Maximal ein katarischer Traum: 299 Bäume, die quasi aus einem Fußballfeld wachsen. "For Forest" hieß 2019 diese Kunstaktion im Klagenfurter Wörthersee-Stadion.

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Doha ist ein guter Ort, um Umweltaktivisten zu radikalisieren. Die Staatsmilliarden sprudeln aus Öl- und Gasquellen, das kleinste Auto auf den Straßen kommt aus der Mittelklasse, die Skyline blinkt die ganze Nacht durch. Grünstreifen und Bäume gibt es zwar zur Genüge, bewässert werden sie aber mit Wasser aus gas- oder ölbetriebenen Entsalzungsanlagen. Und was die allgegenwärtigen Klimaanlagen in den und außerhalb der Stadien an Energie fressen, daran will man gar nicht denken.

Aber wer 2022 ein sportliches Großereignis ausrichten will, der muss an der Gebetsmühle der Nachhaltigkeit drehen. Also machte und macht auch Katars Organisationskomitee große Versprechungen. Klopft man diese ab, bröckelt der grüne Glanz.

Österreich durch 20

Die Schweizer Agentur Southpole hat im Auftrag des Fußball-Weltverbands Fifa errechnet, dass die katarische WM 3,6 Megatonnen CO2-Äquivalent verursacht. Das ist so viel, wie ganz Gambia in einem Jahr verursacht, aber nur ein ungefähres Zwanzigstel des Jahresausstoßes von Österreich. Klingt nach wenig? Ist es auch. "Laut unserer Analyse gibt das den echten Abdruck des Turniers wegen der gewählten Berechnungsform nicht wieder", schreibt Gilles Dufrasne von der NGO Carbon Market Watch.

Das offensichtlichste Beispiel für originelles Zahlenjonglieren sind die Stadien. Kaum jemand außerhalb von Katar würde dementieren, dass die sechs neuen Stadien nur für die WM gebaut wurden. In der vom Organisationskomitee verbreiteten Version werden aber nur 70 Einsatztage – die WM und zwei Klub-Weltmeisterschaften – in die Umweltbilanz eingerechnet, zudem wird für die Stadien ein langes Dasein voller hochkarätiger Einsätze impliziert. So wird der für das WM-Budget relevante Teil des Bauaufwands künstlich geschrumpft, Carbon Market Watch schätzt den tatsächlichen Abdruck auf das Achtfache. Das würde also 1,6 statt der von der Fifa ins Treffen geführten 0,2 Megatonnen ergeben.

Das aus 974 Schiffscontainern gebaute Stadium 974.
Foto: IMAGO/Danielle Parhizkaran/USA TODAY Network

Container mal 974

Zwecks Öffentlichkeitswirksamkeit machen die WM-Organisatoren bunte, plastische Versprechen: Das aus 974 Schiffscontainern gebaute Stadium 974 soll komplett abgebaut und als Bastlerhit in ein Entwicklungsland verschifft, die meisten Stadien sollen um zehntausende Sitze zurückgebaut werden. Ob sich für das Ikea-Stadion ein wirklich bedürftiger Abnehmer findet, ist angesichts der riesigen Erhaltungskosten fraglich. Und auch sonst ist nach zwölf Jahren Planung sehr, sehr wenig fixiert.

In diesem Stadium 974 hatte der STANDARD Ende September im Rahmen einer Recherchereise ein regelrecht erleuchtendes Erlebnis. Hauptdarstellerin war die Nachhaltigkeitsverantwortliche Talar Sahsuvaroglu. Dr. Sahsuvaroglu kann gut kommunizieren. Sie erzählte begeistert vom Recycling, von klimaschonenden Materialien, die WM-Baustellen klangen wie ein einziges Klimaschutzprojekt.

Und dann kamen die Fragen. Was wird nach der WM aus den Stadien? Wie wird das alles kompensiert? Was genau wird in diesem und jenem Stadion zurückgebaut? "That has not been decided yet", "That has not been decided yet", "That has not been decided yet". Offensichtlich fehlt den Plänen jegliches Fundament. Da man sich nicht mit fremden Federn schmücken soll, sei gesagt: Die Demontage der augenscheinlichen katarischen Blenderei führten hauptsächlich ein Schweizer und ein deutscher Kollege durch. Davor und danach betonte die Nachhaltigkeitsverantwortliche so wie die ganze Führungsriege von Fifa und Organisatoren stets die "erste klimaneutrale WM". Kompensationsprojekte sollen die offiziellen 3,6 Megatonnen wettmachen.

DER STANDARD

Um diese Projekte zu zertifizieren, gibt es seriöse und unseriöse Unternehmen. Man kann sich denken, an welchem Ende das von Katar ins Leben gerufene "Global Carbon Council" einzuordnen ist. Trotzdem sind bisher nur sechs Projekte genehmigt, allesamt aus dem Bereich der erneuerbaren Energie. Laut Experten gehen diese Förderungen oftmals ins Leere, die Projekte würden sich auch ohne Zuschüsse rentieren. Katars Ablasshandel bewirkt hier gar nichts.

Plastik zum Quadrat

Zugegeben: Kleinigkeiten macht diese WM wohl richtig, doch offizieller Anspruch und Realität gehen meilenweit auseinander. Während ein Herr vom Organisationskomitee über die CO2-Kompensation spricht, für die in Indonesien Plastik gesammelt wird, tauscht neben ihm jemand den viertelvollen Müllsack mit fünf leeren Einweg-Plastikbechern aus. Ein genehmigtes Projekt aus Indonesien findet man in der Datenbank des Global Carbon Council übrigens auch nicht. (Martin Schauhuber aus Doha, 23.11.2022)