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Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Abhängigkeit Europas von russischem Gas spürbar gemacht.
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Der 24. Februar hat die Welt verändert. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat gezeigt, wie zerbrechlich die Sicherheitsarchitektur auf dem alten Kontinent ist. Plötzlich herrscht Krieg vor den Toren Europas. Ein blutiger, völkerrechtswidriger Konflikt, dem sich die EU-27 nicht entziehen können. Der Krieg hat aber vor allem eines deutlich gemacht: die fatale Abhängigkeit Europas von russischem Gas. 40 Prozent des Gasverbrauchs in der EU gingen im Frühjahr noch auf Lieferungen aus Russland zurück. In Österreich betrug der Anteil sogar 80 Prozent.

Diese Abhängigkeit rasch abzubauen war das Ziel der vergangenen Monate, raus aus russischer Energie das antreibende Motto. Denn die Zusammenarbeit mit Russland wurde brenzliger. Einerseits wollte man durch den Import von Öl und Gas den Angriffskrieg nicht mitfinanzieren. Andererseits wollte sich die EU nicht zum Spielball machen lassen – denn dass Russlands Präsident Wladimir Putin von sich aus den Gashahn zudreht, ist als mögliche Reaktion auf die umfangreichen Sanktionen der EU gegen Russland noch immer denkbar. Mittlerweile sind die strategischen Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 zerstört und fallen als Infrastruktur komplett aus. Österreich und Europa suchen also Alternativen.

Teure Suche

Doch diese Suche kostet. Um die Speicher voll und Haushalte wie Unternehmen halbwegs gut durch den Winter zu bekommen, hat ein Wettlauf um verfügbare Gasmengen eingesetzt – koste es, was es wolle. Die Abhängigkeit von Russland konnte Österreich laut Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) mittlerweile auf unter 50 Prozent reduzieren.

Offengelegt hat die akute Krise aber auch einen Mechanismus, den bisher wohl nur Experten gekannt haben: nämlich die Festsetzung des Strompreises über die sogenannte Merit-Order. Bei diesem Grenzkostenverfahren bestimmt das letzte Kraftwerk, das zur Deckung des Strombedarfs an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Stunde ans Netz gehen muss, den Preis auch aller anderen. Weil das in der Regel Gaskraftwerke sind, hat das auch die Stromkosten in Österreich massiv in die Höhe getrieben. Die Last für Haushalte und Unternehmen ist teilweise jetzt schon unerträglich. Die Energiekosten werden die heimische und europäische Wirtschaft wohl neu ordnen. Ein Wohlstandsverlust geht damit einher.

Der Weg ist das Ziel, die Schritte sind klein

Es muss also Bewegung in den Ausbau erneuerbarer Energien kommen. Windkraft, Photovoltaik, Biomasse – in der Theorie sollte das rasch umsetzbar sein. Die Technologie ist vorhanden, das Know-how auch. Trotzdem spießt es sich. Umweltverträglichkeitsprüfungen, Debatten um Standorte oder Flächenwidmungen behindern den raschen Ausbau der Erneuerbaren in Österreich ebenso wie der eklatante Fachkräfte mangel sowie Lieferengpässe bei diversen Komponenten.

Europa steckt in einer Zwickmühle. Von fossilen Brennstoffen wegzukommen war zwar ohnehin das große Ziel. Jetzt aber ist die Notwendigkeit, das tatsächlich zu schaffen, richtig groß. Die Schritte dorthin bleiben aber klein. Fix ist damit nur: Strom und Gas bleiben vorerst teuer. Sehr teuer. (Bettina Pfluger)

Ein Schub für grüne Anlageformen

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Elf Billionen Euro an Vermögen verwaltet allein die europäische Versicherungsbranche.
Foto: Getty Images/Boris Zhitkov

Alternative Energiequellen

Der Klimawandel ist für die Versicherungsbranche ein zweischneidiges Schwert. Sie muss für Schäden aufkommen und ist zugleich großer Investor und somit Hoffnungsträger der Energiewende. Elf Billionen Euro an "Assets under Management" haben Assekuranzen in ihren Büchern. Ob und wie die Versicherer das ihnen anvertraute Vermögen anlegen, davon hängt unter anderem ab, ob die grüne Transformation gelingt – oder nicht, sagt Uniqa-Chef Andreas Brandstetter. Aktuell sei man von Kundengeldern im Gesamtwert von rund 20 Milliarden Euro mit etwa zwei Milliarden in grünen Anlagen investiert. Tendenz steigend.

Angezapft werden wollen auch die bei Pensionsfonds und anderen Vermögensverwaltern gebunkerten Billionen. Denn die Kunden haben zunehmend eine klare Erwartung, dass ihr Versicherungsanbieter oder ihr Fonds nachhaltig investiert. Je größer die Auswahl bei Investitionsmöglichkeiten, desto rascher gehe die Umschichtung hin zu grünen Assets vonstatten, sagt der Uniqa-Chef. Hier hakt es, denn Herr und Frau Österreicher sind wohl stolz auf heimischen Strom aus Wasserkraft, aber Windräder in seiner Nachbarschaft will kaum jemand.

Hohe Preise oder Prämien

Sparzinsen, die man trotz Leitzinserhöhungen mit der Lupe suchen muss, sollten Investitionsentscheidungen für den "Green Deal" erleichtern, denn bei erneuerbaren Energieerzeugungsanlagen ist die Rendite mehr oder weniger garantiert – einerseits durch die aktuell sehr hohen Strompreise und andererseits durch Marktprämien. So nennt man den Ersatz für die früher garantierten Einspeisetarife, also eine laufende Betriebsförderung, die als Zuschuss zu den Erzeugungskosten gewährt wird, sollten die Marktpreise zu niedrig sein. Dieses Regime soll den Ausbau von Wind- und Wasserkraft, Photovoltaik, Biomasse und Biogasanlagen pushen.

Der Bedarf ist evident. Um das Ziel zu erreichen, bis 2030 ausschließlich Strom aus Renewables zu erzeugen, fehlen laut dem von Wissenschaftern und Klimaexperten betriebenen Klimadashboard noch 4682 Photovoltaikanlagen (je 20 Kilowatt peak und 200 Quadratmeter PV-Fläche) und neun Windräder (je fünf Megawatt Leistung), die – nota bene – pro Monat errichtet werden müssen. Zu den Ende 2021 bestehenden 1307 Windkraftanlagen (mit 3300 Megawatt Gesamtleistung) sollten heuer 115 neue (mit 457 Megawatt Leistung) dazukommen. Gesamtinvestition: 665 Millionen Euro. Wohl ließen sich mit den in Niederösterreich, Steiermark und Burgenland geplanten Vorhaben 78 Prozent des nationalen Ausbauziels für Windenergie abdecken, aber ausgerechnet Oberösterreich, das Bundesland mit den meisten industriellen Großverbrauchern, lässt bei Windkraft aus. Auf das nationale Ziel einer Jahresproduktion von 17,22 Terawattstunden (TWh) fehlen immerhin noch 3,79 TWh.

Bei Solar hingegen führt Ober- vor Niederösterreich, Steiermark und Wien, allerdings fehlen auf das nationale Ziel (13 TWh) noch 2,47 TWh.

Auch bei Wasserkraft und Biomasse gibt es Luft nach oben, wenngleich diese dünner ist. Wie so oft sind die letzten Meter die schwierigsten. Sollten die Erneuerbaren-Ziele bis 2030 trotzdem erreicht werden: Bis 2040 muss es munter weitergehen. Der Energiebedarf steigt. (PORTFOLIO, Luise Ungerboeck, 22.11.2022)