Nach Benzemas Ausfall wird es noch mehr auf Kylian Mbappe ankommen. Unlocker wird der Superstar darob nicht.

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Wenn ein Titelverteidiger ins Turnier einsteigt, so sind die Rollen eigentlich klar verteilt: da der Riese, dort der Zwerg. Aber der Fußball wäre nicht der Fußball, wäre es hier gar nicht selten umgekehrt. Man spricht deshalb in gelehrten Kreisen des schönen Spiels gerne auch vom "Fluch des Titelverteidigers".

Da muss man gar nicht bis ins Jahr 1978 zurückreisen, als der Titelverteidiger in der sogenannten Zwischenrunde gegen wen hinausflog im argentinischen Córdoba? Da gibt es aktuellere Beispiele. Mit Italien 2010, Spanien 2014 und Deutschland zuletzt 2018 waren die jeweiligen Titelverteidiger schon in der Vorrunde gescheitert. Frankreich, Titelverteidiger aus Russland, ist gegen Australien also gewarnt.

Weil auch ein gebranntes Kind. Der Weltmeister 1998 beendete 2002 in Südkorea/Japan die Vorrunde als Gruppenletzter, verlor das Auftaktmatch gegen den klaren Außenseiter Senegal.

Kein Statistikfreak

Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps, Heimweltmeister 1998, weiß um den Fluch, jedoch: "Wir denken nicht darüber nach, was sein könnte. Es gibt diese Statistik, aber unser Team hat seine eigene Reise vor sich."

Eine, die er ohne seinen Knipser antreten muss. Karim Benzema, Klubkollege von David Alaba bei Real Madrid, laboriert an einer hartnäckigen Oberschenkelverletzung und fällt für das ganze Turnier aus. N’golo Kante (Chelsea), Paul Pogba (Juventus), Presnel Kimpembe (PSG) und Christopher Nkunku (Leipzig) haben zuvor auch w. o. geben müssen.

Deschamps beruhigt. Mit vollen Hosen, so meinte er es, sei eben leicht stinken. "Wir haben genug Spieler, um andere mitreißen zu können – auf dem Spielfeld und auf der Bank." Zum Beispiel: Kylian Mbappe (Paris Saint-Germain), Antoine Griezmann (Atletico Madrid), Olivier Giroud (Milan) oder Ousmane Dembele (Barcelona).

Ibrahima Konate (FC Liverpool) sieht im Ausfall von Benzema, dem jüngsten Gewinner des Ballon d’Or, eine – oder jedenfalls auch eine – "gute Gelegenheit, dass wir zeigen, was wir können. Wir müssen tausend Prozent geben." Mag sein, sowas schweißt sogar zusammen. Innenverteidiger Eduardo Camavinga von Real verspricht: "Wir werden für all die kämpfen, die nicht dabei sein können."

Deschampes hat sich am Sonntag entschieden, für Benzema niemanden nachzunominieren. Er habe volles Vertrauen in seine verbliebenen 25 Spieler. Vor allem Moussa Diaby, Flügel in Leverkusen, hatte sich große Hoffnung auf eine Nachnominierung gemacht.

Die vielen Ausfälle sind auch der Fluch der ballesterischen Unersättlichkeit. Die Weltmeisterschaft schließt ja unmittelbar an den ohnehin fordernden Ligaalltag an. Keine Pause, keine Vorbereitung. Überlastungsverletzungen waren absehbar und treten nun auch bei Frankreichs Auftaktgegner auf. Martin Boyle, der Stürmer, der sich bei Hibernian Edinburgh verdingt, fällt aus. Es meldete sich sein Knie zu Wort. Trainer Graham Arnold blieb nur das Abschiedswort: "Er war ein wichtiger Teil unserer Reise nach Katar, und wir danken ihm für alles, was er in der Zeit geleistet hat."

Zappelgoalie

Im Sommer hatte er mitgeholfen, die Playoff-Partie gegen Peru zu gewinnen. Im Elferschießen. Das hat allerdings nach allgemeiner Ansicht der australische Ersatzgoalie Andrew Redmayne mit seiner irritierenden Zappelphilippika gewonnen. Redmayne steht nun auch im Kader für den Fall, dass Australien die Gruppe D überstehen sollte.

So volle Hosen wie der Weltmeister hat Graham Arnold aber natürlich nicht. Für Boyle hat er also den 21-jährigen Marco Tilio von Melbourne City nachnominiert. Arnold hat im Kader auch viele unerfahrene Spieler wie Garang Kuol (18), der allerdings im nächsten Jahr nach Newcastle wechseln wird. Körperbetontes Spiel und Kampfgeist sollen jedenfalls allfällige Defizite bei Australien wettmachen.

Mangelndes Selbstbewusstsein ist der Australier Sache eh nicht. "Wir wollen die Welt wirklich schocken", verspricht der bei Cadiz tätige Flügelspieler Awer Mabil. "Ich denke auch, wir haben die Qualität dazu. Wir müssen nur zeigen, was wir können." (Wolfgang Weisgram, 21.11.2022)

Gruppe D – 1. Runde:
Frankreich – Australien (Al Wakrah, Al Janoub Stadium, 20.00 Uhr MEZ/live ORF 1, SR Victor Gomes/RSA).

Frankreich: 1 Lloris – 17 Saliba, 4 Varane, 21 Lucas Hernandez – 2 Pavard, 8 Tchouameni, 25 Camavinga, 22 Theo Hernandez – 7 Griezmann – 9 Giroud, 10 Mbappe

Ersatz: 16 Mandanda, 23 Areola, 3 Disasi, 5 Kounde, 13 Fofan, 18 Upamecano, 24 Konate, 6 Guendouzi, 14 Rabiot, 15 Veretout, 11 Dembele, 12 Kolo Muani, 20 Coman, 26 Thuram

Australien: 1 Ryan – 3 Atkinson, 4 Rowles, 8 Wright, 16 Behich – 13 Mooy – 10 Hrustic, 22 Irvine, 14 McGree, 11 Mabil – 15 Duke

Ersatz: 12 Redmayne, 2 Degenek, 5 Karacic, 18 Vukovic, 19 Souttar, 20 Deng, 24 King, 17 Devlin, 26 Baccus, 6 Tilio, 7 Leckie, 9 Maclaren, 21 Kuol, 23 Goodwin, 25 Cummings