Jan Åge Fjørtoft wird über die Fußballspiele sprechen. Ein Boykott der WM war für ihn kein Thema.

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Der TV-Experte Jan Åge Fjørtoft ist gegen einen Boykott der WM in Katar. Der 55-jährige Norweger glaubt nicht an einen Überraschungsweltmeister. Den Druck, bei Rapid zu spielen, hält er für eine Ausrede.

STANDARD: In Norwegen wird die WM in Katar besonders kritisch gesehen. Verbandschefin Lisa Klaveness hielt auf einem Kongress in Doha eine Brandrede gegen die Fifa. Nun reisen keine Vertreter Norwegens zu den Spielen in die Wüste. Wie erklären Sie sich die Stimmung in Ihrer Heimat?

Fjørtoft: Die Diskussion in Norwegen ist interessant, weil sie nicht nur populistisch ist. Wir sind froh, eine Präsidentin zu haben, die sich traut, etwas zu sagen. Ich persönlich bin gegen einen Boykott. Ich erinnere mich an 1980, als Norwegen die Olympischen Spiele in Russland boykottierte, weil Russland in Afghanistan Krieg führte. Auch das wurde damals heiß diskutiert. Amnesty International sagt, ein Boykott ist nicht zielführend für die Entwicklung der Länder im arabischen Raum. Doch nur weil man etwas nicht boykottiert, heißt das nicht, dass man schweigen muss. Ich würde mit der Kritik auch woanders ansetzen.

STANDARD: Wo genau?

Fjørtoft: Bei den internationalen Sportverbänden. Wir brauchen mehr Offenheit, demokratischere Strukturen, mehr Frauen in Führungspositionen und Athleten, die etwas zu entscheiden haben. Ich habe als Berater für die einstige Wada-Vizepräsidentin Linda Helleland gearbeitet, sie war für einen kompletten Ausschluss Russlands von Olympischen Spielen, bekam dafür Morddrohungen. Das ist keine Diskussionskultur, es herrscht nur mehr Schwarz-Weiß-Denken.

STANDARD: In Katar findet auch Sport statt. Mit Erling Haaland ist der derzeit wohl beste Stürmer der Welt bei der WM nicht dabei. Wird er sich daran gewöhnen müssen, als Norweger bei größeren Turnieren nur Fußballfan zu sein?

Fjørtoft: Nein, er ist stolzer Norweger. Er muss einfach wahnsinnig hart arbeiten, um sich mit seinem Heimatland irgendwann für eine Endrunde zu qualifizieren. Es gibt viele Beispiele von tollen Spielern, die nie bei einer WM dabei waren, einer der bekanntesten ist George Best. Oder nehmen wir Wales, die waren zuletzt 1958 dabei. Das traf mehrere Generationen von Spielern wie etwa Mark Hughes, Ian Rush oder Ryan Giggs. Das ist halt so.

STANDARD: Im Sommer kamen die Spieler nach einer langen Saison oft ausgelaugt zu einer WM, diesmal stehen sie voll im Saft. Wird das vom sportlichen Niveau her die beste WM aller Zeit?

Fjørtoft: Das ist durchaus möglich. Auf der anderen Seite könnte man argumentieren, dass mit einer längeren Vorbereitungszeit mehr Erholung möglich ist. Es wird sehr spannend sein zu sehen, ob in der Hitze abwartend gespielt wird oder mit Vollgas. Es könnte ein Nachteil für Deutschland sein, die sich immer extrem gut vorbereiten. Im Gegensatz zu den Engländern, die könnten nach drei Tagen wieder einen Sonnenbrand haben. So wie bei der WM 2010 in Südafrika.

STANDARD: Verfolgen Sie die Entwicklungen bei Rapid?

Fjørtoft: Natürlich, ich habe immer noch Freunde in Hütteldorf. Ich bin sehr beeindruckt davon, was Salzburg auf die Beine gestellt hat. Das ist einmalig in ganz Europa. Aber man sollte diesen Erfolg nicht nur mit einem großen Budget erklären. Man sollte auch sehen, dass in Salzburg sehr gut gearbeitet wird. Und daran sollte sich Rapid orientieren. Mit guter Arbeit kommt der finanzielle Erfolg.

STANDARD: Bei Rapid wird immer wieder vom Druck und der großen Last gesprochen, das grün-weiße Trikot zu tragen.

Fjørtoft: If you can’t stand the heat, get out of the kitchen. Dann musst du Spieler holen, die mit diesem Druck umgehen können. Alles andere sind Ausreden. Ich habe vier Jahre bei Rapid gespielt, hatte das Glück, als Stürmer Hans Krankl als Trainer zu haben, habe viel von ihm gelernt. Es waren sehr schöne, aber auch nicht einfache Jahre. Ich weiß, wovon ich spreche.

STANDARD: Sie haben einst Eintracht Frankfurt vor dem Abstieg gerettet. Nun steht das Team von Oliver Glasner im Achtelfinale der Champions League. Was macht seinen Erfolg aus?

Fjørtoft: Nachdem Hütter und Bobic weg waren, hat Glasner gemeinsam mit Sportvorstand Markus Krösche das Schiff auf Erfolgskurs gebracht. Der Verein ist sehr gut organisiert. Viele Topvereine haben Glasner in ihren Notizblöcken stehen. Wie Glasner die Mannschaft managt, wenn es nicht so gut rennt, das finde ich sensationell. Er bleibt ruhig. Das gelingt vielen Trainern in der Garderobe nicht.

STANDARD: Wer wird Weltmeister?

Fjørtoft: Frankreich verteidigt seinen Titel. Obwohl sie mit Lloris keinen guten Keeper haben. Das wird "the last dance" für Deschamps, dann kommt Zidane. Du brauchst starke Individualisten, eine Elf aus lauter Teamplayern reicht nicht. Deshalb wird es auch keinen Überraschungsweltmeister geben. Teams wie Dänemark oder Niederlande fehlt ein Matchwinner im Sturm, eine klare Nummer neun. (Florian Vetter, 21.11.2022)