In Japan kennt man das schon immer, inzwischen ist, der Pandemie sei Dank, die mit breiter Brust gelebte Soziophobie auch bei uns gesellschaftsfähig geworden. Weil’s ja wahr ist: Die Hölle, das sind immer und überall die Anderen. Und: Mit Maske fühlt man sich tatsächlich weniger nackert. Außerdem: Wegen des Service war noch nie wer im Restaurant.

Auf die Schnelle Ramen ziehen: Die Mochis haben beim Vorgartenmarkt jetzt auch einen Automatenshop eingerichtet. Und die Suppen können's echt.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Niemand weiß das besser als die Leute hinter dem stetig wachsenden, für die hinreißende Zugewandtheit aller dort Beschäftigten längst auch international gerühmten Restaurantkonglomerat Mochi. Und ausgerechnet die haben jetzt einen Automatenshop für ihre akkurat und nächtelang gezogenen Ramen-Kreationen eingerichtet, in einem leeren Geschäftslokal beim Vorgartenmarkt, in Nudelschlürfweite der hauseigenen Suppenwirtschaft. So etwas hat schon Signalwirkung.

Gourmet-Munchies

Nominell ist die neue Adresse nur für die Ruhetage gedacht und für rotäugige Nachteulen, die irgendwann um vier Uhr früh derart akute Gourmet-Munchies kriegen, dass der Trip zum Ramen-Automaten eine unaufschiebbare Notwendigkeit wird – allen Unwägbarkeiten des Bewusstseinszustands zum Trotz. Tatsächlich aber soll der Automatenzustrom seit der Eröffnung im September auch zu ganz normalen Restaurantzeiten real sein. Offenbar gibt es viele Zeitgenossen, denen Suppen dieser Güte weite Wege wert sind, speziell wenn sie diese nicht unter den sozial fordernden Umständen eines Restaurantbetriebs schlabbern müssen.

Ramen zum Mitnehmen gibt es unter anderem mit Bauchfleisch, Tamago-Eiern und Bambussprossen.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Kann man verstehen. Nicht jeder will sich extra die Haare waschen und aus dem marginal angetrenzten Pyjama schälen, nur weil der Hunger auf einen Pott voll heißen Glücks gerade überhandnimmt. Ganz abgesehen davon, dass man daheim ganz automatisch, in jedem Zustand, die attraktivste Person im Raum ist – und bei der Weinbegleitung redet einem auch keiner drein.

Aufgepasst!

So halbwegs muss man seine sieben Sachen aber schon beieinanderhaben, wenn es mit der Suppe aus der Selbstbedienung klappen soll. Es gibt drei Ramen zur Auswahl, mit Schwein, mit Huhn und mit Pilzen. Alle sind original Mochi-Ramen, nur halt mit ziemlichem Verpackungsaufwand automatenfit gemacht. Sie zu Hause in wahrhaftige Mochi-Ramen zurückzuverwandeln, verlangt ein gewisses Maß an Planungsfähigkeit und Koordinationsgabe. Dass wir uns recht verstehen: Nichts, was man als aktiver Mittelschüler nicht locker zusammenbrächte – im Zustand fortgeschrittener Wahrnehmungsverschönerung könnte es aber zur Herausforderung werden.

Immerhin dürfen die Nudeln erst dann in einem separaten Topf gekocht werden – und zwar exakt 45 Sekunden – wenn die Suppe samt Einlage bereits erhitzt ist, die eigens aus dem Shoppu gezogenen, wachsweich in Shoyu eingelegten Tamago-Eier im Wasserbad warm und mittig geteilt sind und auch sonst alles an fakultativen Zusatz-Goodies (Bambussprossen, Daikon, Bio-Mais …) entsprechend auf dem Tisch steht.

Glücklich im Nebel

Aber dann: Die Nudeln, das Um und Auf aller Ramen, saugen sich elastisch, aber mit Biss durch die erwartungsvoll geschürzten Lippen, die Brühe hat Kraft und Eleganz, die Einlage sorgt für die nötige Varianz des Mundgefühls. Puristen des Wohlgeschmacks seien Pilz-Ramen mit tiefem, herrlich dunkelwaldigem Aroma geraten, mit knackenden Mu-Err-Pilzen und schlüpfrigen Austernseitlingen, buchstäblich bis in die Zehenspitzen zieht sich in nebliger Nacht der heiße Schauder des Glücks.

Aber auch beim Schwein ist zufrieden glucksendes Grunzen unvermeidlich: Deutlich würziger, noch dichter, mit saftigen Scheiben mürben Bauchfleischs garniert, schlürft sich die Gewissheit durch die Ganglien, dass die Nacht in Wahrheit eh noch jung und die Kraft wieder mit uns ist. Hendl ist, optisch weniger überzeugend, faschiert, die Suppe aber macht mit satter, rund abgestimmter Aromatik kaum weniger Freude. Und das vielleicht Beste am Essen aus dem Shoppu: Wenn man rechtzeitig drauf schaut, dass man’s hat, wenn man’s braucht, sind die Packerln fürs nächtliche Gelage fix eingelagert. Bleiben gut gekühlt locker zwei Wochen frisch! (RONDO, Severin Corti, 2.12.2022)