Umstrittener Staat: serbische Flagge im Norden des Kosovo.

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Eigentlich geht es nur um ein paar Ziffern und Buchstaben, aber hinter dem langwierigen Nummerntafel-Streit zwischen Serbien und dem Kosovo steht die grundsätzliche Frage, ob alle Bürger und Bürgerinnen des Kosovo – auch die Serben und Serbinnen, die im Norden leben – den Staat Kosovo, seine Verwaltung und seine Gesetze respektieren und anerkennen.

Bislang tun viele dies nicht, und das hat auch damit zu tun, dass Politiker im Nachbarstaat Serbien sie dazu auffordern und unter Druck setzen. Am Montag verschob der kosovarische Premier, Albin Kurti, deshalb die Umsetzung des Stufenplans zur Einführung von kosovarischen Nummerntafeln im gesamten Staatsgebiet nochmals. Das bedeutet, dass Besitzer von Kraftfahrzeugen, die mit serbischen Nummerntafeln am Verkehr teilnehmen, erst 48 Stunden später mit einem Bußgeld von 150 Euro belegt werden. Eigentlich war die Verwaltungsstrafe bereits ab Montag vorgesehen.

Druck der USA

Kurti hatte dem Druck westlicher Diplomaten, insbesondere der US-Amerikaner, nachgegeben. Zuvor war es in Brüssel in Gesprächen mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić zu keiner Einigung gekommen. Vučić hatte zuvor gesagt, dass die Lage "am Rande eines Konflikts" sei, und vor der "Hölle auf Erden" gewarnt, wenn die Spezialpolizei versuche, die Geldbußen durchzusetzen. Er will, dass – wie bereits im Jahr 2011 vereinbart wurde – für Autos im Kosovo weiterhin Nummerntafeln mit dem Kürzel KS für "Kosovo" ausgestellt werden.

Dies lehnt die kosovarische Regierung jedoch ab, die das Kürzel RKS für "Republik Kosovo" für alle verpflichtend machen will. Tatsächlich lief die Vereinbarung für die KS-Zeichen bereits im Jahr 2016 ab, wurde aber immer wieder verlängert. Der Kosovo wollte schließlich im Vorjahr das Prinzip der Wechselseitigkeit einführen. Fahrer von Autos mit kosovarischen Kennzeichen müssen diese nämlich in Serbien entfernen.

Institutionen verlassen

Eine Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, doch auch die EU-Verhandler Miroslav Lajčák und Josep Borrell erreichten bis heute keine Lösung. Als Anfang November die Regierung des Kosovo damit begann, gleiche Nummerntafeln für alle einzuführen, verließen Vertreter von Serben im Kosovo die Polizei, die Justiz und die Politik. Die kosovarische Regierung hat deswegen Neuwahlen im Nordkosovo für den 18. Dezember angekündigt. Allerdings sind in der Zwischenzeit wieder Serben der Partei Srpska Lista ins kosovarische Paralment zurückgekehrt, wohl auch, um zu vermeiden, dass Serben aus anderen Parteien ansonsten ihre Plätze einnehmen.

Der Leiter des Zentrums für Südosteuropa-Studien an der Universität Graz, Florian Bieber, verweist darauf, dass sowohl Serbien als auch der Kosovo zurzeit, "wenig Grund haben, eine Kompromiss zu finden". Weil der serbische Präsident Vučić die EU-Integration aufgegeben habe, biete die EU im Moment auch kaum Anreize. Zudem werde in einem neuen deutsch-französischen Vorschlag eine langfristige Lösung angestrebt. "Dies gibt auch allen Grund, zunächst eher zu blockieren, als bereits im Vorfeld zu große Kompromisse einzugehen", erklärt Bieber.

Kurti und Vučić profitieren

Auf der kosovarischen Seite profiliere sich andererseits Kurti als Politiker, der nicht nur Serbien die Stirn bieten könne, sondern auch internationalem Druck nicht leicht nachgäbe. Bieber erinnert daran, dass Kurti mit dem Widerstand gegen die Politik der Internationalen auch seine Karriere begonnen habe. "Die Reaktion der EU-Vermittler zeigt, dass sie für seine Haltung wenig Verständnis haben", analysiert der Historiker. Die Glaubwürdigkeit der EU sei aber dadurch geschädigt, dass die Vermittler Miroslav Lajčák und Josep Borrell aus zwei EU-Staaten – nämlich der Slowakei und Spanien – kommen, die den Kosovo "nicht anerkannt haben und daher nicht gerade also unparteiisch wahrgenommen werden".

Bieber meint, dass sowohl Kurti als auch Vučić von der derzeitigen Lage politisch profitierten. "Doch das Risiko einer Eskalation bedeutet auch die Gefahr, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Aus diesem Grund sehen wir ein verstärktest US-Engagement." Der Politikwissenschafter denkt, dass in letzter Minute noch ein Kompromiss gefunden werden könnte. Er warnt aber: "Dann ist die nächste Krise vorprogrammiert. Ich bin skeptisch, ob es gelingt, eine langfristige Lösung auf die Bahn zu bringen. Hierfür müssen die Anreize sehr klar sein, gerade für Serbien. Vučić muss zuletzt die eigene Propaganda unter Kontrolle bringen."

Visafreiheit ab 2024

Indes wurde am Dienstag in kosovarischen Medien publik, dass die Bürger des Kosovo ab 1. Jänner 2024 Schengen-Visa-Freiheit bekommen sollen. Der Kosovo ist seit vielen Jahren der letzte Staat in Südosteuropa, dem die Visa-Freiheit bisher verweigert wurde. (Adelheid Wölfl, 22.11.2022)