Dass Impfungen in manchen Bevölkerungsschichten keinen guten Ruf haben, ist bekannt. Doch ein noch viel größerer Teil der Menschen scheint Angst vor Spritzen zu haben, wie eine im Fachjournal "PlosOne" veröffentlichte Studie nun herausfand. Mehr als 60 Prozent der Menschen dürften betroffen sein, oft geht das bis zur Vermeidung von notwendigen medizinischen Handlungen in Diagnostik und Therapie.

Ein Mann wird gegen Grippe geimpft. Die Angst vor dem Stich mit einer Nadel scheint weiter verbreitet zu sein als bislang vermutet.
Foto: IMAGO/Sven Simon

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass mehr als zwei Drittel der Teilnehmenden zumindest in einem gewissen Ausmaß Angst vor Nadeln haben. Nadelphobie ist also weit verbreitet und signifikant häufiger als bisher in der wissenschaftlichen Literatur für Erwachsene berichtet worden ist", stellen die Autoren Kimberly Alsbrooks aus den USA und Klaus Hoerauf von der MedUni Wien in ihrer Studie fest. Bislang war nur von 2,1 Prozent bis 30 Prozent die Rede gewesen. "Das könnte allerdings auf die Bandbreite bei der Definition von Nadelphobie zurückzuführen sein", mutmaßen die Forschenden.

Insgesamt hatte man im Jänner dieses Jahres mit Unterstützung durch den US-Medizintechnikkonzern Becton Dickinson weltweit Informationen von gut 2.100 Erwachsenen mit einem 21 Punkte umfassenden Fragebogen eingeholt. Dabei zeigte sich ein Problem, dessen sich viele Menschen – auch viele Angehörige der Gesundheitsberufe – zu wenig bewusst sind oder das mehr oder weniger schamhaft verschwiegen wird. "Von den 2.098 Teilnehmern, die in die Studie aufgenommen worden sind, berichteten 63,2 Prozent von einer Nadelphobie", berichten die Forschenden. Die Intensität bewerteten sie im Durchschnitt auf einer Skala von 0 bis 10, von "keine" bis "sehr starke/irrationale" Angst.

Schmerzen als Grund

Als Gründe wurden mit 96,1 Prozent generell ängstliches Verhalten und mit 95,5 Prozent Schmerzen angegeben. Die Auswirkungen auf das Gesundheitsverhalten bzw. auf die Inanspruchnahme wichtiger medizinischer Versorgung dürften groß sein: "Von den Teilnehmern mit einer Nadelphobie gaben 52,2 Prozent an, Blutabnahmen zu vermeiden, 49 Prozent vermieden Blutspenden – und 33,1 Prozent Impfungen." 18,3 Prozent der Ängstlichen versuchen sogar, notwendige Injektionen bei schweren Gesundheitsproblemen zu umgehen.

Etwa ein Viertel der Betroffenen schaute sich um therapeutische Hilfe um. Am ehesten besprachen die Nadelphobiker das Problem mit Angehörigen des Krankenpflegepersonals, und zwar mit einem Anteil von 61,1 Prozent. An die Ärzte selbst wagten sich die Ängstlichen mit 44,4 Prozent solcher Kontakte viel weniger oft heran. Allfällige Hilfe durch die Angesprochenen wurde auf einer Skala von 0 bis 10 nur mit durchschnittlich 4,9 bewertet. Schmerzlose Alternativen und dünnere Nadeln wurden am ehesten als positive technische Hilfe bewertet.

Insgesamt scheint das Problem Frauen stärker zu betreffen als Männer. Der Anteil betrug 55,8 Prozent. Nadelängste scheinen aber bei beiden Geschlechtern offenbar sehr häufig zu sein. Betroffenen würde oft zu wenig geholfen, kritisieren die Forschenden. (red, APA, 23.11.2022)