Das türkische Verteidigungsministerium hat ein Foto veröffentlicht, auf dem zu sehen ist, wie Verteidigungsminister Hulusi Akar die Luftangriffe anordnet.

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Die türkische Luftwaffe hat in der Nacht von Samstag auf Sonntag in der sogenannten Operation "Klauenschwert" 89 Ziele in Nordsyrien und im Nordirak zerstört. Laut Mitteilung des Verteidigungsministeriums seien diese Angriffe als Vergeltung für den Terroranschlag in Istanbul am Sonntag vor einer Woche gedacht. "Die Terrorangreifer werden zur Rechenschaft gezogen", twitterte das türkische Militär. Offiziell rechtfertigt die türkische Regierung sich mit Verweis auf Artikel 51 der UN-Charta, in der das Selbstverteidigungsrecht eines Landes geregelt ist.

Nach offiziellen Angaben waren die Ziele Stellungen der syrischen Kurdenmiliz YPG rund um die Stadt Kobane sowie Bunker und Höhlen der PKK im Sinjar-Gebirge im Nordirak. Türkische Medien berichten, dass die Luftangriffe in zwei Wellen mit jeweils zehn Kampfbombern vom Luftwaffenstützpunkt Diyarbakır ausgingen.

Hauptziel sei es gewesen, das Hauptquartier der YPG in Kobane zu vernichten. Im Anschluss an das Bombenattentat in der Istanbuler Fußgängerzone hatte die Polizei berichtet, die mutmaßliche Attentäterin hätte ihre Anweisungen "aus Kobane" erhalten.

Mindestens 31 Tote

Laut lokalen Berichten wurden bei den Angriffen mindestens 31 Menschen getötet. Nach Angaben der YPG wurden zwei Dörfer bei Kobane bombardiert und auch ein Posten der syrischen Armee getroffen.

Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar rühmte dagegen die präzise Trefferquote auf "terroristische Stellungen". In martialischer Rhetorik wurde betont, dass bei allen terroristischen Angriffen auf die Türkei auch die Drahtzieher zur Rechenschaft gezogen würden. Mit den Luftschlägen scheint der Angriff in Nordsyrien erst einmal beendet. Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass ein Einmarsch von Bodentruppen vorbereitet wird.

Der Wunsch nach einer Sicherheitszone

Die Stadt Kobane, durch ihren erfolgreichen Kampf gegen den IS im Winter 2014/15 bekannt geworden, gehört zu den Orten, die schon länger im Visier der türkischen Militärplaner sind. Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der den Angriffsbefehl unmittelbar nach seiner Rückkehr vom G20-Gipfel in Bali gegeben hat, hatte schon im Sommer angekündigt, die YPG aus einer 30 Kilometer tiefen Sicherheitszone entlang der türkischen Grenze vertreiben zu wollen. Kobane wäre in dieser Zone die größte Stadt.

Gegen diesen Einmarsch hatten sowohl Russland als auch die USA Einspruch erhoben, sodass Erdoğan dieses Projekt erst einmal auf Eis legte. Den jetzigen Angriff hatte er offenbar bereits in Bali US-Präsident Joe Biden angekündigt. Einen Tag vor dem Einsatz waren jedenfalls US-Staatsbürger aufgefordert worden, Nordsyrien und den Nordirak zu meiden. In einem Telefonat mit Kreml-Chef Wladimir Putin am Freitag hatte Erdoğan den Angriff vermutlich ebenfalls vorangemeldet.

Verbündete der USA

Am Sonntag haben die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) unter Führung der YPG Vergeltung für die türkischen Luftangriffe angekündigt. "Diese Angriffe der türkischen Besatzungstruppen werden nicht ohne Antwort bleiben", hieß es in einer Erklärung. Die SDF wurden von den USA zur Bekämpfung des IS aufgestellt und ausgerüstet. (Wolf Wittenfeld, 20.11.2022)