Zahlen reiche Menschen zu wenig Steuern und haben zu viel Macht? Die Debatte hat wieder an Fahrt aufgenommen. Nicht nur in Österreich. Viele Superreiche kamen gut durch die vergangenen Krisen. Hierzulande, wo Erbschafts- und Schenkungssteuer 2008 fielen, weiß niemand ganz genau, wie viel die Vermögenden ihr Eigen nennen. Besteuert uns doch, sagt die BASF-Erbin Marlene Engelhorn (heuer erschien ihr Buch "Geld" im Verlag Kremayr & Scheriau) und fordert eine Erbschaftssteuer. Kategorisch Nein sagt der Unternehmer Georg Kapsch dazu nicht. Einig sind sich die beiden darin, dass es eine Steuerreform brauche, die ihren Namen verdiene.

Unternehmer Georg Kapsch und BASF-Erbin Marlene Engelhorn diskutieren über Geldsorgen, Vermögen und Erbschaftssteuer.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Geld ist derzeit für viele Menschen ein großes Thema. Hatten Sie je Geldsorgen?

Engelhorn: Meine Erfahrung ist: Ganz viele Menschen, die viel, viel Geld haben, machen sich permanent Sorgen um ihr Geld. Aber im gängigen Wortgebrauch ist das keine Geldsorge. Geld beschäftigt mich, die klassische Geldsorge hatte ich noch nie.

Kapsch: Die Definition finde ich sehr gut. Wirklich auf den Punkt gebracht, dass sich Menschen, die eigentlich nicht klassische Geldsorgen haben müssten, Geldsorgen machen. Völlig ungerechtfertigt. Auch ich hatte diese nie. Natürlich macht man sich als Unternehmerin oder Unternehmer Sorgen, wenn einmal die Liquidität nicht ausreichend ist. Diese Geldsorgen hatte ich schon in meinem Leben.

STANDARD: Was bedeutet für Sie "reich"?

Engelhorn: Manche Leute sagen, 10.000 Euro sind viel Geld, und damit sind sie reich. Andere sagen, mit 100 Millionen sind sie noch nicht reich. Für Österreich ist mir keine Definition bekannt. Ich finde das Buch von Martin Schürz Überreichtum sehr interessant. Er sagt, weil es diese Definition nicht gibt, wäre es ganz aufschlussreich, eine zu erstellen und eine Überreichtumsgrenze einzuziehen. Sie würde besagen, bis dahin gebe es Wohlstand, der sei jedem vergönnt. Darüber komme man in den Überreichtum und in die politische Problematik, dass die Dosis nicht optimal sei.

Kapsch: Mir gefällt das Wort "reich" überhaupt nicht. Mir gefällt das Wort "wohlhabend", weil ich glaube, es braucht wohlhabende Menschen in einer Gesellschaft. Reichtum ist, wie eigentlich auch Wohlstand, relativ. Genauso wie Armut relativ ist. Bei uns ist jemand arm, der mit dem gleichen Einkommen, mit dem gleichen Vermögen in einem anderen Land ...

Engelhorn: ... wer arm ist, hat schon einmal kein Vermögen. In Österreich ist Armut tatsächlich definiert – 1300 Euro brutto auf zwölf Monate, da gibt es eine Zahl. Wir haben eine Armutsgrenze, wieso haben wir keine Reichtumsgrenze? Wenn man das eine definieren kann, müsste man den Gegenpol auch errechnen können.

Kapsch: Ich sage nur, man kann es nicht absolut sehen. Ein Wert x hat in Österreich eine andere Bedeutung als derselbe Wert in Vietnam.

Marlene Engelhorn fragt: "Wir haben eine Armutsgrenze, wieso haben wir keine Reichtumsgrenze?" Als die Nachfahrin des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn von dem zweistelligen Millionenerbe erfuhr, dass sie ihrer Großmutter Traudl Engelhorn verdankt, wollte sie eine Debatte zur Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit anzetteln. Natürlich könnte sie einfach spenden, sagt sie, aber es brauche eine Diskussion.
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STANDARD: Im Gotischen soll das Adjektiv "reiks" "mächtig" bedeuten. Ist da heute noch etwas dran?

Kapsch: Ich glaube, es hat sich verschoben. Die Lobbyingpower ist heute nicht allein bei den sogenannten Reichen, weil die NGOs reicher sind als diese und die NGOs auch noch öffentlich finanziert werden. Von der reinen Machtposition hat es zu einer Verschiebung geführt in den letzten 30 Jahren. Wenn Sie Österreich nehmen, da gibt es relativ wenig Geldeinfluss in die Politik. Zumindest als ich IV-Präsident war. Ich habe jede politische finanzielle Unterstützung abgelehnt. Wir haben den Parteien nichts gegeben.

STANDARD: Andererseits hatten Sie qua Amt doch Macht?

Kapsch: Ja, natürlich. Aber die gleiche Macht, die ich auf der Industrieseite hatte, hatte meine Kollegin in der Arbeiterkammer und mein Kollege in der Gewerkschaft. Die Machtpositionen waren ausgewogen. Da kann man nicht sagen, weil hinter uns Unternehmen standen, hatten wir mehr Macht als die anderen. Das hängt natürlich auch von der jeweiligen politischen Konstellation ab.

Engelhorn: Kann man die Eigentums- und Privatvermögensverhältnisse im Unternehmensbereich wirklich vergleichen mit den Eigentumsverhältnissen und somit auch den Vermögensverhältnissen in einer NGO? Wenn man sie auf ihren Vermögensstatus reduzieren möchte, kann man die Art und Weise, wie die Politik von den beiden beeinflusst wird, und sei es passiv und sei es latent, nicht ganz vergleichen.

Kapsch: Ich vergleiche auch nicht ein Unternehmen mit einer NGO. Ich vergleiche eine wirtschaftliche Interessenvertretung mit einer NGO. Und dort gilt das Gleiche.

Engelhorn: Ist eine wirtschaftliche Interessenvertretung nicht auch eine NGO?

Kapsch: Im Prinzip ja. Aber im landläufigen Sinne versteht man ja unter NGOs Greenpeace, Global 2000, all diese Organisationen.

Engelhorn: Der Unterschied liegt im Geld. Weil die NGOs nicht auf Profit arbeiten, weil sie nicht ein Unternehmen sind, das etwas herstellt und deswegen mit Gewinnen arbeiten muss. Eine wirtschaftlich ausgerüstete NGO arbeitet, da sie aus der Wirtschaft kommt, mit einem ganz anderen, selbstverständlichen Geldhabitus.

STANDARD: Ist das so, Herr Kapsch?

Kapsch: Nein, das bestreite ich wirklich. Der Geldhabitus bezieht sich nicht auf diejenigen, die dahinterstehen, sondern auf die finanzielle Kraft der jeweiligen Organisation, und die finanzielle Kraft einer Global 2000 ist mit Sicherheit größer als die einer Unternehmerorganisation.

STANDARD: Spüren Sie diese behauptete Macht?

Engelhorn: Auf jeden Fall. Wir reden doch hier. Ich darf mit allen großen Medienhäusern sprechen. Warum? Weil ich Geld habe. Alles andere, was ich habe, das haben andere Menschen auch. Ich bringe etwas scheinbar Unvereinbares in Personalunion. Ich habe Zugang zu Vermögen, habe diese Herkunftsfamilie mit der unglaublichen Vermögensgeschichte, angefangen mit BASF und dann Boehringer Mannheim. Trotzdem bin ich dafür, dass man Vermögen besteuert, Erbschaften besteuert und Schenkungen besteuert.

STANDARD: Sie suchen Verbündete und sagen, besteuert uns Wohlhabende. Warum?

Engelhorn: Uns Überreiche, "wohlhabend" ist ein Euphemismus, um zu verschleiern, wie viel Macht dahintersteckt. Ich stelle mich an die Seite von zwei Dritteln der Bevölkerung in Österreich, die für eine Vermögensbesteuerung sind.

In Österreich fiel die Erbschafts- und Schenkungssteuer 2008. Sollte sie wieder eingeführt werden?
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Unternehmer haben mit Vermögensbesteuerung keine Freude, stimmt es?

Kapsch: Das muss man schon differenziert betrachten. In Europa gibt es nur zwei, drei Länder, die Vermögenssteuern haben. Vermögensbezogene Steuern gibt es mehr, solche haben wir auch. All diese Länder haben wesentlich niedrigere Einkommens- und Ertragssteuern. Ich kann nicht in beiden im Spitzenfeld liegen. Das geht schlicht und ergreifend nicht. Wir haben in Österreich die vierthöchste Steuerquote in der EU und eine der höchsten Staatsquoten. Da etwas draufzusetzen, halte ich wirklich für verfehlt.

STANDARD: Österreich ist allerdings mit einem Anteil vermögensbezogener Steuern von 1,4 Prozent an den Gesamtsteuern eines der OECD-Schlusslichter. Trotzdem nichts zu machen?

Kapsch: Das Steuersystem ist das letzte Mal in den 1990er-Jahren unter dem sozialdemokratischen Finanzminister Ferdinand Lacina verändert worden, der letzte große Wurf. So etwas bräuchten wir wieder. Da muss man sich halt trauen, Dinge zu diskutieren. Das tut niemand. Der politische Wille fehlt komplett.

Engelhorn: Ich glaube, wir sind uns bei einem wichtigen, wichtigen Punkt sehr einig. Und zwar, dass es dringend politischen Willen braucht, das demokratisch durchzudiskutieren und in etwas zu gießen, das man auch eine Steuerreform nennen kann.

Kapsch: Wir haben Grundsteuern, da könnten wir noch etwas tun. Entlasten wir die Einkommen, reduzieren wir die Umsatzsteuer auf Güter des täglichen Bedarfs. Ich bin für vieles zu haben, aber für eine klassische Vermögenssteuer nicht. Das sind die wachstumsschädlichsten Steuern, die zum Abwandern von Unternehmen, Personen und Kapital führen. Wobei Sie über eine intelligente Erbschaftssteuer mit mir reden können, soweit sie die Unternehmensübertragung nicht behindert und nicht zu Quasienteignungen führt ...

Engelhorn: Wäre eine großartige Idee, nicht?

Kapsch: Kommt darauf an. Das produktive Kapital kann ich nicht besteuern, Unternehmer nicht noch weiter belasten. Aber man könnte Systeme einführen, die sagen, wenn du das Unternehmen innerhalb eines Jahres, nachdem du es geerbt hast, verkaufst, zahlst du soundso viel Erbschaftssteuer. Wenn du es nach fünf Jahren verkaufst, so viel, und wenn du es nach 20 Jahren verkaufst, gar nichts mehr.

STANDARD: Frau Engelhorn, Sie wollen möglichst hohe Steuern zahlen.

Engelhorn: Was mir noch wichtig ist wegen Abwanderung: Die USA haben das Schweizer Bankgeheimnis damit geknackt, dass sie es an die Staatsbürgerschaft geknüpft haben. Es ist ja nicht so, als wäre das nicht möglich. Das andere ist: Die London School of Economics hat bei 18 OECD-Ländern über 50 Jahre berechnet, was es für einen Effekt auf Trickle-down und das Wirtschaftswachstum hat, wenn man vermögensbezogene Steuern senkt. Für beides hat es keinen positiven Effekt gehabt.

STANDARD: Gutes Stichwort. Die USA haben eine Erbschaftssteuer und hohe Ungleichheit.

Engelhorn: Die haben auch keinen Sozialstaat.

Kapsch: Und mit den Schlupflöchern umgehen die die Vermögenssteuern beinhart.

"Über eine Erbschaftssteuer können Sie
mit mir reden", so Unternehmer Georg Kapsch.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Wenn wir uns auf diese Debatte einlassen, können wir gleich ...

Engelhorn: ... traurig nach Hause gehen.

Kapsch: Genau. Aber ich stamme ja noch aus einer Zeit, als es Vermögens- und Erbschaftssteuern gegeben hat.

Engelhorn: Als ich geboren wurde, auch.

Kapsch: Aber ich habe sie auch bezahlt.

Engelhorn: Das ist ein großer Unterschied, das neide ich Ihnen sehr, muss ich ehrlich sagen.

Kapsch: Das neiden Sie mir nur so lange, solange Sie sich nicht wirklich Gedanken darüber machen, was der Staat damit tut.

Engelhorn: Doch, genau deswegen. Ich habe gehofft, dass Sie das sagen würden. Und wissen Sie wieso? Ich schaue mir so an, was die Überreichen mit ihrem Geld machen. Es wurde errechnet, und das finde ich so bitter: Es ist genug Geld da, um die Welt zu retten. Und wir machen es nicht. Und ja, Staaten machen viel Mist, aber da haben wir die demokratische Handhabe, und die habe ich nun mal nicht bei Privatunternehmen und bei privaten Stiftungen.

STANDARD: Herr Kapsch, Sie haben vor Jahren gedroht, mit Ihrer Familienstiftung ins Ausland zu flüchten, wenn die Stiftungsbedingungen nochmals verschärft würden. Ihr Argument: Ein Großteil des Vermögens bestehe aus Unternehmensanteilen.

Kapsch: Ja, 98 Prozent meines Vermögens sind nicht Cashvermögen, sondern Unternehmen. Das Unternehmen besteht aus 4000 Menschen, die arbeiten, und für diese Menschen hat man eine Verantwortung. Das ist eine große Familie.

Engelhorn: Das ist aber arg paternalistisch, finden Sie nicht?

Kapsch: Nein, ist es nicht. Die Menschen arbeiten lieber in Unternehmen, die nicht abstrakt sind, sondern wo es jemanden gibt, den sie angreifen können. Und mir ist es auch nicht egal, ob ich 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kündigen muss, weil ich kenne sie. Ich habe eine andere Beziehung zu dieser Art des Vermögens als zu Aktien, Cashvermögen oder Immobilien.

STANDARD: Das bringt uns zurück zur Vermögensbesteuerung. Wieso kommen wir bei der Frage nicht über die ideologische Ebene hinaus?

Engelhorn: Wenn es ein Sachthema wäre, ganz trocken, dann wäre es eine Mathematikhausaufgabe. Wir setzen ein paar Expertinnen ein, versorgen sie gut, damit sie sich in Ruhe der Aufgabe stellen können. In dreieinhalb Wochen haben sie ein Resultat. Aber das ist ja nicht der Fall. Es geht nur um die Emotion, und es geht um Macht. Wer Vermögen nicht teilen will, will eigentlich Macht nicht demokratisieren.

Braucht es Superreiche wie Elon Musk oder Bill Gates? Nein, sagt Marlene Engelhorn, ja, sagt Georg Kapsch.
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STANDARD: Ist Geld nicht auch ein guter Ansporn?

Engelhorn: In unserem System kommt man ums Geldverdienen nicht herum. Es geht aber jetzt um Vermögen, und das verdient man nicht, das erbt man. Wer nicht vermögend geboren ist, wird es nicht.

Kapsch: Natürlich ist Geld ein Ansporn, das ist ja gar keine Frage. Nur der Grenznutzen des Geldes wird mit dessen Zunahme ja immer geringer. Ab einem gewissen Vermögen konvergiert der Grenznutzen gegen null. Wenn sich Jeff Bezos eine Yacht kauft mit 150 Meter Länge, ja, was ist dann der Grenznutzen der nächsten Milliarde? Das ist dann der Fetisch des Geldes. Und wir haben halt zwei die Welt bestimmende Prinzipien, und das tut weh. Das eine ist Gier, und das andere ist Neid. Beides ist nicht gut.

Engelhorn: Gerade der Neid ist ein hochkomplexes Gefühl, das zeigt, dass etwas nicht stimmt. Neid als Symptom für Ungerechtigkeit wird als Totschlagargument missbraucht. Neid begegnet mir immer nur von Privilegierten und vermögenden Menschen.

STANDARD: Eine wichtige Kategorie in der Debatte.

Kapsch: Vor Jahren wurden Menschen befragt: Was ist Ihnen lieber? Sie verdienen x, und Ihr Nachbar verdient zwei x – oder Sie verdienen ein halbes x, und Ihr Nachbar verdient auch ein halbes x. Die Mehrheit hat gesagt ein halbes x. Absurd.

Engelhorn: Es ist gar nicht absurd, dass Menschen Ungleichheit ablehnen – ein gutes Argument für eine Gesellschaft, in der Wohlstand für alle gilt.

Kapsch: Das heißt, mir ist lieber, ich verdiene weniger, wenn mein Nachbar auch weniger verdient. Das spricht für den Neid. (PORTFOLIO, Regina Bruckner, 20.12.2022)