Die Begeisterung im Al-Bayt-Stadion hielt sich in Grenzen.

Foto: IMAGO/Marcelo Machado de Melo

Al-Khor – An der Seite des Emirs winkte Gianni Infantino noch fröhlich in das verwaiste Al-Bayt-Stadion, da war der "Zauber" der pompösen Eröffnungsshow längst verflogen. Die irritierende Fan-Flucht zur Pause, Berichte über chaotische Zustände auf dem WM-Fest im Herzen der Hauptstadt und weitere schwerwiegende Vorwürfe von Arbeitsmigranten sorgten gleich am ersten Spieltag für die nächsten Risse in der Glitzerfassade des katarischen Multimilliarden-Projekts.

Eine "glatte Sechs" erhielten die einheimischen Fans von "El Mundo Deportivo" für das Auftreten beim 0:2 (0:2) ihres chancenlosen Teams gegen Ecuador, von einer "peinlichen Eröffnung" und einem nie dagewesenen "Desinteresse" an einem WM-Auftakt schrieb "As". Die Fifa und ihr Boss sowie die katarischen Organisatoren hüllten sich zunächst in Schweigen, die internationale Presse fällte ein vernichtendes Urteil.

Flucht nach der Pause

Die Verwunderung war groß, als schon zur Pause etliche Katarer flohen. Schließlich hatten sich die Gastgeber mit ihrer ausschweifenden Eröffnungsfeier zunächst als weltoffen, tolerant und fußballbegeistert inszeniert. Doch schon nach den frühen Gegentoren schien die WM-Euphorie verflogen, 15 Minuten vor dem Ende war nicht einmal mehr die Hälfte der Plätze in der Arena im Wüstenstädtchen Al-Khor besetzt.

Die Organisatoren meldeten 67.372 Zuschauern – in einer Arena, die offiziell nur 60.000 Plätze bietet. Kurz vor dem Abpfiff war das "Beduinenzelt-Stadion" fast komplett verwaist. Einzig ein kleiner Block katarischer Anhänger mit roten Shirts blieb geschlossen bis zum Ende. Erneut prasselte Kritik auf den Gastgeber ein, dem auch im Vorfeld immer wieder fehlende Fußballtradition vorgeworfen worden war.

Zweifel an der WM-Tauglichkeit

Von all dem ließen sich Emir Tamim bin Hamad Al Thani und Infantino, der sich auf der Ehrentribüne in Gesellschaft des katarischen Herrschers und des umstrittenen saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman präsentierte, nichts anmerken. Der katarische Nationalcoach versuchte sich zudem in Schadensbegrenzung.

"Wir haben uns unterstützt gefühlt", beteuerte Felix Sanchez nach dem Premierenauftritt, der gewaltige Zweifel an der WM-Tauglichkeit der Katarer aufkommen ließ. Er hoffe, "dass die Leute nach den nächsten Spielen stolzer auf uns sind".

Verkehrschaos und Tumulte

Es bleibt abzuwarten, ob in den weiteren Partien auch die Probleme rund um das Auftaktspiel behoben werden. Kurz vor dem Stadion 50 Kilometer nördlich von Doha kam es zu einem Verkehrschaos, auf dem Fanfest im Al-Bidda-Park offenbar auch zu Tumulten. Der "Mirror" berichtete von "Rangeleien und Schubsereien" zwischen Polizisten und Fans aufgrund des Andrangs.

Dazu klagten rund 200 Arbeitsmigranten über schlechte Bedingungen beim Eröffnungsspiel. Die Gruppe, die für Verkaufsstände eingeplant wurde, musste laut Angaben der "New York Times" früh am Morgen am Stadion eintreffen und dann über sieben Stunden ohne Essen, Wasser und sanitäre Einrichtungen auf ihren Einsatz warten. Die Versuche, den Arbeitgeber zu kontaktieren, seien gescheitert.

Und sportlich? Ob Katar die schlechteste Gastgebermannschaft der Geschichte sei, fragte die spanische "Marca" bereits. Die Gastgeber ließen zu keinem Zeitpunkt WM-Niveau aufblitzen, Sanchez schob die Überforderung auf die Nerven. "Es war die Nervosität. Das tut uns wirklich weh", betonte Katars Coach.

Nach zwölf Jahren Vorbereitung droht in der Gruppe mit den Niederlanden und Senegal bereits das Aus – und die nächsten Kratzer am prestigeträchtigen WM-Projekt. (sid, 21.11.2022)

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DER STANDARD