Bei einem Schussattentat auf einem Markt in Khuzestan wurden Mitte November sieben Menschen getötet. Auch in anderen von Minderheiten bewohnten Gebieten steigt die Gewalt.

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Das iranische Regime wird bei der Bekämpfung der Proteste, die seit Mitte September die Islamische Republik überziehen, immer brutaler. Sowohl aus den Reihen der Revolutionsgarden (IRGC) als auch aus den Medien der Hardliner kommen Aufrufe, die bisher waltende "Zurückhaltung" fallenzulassen und durchzugreifen. Amwaj zitiert IRGC-Vizekommandeur Ali Fadawi, wonach man bisher auf "in die Irre Geleitete" Rücksicht genommen habe. Sonst hätte die Staatsmacht im September die Demonstrationen innerhalb von sechs Tagen niederschlagen können.

Die Medien der Hardliner rufen zur Eskalation auf, allen voran Keyhan, dessen Chefredakteur vom religiösen Führer Ali Khamenei selbst ernannt wird. Es sei Zeit, gegen die "Auftragskiller" vorzugehen. Laut Fadawi sind seit Beginn der Protestwelle, die durch den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini in den Händen der Sittenpolizei ausgelöst wurden, sechzig Angehörige der Sicherheitskräfte umgekommen.

Erste Todesurteile gefallen

Die Zahlen der getöteten Demonstrantinnen und Demonstranten liegt je nach Quelle zwischen 420 und 625. Etwa 17.000 Menschen wurden verhaftet, die ersten Prozesse von tausenden sind angelaufen, und mindestens sechs Personen wurden bereits zum Tod verurteilt, Berufung ist möglich.

Besonders brutal schlugen die Sicherheitskräfte in den vergangenen Tagen in Javanrud und in Mahabad in den kurdischen Gebieten im Westiran zu, die Gewalt stieg auch in Belutschistan im Südosten und Khuzestan im Südwesten. Dort gab es Angriffe unbekannter Gruppen. Auf einem Markt in Izeh in Khuzestan wurden vor einer Woche bei einem Schussattentat sieben Menschen, darunter Kinder, getötet.

Kurdistan im Westiran ist bereits seit Mitte September ein Zentrum der Proteste gegen das System der Islamischen Republik.

Es ist zu befürchten, dass das Regime diese Angriffe zum Vorwand nimmt, um einen Krieg gegen die ethnischen Minderheiten und die Sunniten in der Peripherie des Iran zu beginnen. Auch Ziele im nordirakischen Kurdengebiet wurden vom Iran angegriffen, wo die oppositionelle KDPI (Kurdische Demokratische Partei Irans) ihr Hauptquartier hat, dabei starben bisher mehr als ein Dutzend Menschen. Laut dem Regime in Teheran handelt es sich auf beiden Seiten der Grenze um "Separatisten": ein Versuch, die Proteste in den iranischen Provinzen thematisch von den übrigen abzutrennen.

Mit Militäroperationen gegen Minderheiten könnte ein Exempel statuiert werden, dessen Botschaft jedoch allen Demonstrantinnen und Demonstranten gelten würde. Die Proteste werden von Frauen angeführt, die sich gegen die Zwangsordnung stellen, die ihnen islamische Kleidung vorschreibt. Deshalb sprechen viele von einer "feministischen Revolution".

Teheran auf Konfrontationskurs

Die Führung der Islamischen Republik geht auch auf Konfrontationskurs, was ihren Konflikt mit der internationalen Gemeinschaft um das iranische Atomprogramm betrifft. Die Wiener Atomverhandlungen zur Wiedereinsetzung des von US-Präsident Donald Trump torpedierten Atomdeals gelten als tot. Die USA haben sich von den Verhandlungen distanziert, in der EU wird ein neuer Deal angesichts der Ereignisse zunehmend für unmöglich gehalten.

Bisher könnte das Regime auch deshalb die Eskalation gescheut haben, um sich den Weg zu einem Abschluss doch noch offenzuhalten, der Sanktionserleichterungen für den Iran gebracht hätte. Auch diese Zurückhaltung könnte nun fallen.

Vergangene Woche verabschiedete der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien eine Iran-kritische Resolution, da der Iran weiter nicht mit der IAEA zur Aufklärung und Überwachung seines Atomprogramms kooperiert. Am Montag verkündete Teheran seine Reaktion darauf. In der unterirdischen Anlage von Fordow – wo der Iran laut Atomdeal überhaupt nicht anreichern dürfte – soll in Zukunft Urananreicherung auf 60 Prozent stattfinden. Dieser Anreicherungsgrad liegt zwar unter der Waffenfähigkeit, aber es gibt keinen zivilen Zweck dafür. In Fordow sollen zudem starke Gasanreicherungszentrifugen der neuesten Generation aufgebaut werden.

Von 3,67 auf 60 Prozent

Nach dem Ausstieg der USA 2018 begann der Iran mit den Verletzungen des Atomdeals, zunächst zurückhaltend, aber seit 2021 mit einer Anreicherung auf 60 Prozent. Vor dem Deal, der 2015 angeschlossen wurde, lag die höchste iranische Anreicherung bei 19,75 Prozent, laut dem Deal sollte sie momentan überhaupt nur 3,67 Prozent erreichen.

In EU-Staaten werden verschärfte Sanktionen diskutiert, manche meinen, dass es – wie es die USA bereits unter Trump getan haben – nun Zeit ist, die Revolutionsgarden zur Terrorgruppe zu erklären. Da die ICRG im Iran auch eine Wirtschaftsmacht sind, würde das die Sanktionslage weiter verschärfen. Allerdings schließen sich bei weitem nicht alle Staaten der internationalen Gemeinschaft der westlichen Haltung an. Bei einer Abstimmung in einem Komitee der Uno-Generalversammlung in New York über einen Iran-kritischen Resolutionstext stimmten 79 Staaten dafür, 28 dagegen (darunter China und Indien), 68 enthielten sich. Auf einer anderen Ebene versuchen die USA, den Iran aus der UN-Frauenrechtskommission hinauswerfen zu lassen. Am 24. November tritt der Menschenrechtsrat zusammen.

Die Niederlage und das Verhalten des iranischen Nationalteams bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar ruft im Iran unterschiedliche Reaktionen hervor. Keyhan beschrieb das 2:6 gegen Großbritannien als "Iran 2 – England, Israel, Al Saud und Verräter 6". Als die iranische Mannschaft vor dem Spiel die Nationalhymne nicht mitsang, brach das iranische Staats-TV die Übertragung ab.

Was im Westen als heroische Geste wahrgenommen wird, ist manchen im Iran zu wenig: Man kritisiert, dass das Team Melli (Nationalteam) vor seiner Abreise nach Katar einen Empfang von Staatspräsident Ebrahim Raisi nicht boykottiert hat. Im Iran feierten an manchen Orten Protestierende die Niederlage. Sie wurden von Staatsmedien als "Verräter" bezeichnet. (Gudrun Harrer, 22.11.2022)