Es gingen in den letzten Tagen Bilder um die Welt, die den österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer in Belgrad zeigen, wie er, der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán die Hände zum Schwur aufeinanderlegen. Solche Symbolik bedeutet vor allem eine Ohrfeige für diejenigen Serben und Ungarn, welche die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht aufgegeben haben.

Dass aber auch viele Österreicher diese Bilder über die gemeinsamen Angriffe der "drei Balkan-Musketiere" (Copyright Hans Rauscher) gegen die EU schauderhaft finden, ist verständlich. Nehammers Ausbruch in brüderlicher und symbolträchtiger Eintracht mit den beiden Autokraten gegen den "Asyltourismus" ruft den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder in Erinnerung, der sich nach einer ähnlichen Wortwahl im Juli 2018 angesichts der allgemeinen Empörung sofort entschuldigt und erklärt hatte, dieses Wort nicht mehr zu verwenden.

Den österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer, der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in Belgrad.
Foto: EPA/ANDREJ CUKIC

Bemerkenswert ist auch die Heuchelei: Jeder dritte Asylwerber (Pakistanis, Inder, Tunesier etc.) in Österreich kam zuerst visafrei nach Serbien und wurde dann durch das Orbán-Regime nach Österreich durchgewinkt. Allerdings darf man nicht vergessen, dass drei von vier solcher Asylwerber aus Österreich weiterreisen. Dass Vučić jetzt die Vereinbarungen mit Indien und Tunesien kündigen will, ist in erster Linie die Folge der Drohungen aus Brüssel, die 2009 abgeschaffte Visumspflicht für serbische Staatsbürger wiedereinzuführen, und nicht der versprochenen österreichischen Finanzhilfe.

Chaotische Asyldebatte

FPÖ-Chef Herbert Kickl kann sich zu Recht als Sieger in der Migrantendebatte gegen die ÖVP betrachten. Als er im Jänner 2019 einen Vorstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unternommen hatte, gab es noch scharfe ÖVP-Proteste. Die von der ÖVP entzündete sinnlose und chaotische Asyldebatte (die EMRK wurde von 46 Staaten unterzeichnet) treibt die Wähler massenhaft in Richtung der FPÖ. Mit Hinweis auf Orbáns Erfolg gegenüber der EU sei es Kickl gleich, "ob wir europäisches Recht brechen" (OE24.TV).

Statt das noch von der ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner eingeführte Durchgriffsrecht bei der Schaffung von Asylquartieren durchzusetzen, glänzt der seit einem Jahr als hilfloser Innenminister amtierende Gerhard Karner auch mit Angriffen gegen Brüssel und den grünen Koalitionspartner.

Mit dem internationalen und innenpolitischen Aufkochen des Asylthemas vor dem Hintergrund des Trümmerfeldes der vom Kurz-Regime zurückgelassenen Korruption gefährdet die gegenwärtige Führung der Bundespartei die Existenz dieser großen bürgerlichen Sammelpartei. Dass Nehammer nun nach Facebook, Instagram und Twitter auch auf Tiktok präsent ist, hilft nicht viel …

Solange die Linke die schiefgelaufene Integration und den hohen Anteil der Ausländer an der Zahl der Verurteilten beziehungsweise Neuinhaftierten totschweigt und die liberalen Kräfte keine brauchbaren Gegenkonzepte ausarbeiten, könnte die Inkompetenz der Regierung, auch im Hinblick auf die erwartete Steigerung der Flüchtlinge aus der Ukraine, sogar eine nationale Krisensituation heraufbeschwören. (Paul Lendvai, 22.11.2022)