Nachdem hierzulande jahrzehntelang um Maßnahmen zum Klimaschutz gestritten und neben verschiedenen Rückschlägen auch einige Erfolge erzielt wurden, scheint plötzlich alles sehr schnell zu gehen. Bereits in etwa drei Jahren müsste Österreich komplett klimaneutral sein, um seinen Beitrag zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels zu leisten. Das zeigt nun eine Studie des Climate Change Centre Austria (CCCA).

Dass die Zeit zur Bekämpfung des Klimawandels knapp wird, ist nicht neu, doch fehlten bislang oft verlässliche Zahlen. Die Einschätzung der Situation hängt von vielen Faktoren ab, darunter einige Klimawandelfolgen, die noch nicht zur Gänze verstanden sind, sowie unbekannte gesellschaftliche Entwicklungen. Das CCCA, eine Plattform aus Forschenden, die sich als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik versteht, hat deshalb den Status quo evaluiert und Wahrscheinlichkeiten errechnet, mit denen sich bestimmte Ziele erreichen lassen.

Maximal 240 Megatonnen CO2 für Österreich

Das wichtigste Ergebnis: Um das 1,5-Grad Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent zu erreichen, dürfen global maximal noch 420 Gigatonnen CO2 ausgestoßen werden. Blieben die Emissionen konstant, wäre diese Menge noch in diesem Jahrzehnt verbraucht.

Auf Österreich umgerechnet ergibt sich ein Budget von 240 Megatonnen CO2. In Österreich wäre dieses bereits 2025 aufgebraucht, also in drei Jahren. In die Berechnung fließt dabei nicht nur das CO2, sondern auch andere Treibhausgase ein, darunter Methan, die in CO2-Äquvalenten gemessen werden. Insgesamt beträgt das Budget noch 280 Megatonnen in CO2-Äquivalenten.

Die Studie nimmt dazu an, dass Wälder, Moore und Böden ihre Rolle als CO2-Senken weiter unverändert wahrnehmen. Das ist eine optimistische Annahme, die davon ausgeht, dass negative Effekte durch Bodenversiegelung und Extremwetterereignisse an anderer Stelle ausgeglichen werden.

Fossile Energieträger machen global immer noch einen großen Teil des Energiemixes aus.
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Die Fachleute betonen die Notwendigkeit einer Verteilung des nationalen Treibhausgasbudgets auf Bundesländerebene, um diesen Planungssicherheit für ihre Treibhausgasreduktionen zu geben. Dafür sind aber weitere Erhebungen und Berechnungen notwendig.

Warum ist das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels so wichtig? Bei der Pariser Klimakonferenz 2015 einigten sich die wichtigsten Industriestaaten auf dieses Ziel. Neben den verminderten Auswirkungen durch die geringere Erwärmung geht es dabei vor allem darum, Kipppunkte zu vermeiden, die zu Kettenreaktionen und darauf folgend einer unkontrollierbaren Erwärmung führen können. Ein prominentes Beispiel ist das Auftauen des sibirischen Permafrosts, erst kürzlich fanden Forschende heraus, dass ein riesiges Moorgebiet im Kongo vom Austrocknen bedroht ist. Solche Ereignisse würden große Mengen an im Boden gebundenen Treibhausgasen freisetzen, zusätzlich zu dem CO2 aus industriellen Quellen.

Europa soll Vorbild sein

Europa spiele historisch als Vorreiter und Vorbild eine entscheidende Rolle, sagt Harald Rieder von der Universität für Bodenkultur Wien, der Obmann des CCCA und Mitautor der Studie: "Österreich sollte als Teil davon daher auch beim Klimaschutz ein Vorbild werden und neben der ambitionierten Zielsetzung auch zügig Maßnahmen umsetzen, die eine Einhaltung des uns zustehenden Treibhausgasbudgets ermöglichen."

Die nun vom CCCA errechneten Szenarien setzen die ungehinderte Funktion heimischer Kohlenstoffsenken wie Moore und Wälder voraus. Naturkatastrophen wie Brände könnten die Lage aber zusätzlich verschärfen.
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Mitautor Karl Steininger von der Universität Graz betont, dass es um die Zukunft von Generationen gehe. "Dass junge Menschen eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 Prozent für das Einhalten des 1,5-Grad-Grenzwerts fordern, ist verständlich." Mit der nun veröffentlichten Arbeit wolle man eine wissenschaftliche Basis für die derzeit politisch diskutierten Klimastrategien schaffen, sagt Claudia Michl, Leiterin der CCCA-Geschäftsstelle. "Der Bund und in späterer Folge auch die Bundesländer sollen wissen, welche Emissionen ihnen theoretisch noch zustehen, um ihre Klimastrategien daran orientieren zu können", sagt Michl.

Thomas Schinko vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg vergleicht die Rechnung mit der Erstellung eines Budgets: "So wie Österreich sich im finanziellen Bereich überlegen muss, wie es mit den vorhandenen Mitteln auskommt, so muss es diese Überlegungen auch bei den THG-Emissionen anstellen. Mehr zu emittieren als uns zusteht bedeutet, dass wir uns bei anderen Ländern und bei nachrückenden Generationen verschulden."

Die nun veröffentlichten Daten sollen der Politik als Entscheidungshilfe dienen und machen eine objektive Bewertung der Folgen politischer Maßnahmen möglich. Nachdem das Ergebnis der Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheikh wegen des Minimalkompromisses als Enttäuschung wahrgenommen wurde, bekannten sich die Staaten dort zumindest zum 1,5-Grad-Ziel.

Derzeit deutet allerdings wenig darauf hin, dass die Maßnahmen in Österreich mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel sind. Im Regierungsprogramm ist Klimaneutralität erst für 2040 vorgesehen. Die in Österreich inzwischen eingeführte CO2-Bepreisung wurde bereits bei ihrem Beschluss von Fachleuten als unzureichend kritisiert. Die Wirtschaftskammer forderte dagegen im Juni ein Aussetzen ihrer Einführung, letztlich wurde sie auf September verschoben. Für energieintensive Betriebe gibt es Ausnahmen, sie bekommen teils bis zu 95 Prozent der Mehrkosten zurück. (Reinhard Kleindl, 21.11.2022)