Die Ausstellung "Der Blick von außen" wirft einen kritischen Blick auf das Pinzgauer Saalfelden und zeigt groteske Bausünden wie beispielsweise den Kinderspielplatz neben der Garagenlüftung.

Foto: Reinhard Seiß

Es ist ein Postkartenmotiv: blitzblauer Himmel, darunter die leuchtenden Kalkfelsen des Steinernen Meeres, umsäumt von sanften Almmatten im sommerlichen Grün oder im winterlichen Weiß. Was die Postkarte nicht zeigt, ist der Standort der Kamera: Saalfelden am Steinernen Meer – die größte Stadt im Pinzgau und die drittgrößte Stadt im Bundesland Salzburg.

Die Motive in der Stadt wären wohl auch weit weniger attraktiv als die alpine Landschaft rund um das Saalfeldener Becken mit Kalkalpen, Grasbergen und Hohen Tauern. Kilometerlang reihen sich Tankstellen, eingeschoßige Super- und Diskontmärkte sowie diverse Gewerbebetriebe aneinander. Dazwischen Parkplätze, Parkplätze und noch mehr Parkplätze.

Ein Bild, das man zwischen Bodensee und Neusiedler See so gut wie an allen Einfahrten zu größeren Ortschaften sieht, aber selten bewusst wahrnimmt – egal ob es sich um die europäische Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl, die steirische Landeshauptstadt Graz, St. Johann in Tirol oder eben Saalfelden handelt.

"Der Blick von außen"

Einen Schritt hin zur Sensibilisierung in solchen Raumordnungs- und Stadtplanungsfragen hat das Saalfeldener Kunsthaus Nexus gestartet. Auf Initiative des Nexus war der renommierte Stadtplaner und Fachpublizist Reinhard Seiß zwei Jahre regelmäßig in der Kleinstadt mit dem Fotoapparat unterwegs.

Herausgekommen ist die Ausstellung Der Blick von außen – Neue Wahrnehmungen von Saalfelden. In der aktuell noch bis Mitte Februar kommenden Jahres im Nexus zu sehenden Dokumentation und im dazugehörenden Katalog zeichnet Seiß ein ungeschminktes und wenig schmeichelhaftes Bild des 17.000 Einwohner zählenden Ortes.

"Der Blick von außen – Neue Wahrnehmungen von Saalfelden" ist eine nüchtern gestaltete Dokumentation von Planungsfehlern, Bausünden und menschenfeindlicher Stadtgestaltung.
Foto: Thomas Neuhold

Die Ausstellung zeigt in fast schmerzhafter Deutlichkeit die Planungsfehler und Bausünden der vergangenen Jahrzehnte. Die Themenpalette reicht von der Unterordnung der gesamten Ortsentwicklung unter die Bedürfnisse des Autoverkehrs über innerstädtische Brachflächen, Leerstand, Verödung und Verfall bis zur Hässlichkeit von Gewerbegebieten und Gewerbebauten oder der menschenfeindlichen Gestaltung von Wohnbauten.

Die Titel der einzelnen Kapitel sind programmatisch. Jenes über das vorstädtische Konsumverhalten der Saalfeldener und Saalfeldenerinnen – also der Weg mit dem Auto zum Supermarkt am Stadtrand – beispielsweise trägt den Titel Kofferraum statt Einkaufskorb.

Positive Resonanz

Ergänzt wird die kritische Bestandsaufnahme durch eine Reihe von Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen mit dem Titel Stadtgespräche.

Zusätzliches Gewicht erhält die Aktion des Kunsthauses durch die zwei Protagonisten des Nexus, Mario Steidl und Wolfgang Hartl. Beide sind weit über die Grenzen des Pinzgaus hinaus bekannt. Steidl ist nicht nur Intendant des Nexus, er zeichnet auch für das Jazzfestival Saalfelden und damit eine der wichtigsten europäischen Jazzveranstaltungen verantwortlich. Hartl wiederum ist der Vorsitzende des Nexus und des Zentrums für zeitgenössische Musik, im Zivilberuf selbst Architekt und Raumplaner – damit auch quasi vom Fach.

Wildwuchs an Werbeschildern in Saalfelden.
Foto: Reinhard Seiß

Die Resonanz im Ort auf den Versuch der Kulturinitiative, einen Umdenkprozess in der Stadtentwicklung anzustoßen, sei überaus positiv, sagen Steidl und Hartl im Gespräch mit dem STANDARD. Zur Auftaktveranstaltung seien rund 170 Leute gekommen.

Nicht ganz so glücklich mit dem "Blick von außen" ist Bürgermeister Erich Rohrmoser (SPÖ). Er hätte sich "eine differenziertere Betrachtung" gewünscht, dass Saalfelden nicht nur negativ dargestellt wird, sagt Rohrmoser. Immerhin gebe es ja auch positive Entwicklungen, etwa den erst vor wenigen Jahren eingerichteten Gestaltungsbeirat.

Transithölle

Und obschon die Initiatoren Mario Steidl und Wolfgang Hartl nicht müde werden zu betonen, sie wollten weder Architektenbashing betreiben noch die aktuelle Politik für Planungsfehler vergangener Jahrzehnte anschwärzen, fällt Bürgermeister Rohrmoser im STANDARD-Gespräch immer wieder in die Verteidigungsrolle.

So spricht Raumplaner Seiß im Ausstellungskatalog beispielsweise die enorme Transitbelastung durch die Stadtmitte an: "Die Bedingungen für Fußgänger und Radfahrer sind katastrophal. Stellenweise fehlt es sogar an einem Gehsteig, sodass sich Fußgänger gemeinsam mit Sattelschleppern auf der Fahrbahn wiederfinden." Bürgermeister Rohrmoser wiederum entgegnet: "Dass die B164 durch die Innenstadt führt, ist ein Faktum." Tatsächlich wird Saalfelden gleich von zwei Bundesstraßen zerschnitten: der B311 Pinzgauer Straße zwischen Zell am See und Lofer sowie der B164 Hochkönigstraße zwischen Bischofshofen und St. Johann in Tirol. Entsprechend brutal ist die Transitlage. Auch Seiß hält fest: "Die Lösung kann nur in einer gesamtregionalen Reduzierung der Verkehrsmenge liegen."

Folgt man den Ausführungen des Stadtoberhauptes, dann dürfte die Initiative der Kulturleute aber bereits gefruchtet haben. Rohrmoser spricht von einer denkbaren temporären Ausweitung der Fußgängerzone und davon, dem Wildwuchs an Werbeschildern an den Häusern Einhalt zu gebieten.

Vorbild Kufstein

Den Leuten vom Nexus wird das vermutlich nicht genügen. Vereinsvorsitzender Hartl fordert ganz grundsätzlich eine Abkehr "vom Dogma des ewigen Wachstums" und vom Ziel, Saalfelden unbedingt zu einer Stadt mit 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ausbauen zu müssen. Man habe in Saalfelden die dramatischen Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt: "Wir verbauen unsere Grünflächen weiter, als gäbe es kein Morgen, als gäbe es keine Generationen nach uns", beschreibt er die immer weiter fortschreitende Bodenversiegelung im Saalfeldener Becken.

Bodenversiegelung und Tristesse im Wohnbau.
Foto: Reinhard Seiß

Steidl wiederum kritisiert, dass sich in der Begegnungszone im Stadtzentrum überwiegend nur Autos begegnen. Dass es auch anders gehe, zeige das nahegelegene Kufstein. Dort habe man in den vergangenen zehn Jahren große Teile der Innenstadt verkehrsberuhigt und weitgehend von Autos befreit – mit dem Effekt, dass das Zentrum seine teils verlorene Attraktivität wiedererlangt habe: für seine Bewohner und Bewohnerinnen, die lokale Wirtschaft wie für Gäste von auswärts. Stadtbaumeisterin Elisabeth Bader wird bei einem der Stadtgespräche das Modell der Tiroler Stadt erläutern. (Thomas Neuhold, 22.11.2022)