Gruppen wie Extinction Rebellion fordern einen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Rohstoffe, mehr politischen Willen im Klimaschutz und schnelleres Handeln.

Foto: EPA/Neil Hall

Dass Erfolge und Enttäuschungen nahe beieinanderliegen, zeigt die kürzlich zu Ende gegangene UN-Weltklimakonferenz, die COP 27. Als historischer Fortschritt wird die Einigung auf einen Entschädigungsfonds gewertet, der besonders betroffenen Nationen nach Klimaschäden finanzielle Hilfe bietet. Während dieser lang geforderte Schritt nun gesetzt wurde, traten die Verhandlungen beim Klimaschutz auf der Stelle.

Für ihn als Klimaforscher kennzeichne der COP-Ausgang einen der schlechten Tage, sagt Daniel Huppmann vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse(IIASA). Zwar bekannten sich die rund 200 Teilnehmerstaaten zum 1,5 Grad-Klimaziel und dazu, dass die globalen Emissionen bis 2023 um 43 Prozent unter das Niveau von 2019 fallen müssen. Doch: "Für den Klimaschutz und die Reduktion unserer Emissionen hat man es wieder nicht geschafft, die fossilen Energieträger im Abschlussdokument überhaupt zu erwähnen."

An guten Tagen sehe er hingegen, dass im Klimaschutz schon einiges passiere, auch dank der Fridays-for-Future-Generation. "Sie versuchen mit wahnsinnig viel Engagement, das Thema zu kommunizieren und Aufmerksamkeit dafür zu schaffen", sagt Huppmann, der Fridays for Future bei einigen Aktionen als Wissenschafter auf dem Podium unterstützt hat.

In etlichen Gruppierungen organisieren und engagieren sich junge Menschen weltweit für den Klimaschutz.
Foto: Imago/ZUMA Wire

Fehlgeleitete Debatte

Angesichts einer trägen Klimapolitik begehrt weltweit eine junge Generation auf. Zuerst in regelmäßigen Demonstrationen und jüngst auch in einzelnen, teilweise drastischen Maßnahmen. Die Krux an der Sache: Aktionen wie jene im Leopold-Museum,bei der Aktivisten Farbe auf ein mit Glas geschütztes Klimt-Gemälde schütteten, lösen Debatten aus, die von der zentralen Thematik des Klimawandels und den nötigen Gegenstrategien ablenken.

"Wir steuern derzeit auf eine Klimakatastrophe zu, die Forschung ist eindeutig", unterstreicht Huppmann, der am IPCC-Sonderbericht 2018 über die globale Erwärmung von 1,5 Grad mitgearbeitet hat. Wichtiger als die Frage, welche Form des Protests legitim sei, "ist es, über notwendige Lösungen zu diskutieren und zu fragen, weshalb dringende Maßnahmen noch immer nicht gesetzt werden". Das betrifft jene Klimaschutzziele, die von gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten etwa im Rahmen des Pariser Klimaabkommens gesetzt wurden. Die Forderungen junger Aktivistinnen und Aktivisten sieht er weder als überzogen noch als aus der Luft gegriffen.

Daniel Huppmann vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse ist Co-Vorsitzender des Zweiten Österreichischen Sachstandsberichts. Darin bewerten mehr als 150 Forschende die wissenschaftliche Literatur zum Klimawandel in Österreich. Der Bericht soll im Sommer 2025 vorliegen.
Foto: Lacey Ann Johnson

Legitime Forderungen

"Was etwa Fridays for Future im Endeffekt fordern, ist, dass die Versprechen, die politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Paris und bei vielen anderen Konferenzen auf Basis wissenschaftlicher Evidenzen getroffen haben, auch umgesetzt werden." Angesichts dieser Bewertung fragt sich, welche Rolle und Verantwortung der Wissenschaft in einer Situation zwischen politischer Trägheit und zivilem Protest zukommt. Besonders, da sie um die potenziell verheerenden Folgen einer ungebremsten globalen Erwärmung weiß. Muss sich die Wissenschaft stärker einbringen, und darf sie das überhaupt?

"Ich finde, dass man sich als Wissenschafterin auch engagieren kann", sagt Ilona Otto. Sie beforscht am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Uni Graz die sozialen Auswirkungen des Klimawandels. Jeder und jede Forschende nehme mehrere soziale Rollen ein, sie selbst sei Wissenschafterin, aber auch Mutter und Bürgerin. "Man lernt in seiner Arbeit die Risiken gewisser Vorgänge kennen, weiß, dass sie schlecht für die Gesellschaft sind, und versucht dementsprechend, die Diskussion voranzubringen." Als Beispiel nennt sie Ärztinnen und Ärzte, die sich gegen das Rauchen eingesetzt haben und für ein Rauchverbot eingetreten sind.

Ilona Otto forscht am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz zu den vielfältigen sozialen Folgen des Klimawandels.
Foto: Uni Graz/Leljak

Paradigmenwechsel in der Wissenschaft

Klar ist, dass Forschende keine Aktionen setzen können, die ihre Glaubwürdigkeit als Wissenschafterin oder Wissenschafter infrage stellen. Doch in diesem Bereich passiere eine Verschiebung. "Vor vier Jahren wäre ich wahrscheinlich nicht mit jugendlichen Aktivisten und Aktivistinnen bei einer Pressekonferenz gestanden, heute ist es für mich selbstverständlich, dass ich das auch tue", erläutert Huppmann.

Er ortet einen Paradigmenwechsel in der Wissenschaft – ausgelöst durch den IPCC-Sonderbericht und die Fridays-for-Future-Proteste. Die Zahl der Forschenden, die klar und verständlich kommunizieren und den Elfenbeinturm verlassen wollen, steige. Auch organisieren sich Wissenschafterinnen und Wissenschafter in Gruppen wie Scientists for Future oder Scientist Rebellion. In der Wissenschaft gebe es eine breite Bewegung hin zu mehr Präsenz in der Öffentlichkeit, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu erklären.

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Mehr Teilhabe, wenig Zeit

Diese Verschiebung geht auf individueller wie auch auf institutioneller Ebene vonstatten. In einem kürzlich erschienenen Positionspapier zur Transformation in der Wissenschaft hat das Uninetz – eine Initiative der Allianz Nachhaltige Universitäten – die stärkere Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft und deren Förderung klar fokussiert. Welche aktiv transformative Rolle die Wissenschaft in der Gesellschaft einnehmen kann, werde auch im Climate Change Center Austria (CCCA) diskutiert, sagt Huppmann, der Vorstandsmitglied des CCCA ist.

"Auch geht es darum zu vermitteln: Was die Aktivisten und Aktivistinnen sagen, entspricht dem Stand der Wissenschaft", erklärt er. Mehr Austausch zwischen Wissenschaft, Politik, Bürgerinnen und Bürgern hält auch Otto für notwendig, wenn es um konkrete Lösungsansätze im Klimaschutz geht. "Hier liegt es auch an der Wissenschaft zu zeigen, dass solche Maßnahmen nicht nur Kosten und Verzicht bedeuten, sondern dass wir alle davon profitieren können." Dieser Austausch scheitere oft am Faktor Zeit und an systemischen Rahmenbedingungen. "Momentan ist es in Hinblick auf die Karriere wichtiger, ein Paper zu publizieren, als zu einem Treffen mit Bürgerinnen und Bürgern zu gehen", sagt Otto.

Grenzen und Austausch

Zwei Aktivisten der Gruppe Letzte Generation schütteten Lebensmittelfarbe auf das Klimt-Gemälde "Tod und Leben". Der 24-jährige Lorenz Trattner klebte seine Hand am Schutzglas des Kunstwerks fest.
Foto: AP/Letzte Generation Österreich

Insbesondere trifft das auf junge Forschende zu. Viele von ihnen haben kurzfristige Verträge oder unsichere Anstellungsverhältnisse, müssen sich darauf konzentrieren, Anträge zu schreiben, um ihre Stelle oder jene ihrer Doktorandinnen und Doktoranden zu finanzieren. Auch hängen weitere Karrieremöglichkeiten von der Zahl publizierter Artikel ab. Dadurch stünde der wissenschaftliche Nachwuchs – aber auch etablierte Forschende – vor einem Dilemma, erzählt Huppmann: "Sie würden gern aktiv sein, haben oft aber gar nicht die Zeit und die Ressourcen, um am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen."

Grenzen für die aktive Einbringung der Wissenschaft sieht auch Lorenz Trattner. Der 24-jährige Aktivist von Letzte Generation hat unlängst seine Hand im Leopold-Museum ans Schutzglas von Klimts Tod und Leben geklebt. Die Aktion richtete sich gegen Kunst- und Kulturförderung durch Ölkonzerne, die sich damit eine reine Weste waschen würden, so die Argumentation. Ihm sei klar, dass sich Forschende nicht auf diese Weise engagieren können. "Wir können das, obwohl wir natürlich auch lieber nicht gegen Gesetze verstoßen würden", sagt er.

Aufmerksamkeit erzeugen

Aktivist Lorenz Trattner sieht im Klimaschutz die Politik in der Pflicht.
Foto: Letzte Generation

So sei Letzte Generation darum bemüht, Schäden so gering wie möglich zu halten. Gemälde würden nur ausgewählt, wenn sie mit Glas geschützt sind, auch würden Bilder mit großem Abstand zu anderen Kunstwerken gesucht, und die Schüttrichtung würde so gesetzt, dass möglichst wenig Farbe auf Wände oder Boden spritzen könne. "Wir haben seit 700 Tagen kein Klimaschutzgesetz, die Regierung schließt die Emissionslücke nicht und verstößt gegen Gesetze, da sie Klimaabkommen nicht einhält", begründet er den aufsehenerregenden Schritt. Vorangegangene Proteste, etwa vor der OMV-Zentrale, hätten keine Aufmerksamkeit gebracht.

Um von der Politik gehört zu werden, brauchen sich Aktivismus und Wissenschaft gegenseitig, ist Trattner überzeugt. Ihm geht es auch um Unterstützung im Appell für mehr und schnelleren Klimaschutz und die Umsetzung von zum Teil auch unpopulären Maßnahmen. "Wir brauchen Wissenschafter und Wissenschafterinnen, die unsere Forderungen unterstützen, da diese ja auf wissenschaftlicher Basis fundiert sind", sagt er. (Marlene Erhart, 23.11.2022)

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