000 Jobs sollen weltweit gestrichen werden. "Es geht nicht um Optimierung. Es zeigt, dass Kunden umdenken", meint Mayer-Heinisch. Wer der Rezession nicht ins Auge blicke, falle nächstes Jahr aus großer Höhe.

Sehenden Auges riskieren Unternehmer in der Zeit der Abverkäufe freilich kein Blutbad in den Erträgen. Industrie und Handel haben die Spielregeln des Black Friday mittlerweile weitgehend verinnerlicht. Teils wird ein eigenes Sortiment dafür produziert. Teils helfen die Aktionen dabei, Ladenhüter loszuwerden und Platz für Weihnachtsware zu schaffen.

Was bei Lockartikeln verlorengeht, holt man sich mit anderen Produkten zurück. Zudem gibt es Gegenbewegungen: Etliche Handelsketten steigen aus dem Rabattreigen aus oder drehen den Spieß um, indem sie an diesen Tagen zu mehr Nachhaltigkeit aufrufen.

Das ist in Zeiten, in denen viele Konsumenten den Gürtel enger schnallen müssen, kein leichtes Unterfangen. Ein Drittel von ihnen verzichte aufgrund der Teuerung auf umweltfreundlichere Produkte, erhob die ECC Köln.

Kamleitner rät jedoch zu einem Perspektivenwechsel. Konsumenten könnten sich als Opfer sehen oder bisherige Einkaufsgewohnheiten infrage stellen. Corona habe viele dazu veranlasst, bewusst zu konsumieren und den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern.

Nachhaltigkeit wurde salonfähig

Nachhaltigkeit sei salonfähig geworden und ausgiebig zelebriert worden. "Wer sich ein Jahr lang keine Kleidung kauft, dem wird auf die Schulter geklopft. Wer spart, darf das jetzt auf die große Glocke hängen, nach dem Motto: Zeig mal, mit wie wenig du auskommst."

Doch klingt, was der Mittelschicht möglich ist, für Haushalte mit geringem Einkommen nicht nach Hohn? "Armut belastet psychisch, untergräbt das Selbstwertgefühl und weckt den Wunsch nach Kompensation", sagt Kamleitner. Diese Kompensation habe wiederum viel mit Konsum zu tun. Aber auch hier könnte Nachhaltigkeit zum Statussymbol werden. (Verena Kainrath, 21.11.2022)