Die beiden Gewinnerinnen der Buchpreisverleihung: Lena-Marie Biertimpel (li.) erhielt den Debütpreis, Verena Roßbacher den Hauptpreis.

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In Basel hat Kim de l’Horizon, nach dem Deutschen Buchpreis im Oktober, vergangenes Wochenende für Blutbuch auch den Schweizer Buchpreis gewonnen. Ein formal schwer auf einen Nenner zu bringender, autobiografisch motivierter Roman, geschrieben von einer non-binären Person. Manche deutschen Feuilletons ordneten den Gewinn vor einigen Wochen so ein, dass es zwar möglicherweise nicht das beste Buch des Jahres sei, aber angesichts aktueller Genderdiskurse ganz sicher ein Buch des Jahres.

Das beste Buch eines Jahres herauszufiltern ist an sich ein lächerliches Ansinnen. Man kann Bücher in ihrer Vielfalt nicht vergleichen. Aber man kann ein Signal senden. Viele Bücher, die in den vergangenen Jahren den Deutschen Buchpreis gewonnen haben, verfügen über eine solche diskursive Komponente. In Antje Ravik Strubels Blaue Frau (2021) geht es um eine Frau, die sich aus männlicher Gewalt befreit. Davor hatte Anne Weber mit Annette, ein Heldinnenepos in Versform über eine französische Widerstandskämpferin gewonnen. Zuvor Saša Stanišićs Herkunft, das man früher unter "Migrationsliteratur" gefasst hätte und das inzwischen Beleg für eine Diversität in der deutschsprachigen Literatur ist.

Den vom Kulturministerium und dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels vergebenen Österreichischen Buchpreis haben in derselben Zeit Norbert Gstrein (Als ich jung war), Xaver Bayer (Geschichten mit Marianne) und Raphaela Edelbauer (Dave) erhalten. Gute und aus vielen Gründen lesenswerte, aber als Seismograf für progressive gesellschaftliche Diskurse großteils unverdächtige Bücher. Bücher, die sich wenig exponieren. Liegt das an den ihre Titel einreichenden heimischen Verlagen? Oder an der Jury?

Neue Lebensmodelle

Große Wellen wird wohl auch die heurige Entscheidung nicht schlagen: Die mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung ging am Montagabend, im Vorfeld der am Mittwoch startenden Messe Buch Wien, an Verena Roßbacher. Wer sich nun über die Nobilitierung seiner "Steirerkrimi"-Sammlung freut: Nein, nicht mit Claudia Rossbacher und ihren Regionalkrimis verwechseln!

Verena Roßbacher, 1979 in Bludenz geboren und in Berlin lebend, wird für ihren im März erschienenen Roman Mon Chéri und unsere demolierten Seelen (Kiepenheuer & Witsch) prämiert. Es ist der vierte Roman der Autorin, die auf 500 Seiten von der Anfang-40-jährigen, im Marketing einer Berliner Foodcompany tätigen Charly Benz erzählt. In dieser Arbeit, an die sie nicht glaubt, steckt sie aus Gewöhnung fest, sie hat Angst vor dem Öffnen ihrer Post. Mit der Liebe hat sie wie mit der Familie Pech, schwanger ist sie trotzdem. Schließlich haut sie ab nach Bad Gastein. Hier sortiert Charly sich neu, findet zu alternativen Lebens- und Liebesmodellen.

Ein Selbstfindungstrip mit Witz, der sich im anlaufenden Weihnachtsgeschäft gut machen wird. Schreiben hat Roßbacher (seit 2009 sind Verlangen nach Drachen, Schwätzen und Schlachten und Ich war Diener im Hause Hobbs erschienen) am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig gelernt. Mon Chéri ist ihr erster aus weiblicher Perspektive erzählter Roman. Roßbachers Komik und Witze werden stets gelobt, den Text eignet aber auch eine Tendenz zum Plaudern. Sie sei sehr überrascht, sagte die Autorin in ihrer ersten Reaktion, und freue sich.

Leer aus gingen von der Shortlist Robert Menasse (Die Erweiterung), Anna Kim (Geschichte eines Kindes) Helena Adler (Fretten) und Reinhard Kaiser-Mühlecker (Wilderer).

Kleinschreibung beim Debüt

Große Sensationen verhindert hierzulande vielleicht auch die Aufspaltung des Buchpreises in Hauptpreis und Debütpreis (10.000 Euro), die starken Debüts eine eigene Plattform bieten will – damit aber eben auch womöglich besonders frische Autoren in eine zweite Reihe stellt. Nominiert waren Sirka Elspaß’ Gedichte ich föhne mir meine wimpern, Anna Maria Stadler mit Maremma und die schließlich siegreiche Lena-Marie Biertimpel mit Luftpolster.

Die Ich-Erzählerin lässt sich darin in die Psychiatrie einliefern. Essstörungen, Selbstverletzung und Suizidversuche verbinden sie und ihre Schwestern, durch die Generationen ziehen sich vererbte Traumata aus dem Krieg. Biertimpel, 1991 in Hamburg geboren und Studentin der Sprachkunst an der Angewandten in Wien, schreibt konsequent klein, die Sprache des Bandes (bei Leykam) ist direkt, die Sätze sind kurz und bewusst leger gehalten.

Insgesamt waren bei der siebten Ausgabe des Preises 133 Titel aus 62 Verlagen eingereicht. Eine fünfköpfige Jury kürte die Gewinnerinnen. Nominiert werden konnten Prosa, Lyrik, Essays, dramatische Werke. (Michael Wurmitzer, 21.11.2022)