Der erste Eindruck ist der: imposantes Gefährt. Martialische Front mit riesigem Ford-Schriftzug, C-förmige LED-Tagfahrlichter rechts und links und rundum ein stimmig proportionierter Pick-up. Der zweite ist ein Innenraum mit Pkw-Anmutung und Hinweisen auf Schwerarbeitspotenz, und der dritte ist eh schon der vom Offroad-Einsatz, oben im riesigen Geländeparcours Les Commes nahe Manresa.

Das Cockpit im industriellen, robusten Look, für alle, die harte körperliche Arbeit verrichten und 100.000€ parat haben.
Foto: Ford

Dort lassen wir das Raubtier erst einmal fliegen. Instruktor Ezequiel aus Argentinien auf dem Beifahrerinnensitz sagt den Lehmrundkurs geduldig an: "Langgezogene Rechte, ein bisschen rutschig, dann nach der Geraden links, da halte dich ganz links und den Mugel gerade nehmen, jetzt Gas" ... und schon verleiht der Raptor Flügel, macht einen Satz ohne Bodenkontakt. Drei Runden sind angesagt, bei jeder fliegt er ein wenig weiter.

Dass Fords weltweit enorm erfolgreicher Pick-up dabei nicht bis zum Unterboden-Schutzblech einfedert, liegt an der überarbeiteten Hinterachse mit Watt-Gestänge und neuen "Fox Live Valve"-Stoßdämpfern. Der Wagen taucht also ein, federt sanft ab und ist in der Sekunde wieder bereit für die nächste unebene Schikane. So ein aufwendiges Fahrwerk haben die anderen Ranger nicht, dort bleibt’s hinten bei altbewährten Blattfedern.

Zweieinhalb Tonnen wiegt das Ungetüm, hier zu sehen im grazilen Weitsprung, womöglich auf der Jagd.
Foto: Ford

Anschließend geht’s zum Einsatz durch kilometerweit brutales Gelände, wo der Raptor die Schuldsvermutung, er sei ein ausgesprochener Geländevirtuose, imposant untermauert. Bei heiklen Passagen geben die Instruktoren vor, welcher Modus der sieben verfügbaren – vier fürs Gelände – jeweils zu wählen sei, bis hin zu Untersetzung und Differenzialsperre hinten und neuerdings auch vorn.

Mit stoischem Gleichmut bewältigt der Raptor extreme Seitenneigungen ebenso wie Steigungen und Gefälle. Ermöglicht wird dies einerseits durch ein "elektronisch bedarfsgesteuertes zweistufiges Verteilergetriebe", besagte (100-Prozent-)Sperren, andererseits durch 26,6 cm Bodenfreiheit sowie 31 Grad Böschungswinkel vorn und 27 hinten. Und sollte es einmal durch Schlamm und Wasser gehen: 85 cm Wattiefe. Was man vielleicht ein wenig vermisst, ist eine Ratschen-Handbremse, die hier ist eine elektrische.

Geschüttelt und gerührt

Du steigst also geschüttelt und gerührt aus, der Raptor bestätigt die Ansicht vieler, die waschechtesten Geländewagen heutzutage seien, bis auf wenige Ausnahmen, im Pick-up-Metier zu finden, wobei der Neue vorher bei der Anreise zeigte, dass er sich auch auf Asphalt so wohlfühlt, dass man da kein widerspenstig bockendes Gerät spazieren fährt.

Der Raptor geht in seinem natürlichen Umfeld erst richtig auf. Ein Stadtleben wäre für diesen Pick-up eher nicht artgerechte Haltung, fast schon Tierquälerei.
Foto: Ford

Spazieren fährt man mit dem Raptor, der Topversion der Ranger-Baureihe, einen 5,36 m langen Lifestyle-Typen. Einen Repräsentanten jener Gattung, die mitsamt den SUVs im Zuge der Klimadebatte ins Visier der Kritik geraten ist. Dabei mussten Pick-ups in Österreich zuletzt massiv Federn lassen, die seit Juli 2021 gültige NoVA-Regelung hat sie mit geschmalzenen Zuschlägen belegt. Sehen wir uns nur den Preis für den Raptor an. Ab 96.667 Euro! Wenn man weiß, dass bei Pick-ups ein Gutteil des Geschäfts Zubehör aller Art ausmacht, kann man sich ausrechnen, dass man da weit, weit in den 100er hineingerät. Apropos: Über 140 Accessoires sind für den Raptor erhältlich, bis hin zum Zweipersonen-Dachzelt.

Umgekehrt gesagt, freut sich Finanzminister Magnus Brunner über Maximus-Einkünfte, die bei jedem Raptor-Verkauf in seine Kassen schwappen – 59.590 Euro kostet der vor Steuern, sehen Sie sich die Differenz an. Aufgrund der Pritschenabmessungen ist er auch nicht vorsteuerabzugsfähig, das wird bei den "normalen" Rangern (ab April) anders sein.

Hoch das Bein und über Stock und Stein: Der Ranger Raptor ist im Gelände kaum zu halten, dort will er zeigen, was er kann. Martialisch das Erscheinungsbild, "mutig" die V6-Motorisierung, zielt er auf eine kleine Gruppe von Enthusiast(inn)en.
Foto: Werk

Die stammen dann übrigens aus dem Werk in Südafrika, während der Raptor in Thailand fabriziert wird. Und wo die normalen Ranger motorisch auf Diesel setzen (170, 204 PS und V6-Diesel mit 250 PS), bestreitet der Raptor dieses Kapitel mit einem mächtigen Dreiliter-V6-Benziner. 292 PS leistet das Doppelturbo-Triebwerk, knapp 500 Nm stehen an, mit aus dem Rennsport entlehntem "Anti-Lag"-System. Da geht es nicht um einen neuartigen Zugang zur Jet-Lag-Bekämpfung, sondern um die Gewährleistung hohen Ladedrucks über den gesamten Drehzahlbereich. Auch beim Klangbild hat Ford sich etwas einfallen lassen, das die Bandbreite von mild bis wild abdeckt. Angewählt über das Multifunktionslenkrad, mutiert der Raptor im Nu zum Bollerwagen.

Die nächste Stufe auf dem Weg vom explodierenden Luft-Treibstoff-Gemisch nach unten ist dann die 10-Gang-Wandlerautomatik, und e-4WD – ein elektronisch gesteuerter permanenter Allradantrieb – sorgt schlussendlich dafür, dass das alles fachgerecht auf den Boden kommt. Fords Fazit: "Ein fantastisches Biest." Unseres: Ja, die können Pick-up. Eine kleine Fanklientel wird dieser Raptor glücklich machen (eine größere dann, wie soeben entschieden, der mit 205-PS-Diesel) – darüber hinaus aber die Kritik am Köcheln halten. War noch was? Ach ja, der Ford Ranger tritt demnächst auch als VW Amarok in Erscheinung. (Andreas Stockinger, 2.12.2022)