In der Nähe des UN-Hauptquartiers in New York City forderten am 19. November 2022 Demonstrierende die Vereinten Nationen auf, Maßnahmen gegen die Behandlung von Frauen im Iran zu ergreifen.

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Genf – Die Lage im Iran ist nach Ansicht der Vereinten Nationen "kritisch". Gegen die anhaltenden Proteste werde härter vorgegangen, sagte ein Sprecher des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, am Dienstag. In den vergangenen zwei Monaten seien bei den regierungskritischen Demonstrationen über 300 Menschen ums Leben gekommen. "Die ansteigende Zahl der Toten im Iran, darunter am Wochenende auch Kinder, sowie die härtere Gangart der Sicherheitskräfte unterstreichen, dass die Lage im Land bedenklich ist." Unter den 300 Toten sind dem Büro des Hochkommissars zufolge mehr als 40 Kinder. Aus 25 der 31 iranischen Provinzen sei über Tote berichtet worden.

Seit gut zwei Monaten kommt es im Iran zu Protesten. Sie wurden vom Tod der 22-jährigen Mahsa Amini ausgelöst. Die Kurdin starb Mitte September in Polizeigewahrsam, nachdem sie von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen worden war. Sie soll unangemessen gekleidet gewesen sein. Inzwischen haben sich die Proteste zur größten Herausforderung für die Führung des Landes seit 1979 ausgewachsen. Damals wurde im Zuge der Islamischen Revolution der Schah gestürzt, und die Islamischen Republik wurde ausgerufen.

Der Iran macht "ausländische Feinde" für die Proteste verantwortlich. Wie das Staatsfernsehen am Dienstag berichtete, wurden 40 Ausländer im Zuge der Proteste festgenommen.

Vorerst keine Konsequenzen für Irans Fußballspieler

Als Zeichen der Solidarität sang die iranische Fußballnationalmannschaft bei ihrem Auftaktspiel am Montag in Katar die Nationalhymne nicht mit. Im Staatsfernsehen waren die Bilder der schweigenden Mannschaft nicht zu sehen. Im Vorfeld des Turniers hatte keiner der Spieler zu den Demonstrationen Position bezogen.

Iranischer Spieler vor England-Match: Nationalspieler "Stimme" der Menschen
DER STANDARD

Den Nationalspielern drohen nach der nicht mitgesungenen Hymne wohl vorerst keine Konsequenzen. Dies werde während des Turniers nicht passieren, da nicht alle Spieler der Mannschaft gesperrt werden könnten, schrieben iranische Sportjournalisten am Dienstag. Aber eine temporäre Sperre oder Gehaltskürzungen für die Spieler, die in der iranischen Liga beschäftigt sind, wären nach der WM durchaus denkbar.

Geste von Presse im Iran weitgehend ignoriert

Die gesamte Elf hatte am Montag vor dem 2:6 im WM-Auftaktspiel gegen England die Nationalhymne nicht mitgesungen. In den sozialen Medien wurde diese Geste nicht nur als Solidarität mit den seit über zwei Monaten anhaltenden systemkritischen Protesten im Land gewertet, sondern auch als ein Zeichen dafür, dass das Nationalteam gegen die politische Herrschaft sei. Die Presse in dem Land ignorierte die Geste am Tag danach bewusst. In den sozialen Medien und den persischen Nachrichtensendern im Ausland war der stumme Protest der Spieler jedoch weitaus wichtiger als das Spiel und das Ergebnis.

Nur die Tageszeitung "Kayhan", Sprachrohr der Hardliner im Land, bezeichnete die Spieler als Verräter, die sich von den ausländischen politischen Feinden des Landes hätten beeinflussen lassen. Mit Kritik an der sportlichen Leistung hielt sich die Presse im Iran trotz der höchsten Niederlage in der iranischen WM-Geschichte allerdings zurück. Nach dem 2:6 gegen England zum Auftakt stehen für das Team von Nationalcoach Carlos Queiroz in der Vorrunde noch die Partien gegen Wales am Freitag und gegen die USA an. (Reuters, APA, dpa, 22.11.2022)