Für Präsident Radev bringt die Übergangsregierung Vorteile.

Foto: EPA/DUMITRU DORU

In Bulgarien schlägt ein Plan zur Änderung des Wahlgesetzes hohe Wellen. Die Änderung wird von der stimmenstärksten Partei Gerb und der Bewegung für Rechte und Freiheiten unterstützt, die den Ruf haben, korrupt zu sein. Es geht darum, dass die Wahlen wieder mit Stimmzetteln aus Papier und nicht elektronisch durchgeführt werden sollen. Gerb-Chef Gojko Borissov begründete den Versuch der Änderung des Wahlgesetzes damit, dass "seine Wähler" dies so wollten.

Die elektronisch durchgeführten Wahlen gelten allerdings als weniger leicht zu manipulieren. Kritik und Protest gegen das Vorhaben kamen am Freitag vor allem von Anhängern der Reformpartei "Wir setzen den Wandel fort" von Ex-Premier Kiril Petkov und der Demokratischen Partei. Der Versuch der Änderung des Wahlgesetzes im Parlament wurde in der Folge von Ex-Premier Borissov um eine Woche verschoben.

Praktisches Interregnum

Offensichtlich will die Gerb allerdings die Zeit des Interregnums nutzen. In Bulgarien fanden am 2. Oktober Wahlen statt, doch Präsident Rumen Radev hat noch immer keiner Partei das Mandat zur Regierungsbildung erteilt. Das hat offenbar auch damit zu tun, dass die technische Übergangsregierung von ihm ausgewählt wurde und er daher enormen Einfluss hat, jedenfalls einen viel größeren, als wenn eine vom Parlament gewählte Regierung im Amt wäre.

Ex-Premier Kiril Petkov übt scharfe Kritik an den Vorschlägen für die Gesetzesänderung.
Foto: Reuters/SPASIYANA SERGIEVA

Vessela Tcherneva vom European Council on Foreign Relations in Sofia verweist darauf, dass es nicht im Sinne der Verfassung sei, dass der Präsident eine derart mächtige Rolle einnimmt. "Bulgarien ist eine parlamentarische und keine präsidiale Republik." Radev argumentierte am Montag, dass er verhindern möchte, dass noch vor März Neuwahlen stattfinden, falls die Regierungsbildungen scheitern sollten. Die Bulgaren und Bulgarinnen wurden im Oktober zum vierten Mal innerhalb von nur eineinhalb Jahren zu den Urnen gebeten. Die Wahlbeteiligung sinkt.

Weder Borissov noch Petkov

Es wird erwartet, dass Radev in den kommenden Tagen Borissov von der konservativ-klientelistischen Partei Gerb das Mandat zur Regierungsbildung übergibt. Dieser hat es aber bislang auch ohne Mandat nicht fertiggebracht, andere Parteien dazu zu bringen, eine Parlamentsmehrheit zu bilden. Gegen Borissov, der seit 2009 die meiste Zeit an der Macht war, liegen zahlreiche Korruptionsvorwürfe vor. Er hat bereits kundgetan, dass er nicht Premierminister werden möchte.

Gegen Langzeitpremier Borissov liegen zahlreiche Korruptionsvorwürfe vor.
Foto: EPA/VASSIL DONEV

Wenn Borissov an der Regierungsbildung scheitert – was zu erwarten ist –, geht das Mandat an die Partei "Wir setzen den Wandel fort" von Petkov, der bis zum Sommer für sieben Monate eine Reformkoalition anführte. Aber Petkov hat bereits klargestellt, dass er mit einigen Parteien keine Koalition bilden will, weil diese Reformen blockieren würden. Deshalb ist auch eine neuerliche Regierung unter seiner Führung unwahrscheinlich.

Tcherneva denkt, dass Radev in der Folge einer der kleineren Parteien das Mandat übergeben und diese mithilfe der Gerb eine Minderheitsregierung bilden könnte. "Das ist wohl die Situation, auf die sich Borissov vorbereitet", so Tcherneva zum STANDARD. Denn dann könnte mit der Bewegung für Rechte und Freiheiten, die von einem Oligarchen dominiert wird, mit der neuen Partei Bulgarischer Aufstieg von Stefan Janev und vielleicht mit den Sozialisten eine Koalition gebildet werden. Janev steht Präsident Radev nahe und könnte von ihm ausgewählt werden, dieses Kabinett zusammenzusetzen. Seine Partei hat etwa 4,5 Prozent der Stimmen erhalten. Tcherneva denkt, dass so eine Koalition noch vor Jahresende zustande kommen könnte.

Mögliche Stärkung prorussischer Kräfte

Mit so einem Kabinett würden aber auch die prorussischen Kräfte gestärkt werden. Janev etwa wurde von Petkov als Verteidigungsminister entlassen, weil er im Sinne des Kreml nicht von einem "Krieg" gegen die Ukraine, sondern von einer Spezialoperation gesprochen hatte.

Auch Radev hat prorussische Positionen. So versuchte er, wieder mit der Gazprom ins Geschäft zu kommen, die den Gashahn für Bulgarien im Frühjahr zugedreht hatte. Viel wird nun auch davon abhängen, ob die Sozialisten in einer Janev-Regierung mitmachen würden oder nicht. Sie könnten die Funktion des Königsmachers übernehmen.

Zwischen Kreml und dem Westen

Tcherneva glaubt, dass Borissov selbst eine pragmatische Haltung zum Ukraine-Krieg einnehmen wird. "Wenn Putin verliert, dann wird er sich wohl mehr euroatlantisch orientieren", meint sie. Der proeuropäische Reformpolitiker Petkov versuchte in seiner kurzen Amtszeit, Bulgarien aus dem Einflussbereich des Kreml zu bringen. Mittlerweile wurde auch das Verbindungsstück der Pipeline nach Griechenland fertiggestellt, das eine Gasversorgung über den LNG-Terminal bei Thessaloniki ermöglicht. Auch das Verbindungsstück zu Serbien wird gebaut. Serbien könnte damit alternatives Gas zum russischen Gas beziehen.

In Bulgarien befürchtet man indes auch, dass die EU-Staaten im Dezember nicht zustimmen könnten, dass das Land der Schengenzone beitritt. Insbesondere die Niederlande und Schweden haben eine kritische Haltung dazu. Es könnte sein, dass nur Kroatien die Zustimmung der anderen Staaten erhält – nicht aber Rumänien und Bulgarien, die seit vielen Jahren den Schengenbeitritt erhoffen. (Adelheid Wölfl, 21.11.2022)