Monika Fagerholm, 1961 in Helsinki geboren, liest zweimal im Rahmen der Buch Wien.

Foto: Ulla Montan

Fünf Jugendliche aus dem "Villenviertel": vier Burschen, Klassenkameraden, kaum als erwachsen zu bezeichnen, aber reich, verwöhnt, großspurig. Und ein Mädchen, von ebenso illustrer Herkunft, aber im Heim aufgewachsen, schön, überlegen, das den Abend mit ihnen beinahe nicht überlebt. Wie schreibt man über so etwas?

Die 1961 in Helsinki geborene Monika Fagerholm tut es in Wer hat Bambi getötet? in einem treibenden, atemlosen Tonfall – kongenial aus dem Schwedischen übersetzt von der letztjährigen Gewinnerin des Deutschen Buchpreises, Antje Rávik Strubel –, der die Leserin nicht mehr loslässt. Auch wenn die Details der Gruppenvergewaltigung, die sie erzählt, zum Pausieren zwingen, sich ins Gedächtnis einbrennen und nicht mehr verschwinden. Nackte, lachende Buben im Schnee, die ein weinendes, davonlaufendes Mädchen zurückschleifen. Doch bis sie zu diesen Details kommt, lässt Fagerholm sich Zeit.

Wie ein Film erzählt

Wer hat Bambi getötet?, so hätte der Film heißen sollen, den ein Schulkollege der "schrecklichen Vier", der "Boys", wie die Zeitungen sie nennen, ein Nachbar aus dem "Villenviertel", drehen will (bis er es sich wieder anders überlegt). Und Fagerholm erzählt die Geschichte wie einen Film, sie spult vor und zurück, holt manche Bild- und Wortschnipsel wieder und wieder hervor, zoomt hinein in die Leben der Figuren.

Und immer wieder dieser Abend im Haus der Familie Häggerts. Sohn Nathan feiert eine große Party, doch in seinem "Atrium", seinem ganz persönlichen Bereich im Keller des Hauses, geschieht währenddessen Unaussprechliches – und (mit der Kamera des Opfers) auf zahlreiche Fotos Gebanntes. Opfer ist seine Ex-Freundin Sascha. "'Gnade', sagte sie, Sascha. Aber sie hatten keine Gnade." Ein Bambi ist diese Sascha nicht, eher schon ist sie unnahbar, kaum zu greifen, trägt einen kleinen Hund in einer viel zu großen Handtasche herum und verliert ihn irgendwann oder verkauft ihn. Falls es überhaupt wahr ist, aber das erzählt man sich nun mal über sie. Vielleicht kennt sie auch einfach niemand wirklich.

Anklage gegen Rape-Culture

Nathan jedenfalls, der nicht verkraftet, dass sie ihn verlassen hat, will sie töten und hätte es vielleicht auch getan, in dem schallisolierten "Gästezimmer", in dem er sie nach der Tat festhält, wenn sein Freund Gusten sie nicht entdeckt und "befreit" hätte. Gusten, der Nathans engster Kindheitsfreund war, die zwei "Austauschbaren", der später, als seine Mutter längst als erfolgreiche Opernsängerin um die Welt reist, bei den Häggerts lebt. Fast wie ein Sohn. Der selbst an der Vergewaltigung beteiligt war und nach einem Selbstmordversuch in der "Klapse" landet. Gusten, der Sascha ins Krankenhaus bringt (wo sie behauptet, von einer "Gang" überfallen worden zu sein), der zur Polizei geht, um die Sache vor Gericht zu bringen (wo Sascha kein Wort sagen wird). Dabei hätten die Familien doch längst alles unter sich ausgemacht.

Am Ende werden alle freigesprochen, und der bissige Ton, mit dem Fagerholm das erzählt, lässt keinen Zweifel daran, dass auf der Anklagebank noch jemand anderes hätte sitzen sollen, nämlich eine Kultur, Un-Kultur: Rape-Culture. Sie erzählt vom Familienleben der Häggerts, Nathans Eltern: dem bräsig-selbstgefälligen Abbe, immer schon reich und mächtig, und seiner Frau Annelise, wie Sascha im berüchtigten Mädchenheim Grawellska aufgewachsen, die sich aber dann hochgearbeitet hat und zur Galionsfigur der Neoliberalen wurde. "Unternehmensjuristin und Wirtschaftswissenschaftlerin und Führungsprofi", schon mit 27 Jahren in Leitungsfunktionen und neuernannte Professorin an einer der besten Universitäten des Landes.

Flapsig, fast rotzig

Wie Abbe sie am Esstisch demütigt, verhöhnt. "Und Annelise, ja, das ist das Peinlichste – die sonst so schlagfertigt ist, eine, die wirklich nicht auf sich herumtrampeln lässt, sagt nichts. Senkt den Blick wie ein Mädchen, dem auf die Finger gehauen wurde, zur Tischplatte. Der ganze 'funkelnde Intellekt', aller Esprit, wie weggeblasen." Während die "Sache" dabei ist, ihre Karriere zu zerstören, stimmt sie verzweifelt ein in den "Mutterchor" ("So sehr ich auch Feministin bin ..."), während die Väter sich empören über die Bezeichnung "schreckliche Vier", "denn schließlich sind sie trotz allem junge Männer, die das Leben noch vor sich haben".

Flapsig, fast rotzig, unter großzügiger Verwendung von Kursivschrift und Versalien, "Etc etc.", ist der Roman vor allem eine wütende, entschiedene Anklage dieser Kultur. Und ein großartiger, absolut lesenswerter Roman, der für das Unaussprechliche eine wahrhaftige Sprache findet. (Andrea Heinz, 24.11.2022)