Ein Forscher betrachtet eine Visualisierung der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher. Diese Ereignisse gehören zu den extremsten im Universum.
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Die erste Messung von Gravitationswellen, die 2016 publiziert wurde, war eine Sensation. Inzwischen sind es fast 100 einzelne solcher Signale, die von den drei Gravitationswellendetektoren der Kollaborationen Ligo und Virgo nachgewiesen wurden. Alle stammten von Kollisionen extrem dichter kosmischer Objekte, meistens zweier Schwarze Löcher, in manchen Fällen zweier Neutronensterne und manchmal gemischter Paare der beiden Sorten.

Ein besonders ungewöhnliches Signal gab den Forschenden bisher Rätsel auf. Die Aufzeichnung gelang am 21.5.2019 an allen drei aktiven Gravitationswellenobservatorien. Seither sorgte das Signal, das folglich GW190521 genannt wurde, für Diskussionen. Nun gibt es eine mögliche Erklärung, die im Fachjournal "Nature Astronomy" veröffentlicht wurde.

Bislang vermutete man Als Quelle zwei stellare Schwarze Löcher, die einander auf annähernd kreisförmiger Bahn umkreisten. "Solche binären Systeme können durch eine Reihe astrophysikalischer Prozesse entstehen", erklärt Sebastiano Bernuzzi von der Universität Jena. "Das heißt, sie sind die Überreste von massereichen Sternen in Doppelsternsystemen."

Anders als alle bisherigen Beobachtungen

Doch schon bald gerieten die Forschenden in Erklärungsnot. "GW190521 verhält sich deutlich anders", erklärt Bernuzzis Kollegin Rossella Gamba, die Erstautorin der Studie. "Seine Morphologie und seine explosionsartige Struktur unterscheiden sich extrem von früheren Beobachtungen."

Die Suche nach alternativen Erklärungen führte sie und die Teams aus Jena und Turin zu einer neuen Theorie. In Simulationen erwies sich das Bild zweier Schwarzer Löcher, die sich auf einer stark langgezogenen Bahn umkreisen, als besonders gute Erklärung. "Ein solches Szenario erklärt die Beobachtungen deutlich besser als jede andere bisher vorgestellte Hypothese", sagt Matteo Breschi vom Forschungsteam.

Der Ursprung dieses Systems wäre also kein Doppelsternsystem, bei dem beide Sterne am Ende ihres Lebens als Supernovae verglühten um zu Schwarzen Löchern zu werden. Plausibler ist die Theorie, dass sie nicht am selben Ort entstanden. Stattdessen scheint sich eines der Schwarzen Löcher in einer relativ massereichen Umgebung auf einer hyperbolischen Bahn bewegt zu haben, bevor es von der Schwerkraft seines Partners eingefangen wurde. Als Annahme floss mit ein, dass es sich um nicht rotierende Schwarze Löcher handelte. Falls sich diese These weiter untermauern ließe, wäre es der erste Nachweis eines derartigen gegenseitigen Einfangens zweier Schwarzer Löcher.

Neue Möglichkeiten der Beobachtung

Die Gravitationswellenmessungen von Ligo und Virgo gehören zu der bisher direktesten Möglichkeit, Schwarze Löcher zu beobachten. Diese eigentlich – nomen est omen – dunklen Objekte machen zuweilen durch extrem hochenergetische Strahlung auf sich aufmerksam, die auf Effekte an der von enormen Gravitationskräften beherrschten Umgebung zurückzuführen ist. Meist ist es Gas, das in der Nähe des Schwarzen Lochs eine Art elektromagnetischen Todesschrei ins All schickt, der auf der Erde als Röntgenstrahlenausbruch beobachtbar ist. Eine andere Möglichkeit bietet seit Kurzem der Neutrinodetektor Ice-Cube in der Antarktis.

Auch die Deutsche Post hat die von der Forschung vielbeschworene Schönheit der Gravitationswellen für sich entdeckt.
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Die Gravitationswellenmessungen bilden aber direkt die extremen Schwerkrafteffekte selbst ab, deren Ausläufer noch auf der Erde für winzige Längenveränderungen verantwortlich sind. Die Analyse dieser winzigen Kontraktion des Raums, die nur ein Tausendstel eines Protonendurchmessers auf drei Kilometer Länge betragen, erlaubte es etwa erst 2017, seit langer Zeit bekannte, kurze Gammastrahlenblitze auf kollidierende Neutronensterne zurückzuführen, was eine Lücke im Verständnis schließt und eine Reihe weiterer Ergebnisse erst möglich macht.

Künftig sollen noch deutlich größere Gravitationswellenexperimente weiter ins All blicken als je zuvor. Eines davon heißt Einstein-Telescope, soll im Inneren eines Berges entstehen und mindestens dreimal größer sein als Ligo und Virgo, während das Großexperiment Lisa Licht zwischen Satelliten austauschen soll, um so Raumkrümmung auf noch größeren Distanzen zu messen.

Während diese beiden Experimente noch Zukunftsmusik sind, wird demnächst das bereits fertiggestellte japanische Gravitationswellenexperiment Kagra online gehen und das Netzwerk aus Ligo und Virgo komplettieren. (Reinhard Kleindl, 22.11.2022)