Der Wunsch vieler Konsumentinnen und Konsumenten, sich möglichst pflanzlich zu ernähren, hat einem Produkt zu einem Comeback verholfen, das übler nicht beleumundet sein könnte: dem Analogkäse. Mit dem Label "vegan" versehen, hat er es in den Mainstream geschafft. Man findet die unterschiedlichsten Varianten des Käseimitats in den Kühlregalen von Billa, Spar, Hofer und Co. Ein Sieg des Analogkäses durch die zeitgeistige Hintertür – könnte man überspitzt sagen.

Aber ist die Sache wirklich so einfach?

Schon einmal konnte sich der Analogkäse groß in Szene setzen – als österreichisches Unwort des Jahres 2009. Diese zweifelhafte Ehre hatte er sich unredlich erarbeitet. Stand er doch im Mittelpunkt eines Lebensmittelskandals, im Zuge dessen er zum neuen Star der Medien avancierte und sich unauslöschlich ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit brannte. Er war quasi in aller Munde – aber eher unabsichtlich: Konsumentenschützer hatten damals herausgefunden, dass in vielen Fertigprodukten wie Tiefkühlpizza oder Tiefkühllasagne, aber auch bei einigen Backwaren und in der Gastronomie Käse zum Einsatz kam, der alles andere war, nur kein Käse im allgemein gebräuchlichen Sinn.

Die Täuschung

"Ein klassischer Fall von Konsumententäuschung", erinnert sich Birgit Beck, seit 1996 beim Verein für Konsumenteninformation (VKI) tätig. Verbraucherinnen und Verbraucher hätten sich die Zutatenliste schon sehr genau anschauen müssen, um herauszufinden, was sich da genau auf dem Pizzabelag befindet: ein Ersatzprodukt, das überhaupt nichts mit echtem Käse zu tun hat, aber als solcher verkauft wurde.

Die Grundprodukte dieses Surrogats sind im Wesentlichen pflanzliche Fette, Palmöl, Salz, Emulgatoren, Stärke, Aroma- und Farbstoffe sowie Geschmacksverstärker. Dieser "Schummelkäse" ist in der Herstellung günstiger als echter Käse, da kein Reifungsprozess notwendig ist, was ihn für Lebensmittelindustrie und Gastronomie interessant machte. Zudem sind Schmelzverhalten und Hitzebeständigkeit besser als bei echtem Käse.

Kunstkäse auf Tiefkühlpizza und Co waren Auslöser eines Lebensmittelskandals. (Symbolfoto)
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Obwohl an dieser Stelle festgehalten werden muss, dass von diesem Analogkäse in keinster Weise eine Gefährdung für Leib und Leben weder ausging noch ausgeht, war die Aufregung groß, die Seriosität der Lebensmittelindustrie wurde (wieder einmal) angezweifelt. All das mündete schließlich in neue, EU-weite Regeln zur Kennzeichnung von Lebensmitteln.

Beschlossen 2011, dürfen seit 2014 Hersteller Lebensmittelimitate wie eben Kunstkäse nicht mehr als Käse bezeichnen. Fun-Fact: Der Leberkäse darf weiterhin Leberkäse heißen. 2017 gab es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, der den Schutz von Bezeichnungen wie Rahm, Joghurt, Butter und Käse festlegte. Folgt man dem Österreichischen Lebensmittelbuch (Codex Alimentarius Austriacus), versteht man unter der Bezeichnung "Käse" von Haus aus nur Erzeugnisse, die aus Milch hergestellt werden. Doch damit war und ist die Causa "Analogkäse" nicht abgeschlossen. Was nicht zuletzt am Zeitgeist liegt.

Der Zeitgeist

Denn konventionelle Lebensmittel und deren Produktion werden von immer mehr Menschen infrage gestellt, immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten sind bereit, ihren Fleisch- und Milchkonsum einzuschränken. Aus welchen Gründen auch immer. Tatsächlich nimmt der Verbrauch von "Konsummilch", also von Trinkmilcherzeugnissen inklusive Joghurt und Sauermilch, hierzulande ab: Nur noch 70,1 Kilogramm betrug der Pro-Kopf-Verbrauch laut Statistik Austria im Jahr 2021, ein Jahr davor waren es noch 75 Kilogramm. Beim Käse hingegen war der Rückgang nur minimal: 23,2 Kilogramm 2021 stehen 23,9 Kilogramm 2020 gegenüber.

Wachsende Nachfrage: Im September eröffnete eine Handelskette einen rein veganen Supermarkt in Wien.
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Umfrageergebnisse des Marktforschungsinstituts Marketagent mit 500 Befragten zwischen 19 und 75 Jahren von Anfang 2021 wiederum zeigen, dass sich bereits elf Prozent der Österreicher fleischfrei, also vegan oder vegetarisch, ernähren. In einer Befragung des Handelsverbandes Österreich gaben außerdem 30 Prozent von 500 Befragten an, sich flexitarisch zu ernähren, also hauptsächlich fleischlos zu essen. Zitiert wurden diese Erkenntnisse in einem Bericht des STANDARD. Anlass war die Eröffnung eines neuen, rein veganen Supermarkts, betrieben vom Handelsriesen Rewe, Anfang September 2022 in Wien. Aber nicht nur dort findet man immer mehr vegetarische und vegane Produkte. Sie tauchen ebenso längst bei Diskontern und anderen Handelsketten auf.

Die Kritik

"Wir haben 2.682 pflanzenbasierte Artikel, davon 1.967 vegane Artikel, im Sortiment", teilt Nicole Berkmann, Unternehmenssprecherin von Spar, schriftlich mit. Das sei, behauptet sie, das größte Sortiment für Veganer und Vegetarier in Österreich. Mit genauen Absatzzahlen könne sie zwar nicht dienen, hält aber fest, dass allein die Eigenmarke Spar Veggie von Jänner bis September 2022 ein Umsatzplus von vier Prozent verzeichnet hätte. Im Sortiment von Spar findet sich auch "veganer Käse", auch wenn er so selbstverständlich nicht mehr bezeichnet werden darf.

Diese Entwicklung rief früh Kritiker auf den Plan. Etwa die Starköchin und nunmehrige Politikerin Sarah Wiener, die schon 2015 vor einer "diätischen Mangelernährung" durch Veganismus warnte und sinngemäß meinte, dass man sich noch vor einigen Jahren über Analogkäse auf Pizzen aufgeregt hätte. Heute werde das gleiche Produkt "vegan gelabelt und doppelt so teuer verkauft wie Biokäse". Kommentare österreichischer Politiker und Vertreterinnen der Landwirtschaftskammer schlugen bis in die jüngste Vergangenheit in dieselbe Kerbe. Man fürchtete nicht zuletzt um ein Kulturgut, immerhin zählt das Käsen zu einem der ältesten Verfahren zur Haltbarmachung von Milch. Dass Milchbauern (und Molkereien) keine Freude mit der neuen Konkurrenz in der Käsetheke haben, verwundert nicht. Stehen sie doch seit Jahren unter Druck – fallende Milchpreise, weniger Nachfrage, zuletzt Inflation und hohe Energiekosten treiben ihnen die Sorgenfalten auf die Stirn.

Das Missverständnis

Aber handelt es sich beim Käseimitat von heute immer noch um den Analogkäse von früher? Fest steht, dass die Hersteller den Teufel tun würden, ihre Produkte als Analogkäse zu bezeichnen. Zum einen dürfen sie das aus den genannten Gründen gar nicht mehr, zum anderen ist der Begriff wohl für alle Zeiten negativ behaftet. Man habe sehr kreative Bezeichnungen gefunden, von "Pizzaschmelz" bis hin zu "Cashewbert" (statt Camembert), stellt Birgit Beck fest: "Es sind Bezeichnungen, die schon darauf hindeuten, welches Produkt damit ersetzt werden und was man damit machen kann." Beschwerden über eine Verwechslung seien jedenfalls noch nie an den VKI herangetragen worden. Den fragwürdigen Analogkäse gebe es allerdings noch immer: im Großhandel als Billigschiene für die Gastro, sagt Birgit Beck.

"Damals, als der Analogkäse-Skandal ans Tageslicht kam, hat niemand behauptet, dass es sich dabei um ein veganes Produkt handelt", meint Felix Hnat. Der Obmann und Geschäftsführer der Veganen Gesellschaft Österreich hält fest: "Vegan ist damals noch kein so großes Thema gewesen." Aus seiner Sicht liegt hier ein Missverständnis vor: "Denn beim Analogkäse von damals wurden auch Tierprodukte als Zutaten verwendet." Tatsächlich findet man in der Zutatenliste des "bösen" Analogkäses zum Beispiel Milchpulver und sogar Rindertalg – billige Ersatzstoffe also. "Ich war damals schon Veganer und hätte mich darüber gefreut, wenn es einen echten veganen Käse gegeben hätte", sagt Hnat.

Der Vergleich

Das hat sich in letzten Jahren offensichtlich grundlegend geändert: Die Auswahl an veganen Käsealternativen ist mittlerweile groß und wächst beständig. Hat sich auch die Qualität verbessert? "Man kann nicht per se sagen, vegane Alternativen seien gut oder schlecht", meint Birgit Beck dazu: "Man muss sich in jedem Fall die Zutatenliste anschauen." Es gebe Produkte auf Mandel- oder auf Cashewbasis, die okay seien, hält die studierte Ernährungswissenschafterin fest.

Veganer Mozzarella: Die Auswahl an pflanzlichen Käsealternativen ist mittlerweile groß und wächst beständig.
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Kritisch steht sie jenen Imitaten gegenüber, die aus Kokos- oder Palmfett bestehen: "Die sind aus ernährungsphysiologischer Sicht bedenklich." Ganz allgemein gelte für vegane Produkte, wie bei allen Lebensmitteln auch: Möglichst regional, möglichst frisch, möglichst unverarbeitet sollten sie sein. Eine lange Zutatenliste sollte immer ein Warnsignal sein. Ein guter veganer Käse sei von den Fettsäuren her gesehen teilweise besser als das Original, meint sie.

Die Zielgruppe

Nur Kalzium, das im echten Käse reichlich vorhanden ist, müsse man sich als vegan lebender Mensch anderweitig holen – etwa über Nüsse, Brokkoli oder Kohl. Das Gleiche gilt übrigens auch für Eiweiß, wie die Ernährungswissenschafterin und Sensorik-Expertin Eva Derndorfer ergänzt: "Wenn man abseits der Motivation, kein tierisches Produkt zu essen, Ansprüche an den gesundheitlichen Wert von einem Lebensmittel hat, dann wird es bei pflanzlichen Käsealternativen eher schwierig." Wer auf Milchprodukte verzichtet, sollte darauf achten, seinen Eiweißbedarf mit anderen Lebensmitteln zu decken.

Tatsächlich scheint man im Bereich der veganen Lebensmitteltechnologie – getrieben nicht zuletzt durch die steigende Nachfrage – Fortschritte gemacht zu haben: Die Geschmeidigkeit der Scheiben, unterschiedliche Geschmacksrichtungen, Reifeverfahren mit Schimmelkulturen führten zu einer stetigen Produktverbesserung und einer Annäherung an die "gelernten tierischen Käseprodukte". Für überzeugte Veganer wie Felix Hnat, der bereits seit 20 Jahren vegan lebt, ist der Geschmack nicht ausschlaggebend: "Manche sind echt grauslich, und manche sind wirklich köstlich", gibt er zu und meint: "Für mich muss ein veganer Käse nicht unbedingt nach Käse schmecken." Tatsächlich wisse er gar nicht mehr, wie echter Käse schmeckt.

Das Marketing

Hardcore-Veganer stehen aber gar nicht im Zentrum des Marketings: Es geht darum, es Flexitariern leichter zu machen, zu einer pflanzlichen Alternative zu greifen ohne Abstriche im Geschmack. Und wenn's der Geschmack nicht richtet, dann sind es jene Argumente, die bei keiner Diskussion über Lebensmittel und deren Produktion fehlen dürfen: Wasserverbrauch, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und nicht zuletzt: das Tierwohl. Einschlägige Studien darüber gibt es zuhauf und werden gerne von den Marketingverantwortlichen der Hersteller aufgegriffen, denn wenn der ökologische Aspekt nicht verfängt, dann sollen es ethische oder gesundheitliche Aspekte richten, um möglichst viele Verbraucherinnen und Verbraucher zu erreichen.

Bleibt die Frage nach dem höheren Preis. Tatsächlich kostet ein konventioneller Camembert von Schärdinger beispielsweise bei Interspar 18,90 Euro pro Kilogramm, sein analoges Pendant von Veganz, immerhin in Bioqualität, 34,32 Euro pro Kilogramm. Vergleicht man den Preis von geriebenem Pizzakäse (Schärdinger) und dessen Imitat (Veganz), nivelliert sich das Preisniveau fast: 13,45 Euro gegenüber 14,95 Euro.

Die Zukunft

Die Firma Veganz hält dazu auf Anfrage fest: "Die unterschiedlichen Qualitäten und Preise bei veganen Alternativen bieten den Verbrauchern je nach Anspruch und Budget das richtige Produkt, dies ist auch im konventionellen Käsesegment der Fall." Neben den klassischen, günstigen veganen Käsequalitäten auf Kokosölbasis (für Scheiben, Block und geriebenen Schmelz) würden vermehrt Produkte auf Cashew-, Mandel-, Macadamiabasis und Co entwickelt, die dem Wunsch der Verbraucher nach Käsespezialitäten wie Camembert, Brie, Blauschimmelkäse und Co entsprächen. Die Entwicklung hochqualitativer pflanzlicher Käsealternativen setze ebenso viel Know-how voraus wie die konventionelle Herstellung, hält man fest.

Der Erfolg scheint ihnen jedenfalls recht zu geben. Anfang Oktober eröffnete das Unternehmen eine vegane "Käse-Manufaktur" im steirischen Spielberg, wo ein analoger Camembert aus Cashews hergestellt wird. Der Grund: Die Nachfrage aus dem Handel und von Konsumentinnen und Konsumenten nach diesem "Cashewbert" sei so hoch, dass die Kapazitäten in der 2020 eröffneten Produktion in Berlin nicht mehr ausreichen.

Global gesehen ist mit weiterem Wachstum zu rechnen: Eine Studie des Marktforschungsunternehmens Transparency Market Research prognostizierte der veganen Käseindustrie bereits 2020 eine jährliche Wachstumsrate von durchschnittlich zehn Prozent. Bis 2030 soll sie einen Wert von sieben Mrd. US-Dollar (rund 6,8 Mrd. Euro) erreichen. Analogkäse ist gekommen, um zu bleiben. (Markus Böhm, 11.12.2022)