Alf-Tobias Zahn ist Autor und Kommunikationsberater in Berlin. Er hat u. a. mit Kirsten Brodde das Buch "Einfach anziehend. Der Guide für alle, die Wegwerfmode satthaben" herausgebracht.

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Neue Werbestrategien: Unternehmen wie Ecoalf bieten am Black Friday keine Rabatte an und kommunizieren das auch.

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STANDARD: Der Black Friday und der Cyber Monday sind ein Milliardengeschäft. Warum ist es so schwer, sich den Rabattschlachten zu entziehen?

Zahn: Dieser unglaublichen Marketingmacht entkommt kaum jemand. Kein Wunder, am Black Friday, dem Early Black Friday oder der Black Week blinken uns im Internet Online-Werbebanner entgegen, wir werden mit Newslettern überhäuft, draußen in den Stores winken die Sale-Schilder. Überall wird man angeschrien, dass man konsumieren soll.

STANDARD: Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich Schnäppchen jage?

Zahn: Das lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Viel entscheidender ist die Frage, wie man an den 364 anderen Tagen oder den 51 anderen Wochen im Jahr konsumiert. Die fünfte Playstation oder den sechsten Kaffeevollautomaten zu kaufen, ist natürlich Quatsch. Für viele aber sind diese Preisnachlässe auch eine Gelegenheit, nützliche Dinge günstiger zu kaufen oder sich gewisse Produkte überhaupt leisten zu können. Die steigenden Energiekosten und die Inflation betreffen Konsumenten und Konsumentinnen in einer zunehmend dramatischen Form. Da fällt es mir schwer, Menschen dafür zu kritisieren, Angebote zu nutzen.

STANDARD: Mittlerweile gibt es das gesamte Jahr über Sale. Sind Abverkäufe generell ein Problem?

Zahn: Abverkäufe sind ein Symptom unserer Konsumgesellschaft. Sie führen vor, wie wir produzieren, wie wir zum Konsum angeregt werden und wie wir letztlich konsumieren. Große und kleine Unternehmen nutzen Sales häufig dazu, die Lager leerzubekommen. Mittlerweile haben viele (Mode-)Unternehmen ihre Lager aufgelöst. Die Abverkäufe gibt es trotzdem, die Gewinnspanne ist einfach zu groß.

Nach Thanksgiving ist vor dem Black Friday: Tausende New Yorker feierten Thanksgiving und schauten sich die 96. jährliche Macy's Thanksgiving Day Parade in Manhattan an. Mit von der Partie: Baby-Yoda, Son-Goku, Boss-Baby, Paw-Patrol und Spongebob
DER STANDARD

STANDARD: Wie vermeide ich, in einen Kaufrausch zu verfallen?

Zahn: Einkäufe lösen Glücksgefühle aus, das nutzen die Firmen. Man kann natürlich Newsletter abbestellen, die Zeiten auf Social Media verkürzen, jede Werbung auf Facebook als irrelevant einstufen. Aber klar, das fällt extrem schwer.

STANDARD: Die Verantwortung für einen nachhaltigeren Konsum darf nicht nur bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern liegen. Was müssten die Unternehmen tun?

Zahn: Sie müssten sich ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusst werden. Unternehmen müssten Überproduktion und das Vernichten von Neuware vermeiden, angestrebt werden sollte eine faire und transparente Preispolitik: Die Konsumenten und Konsumentinnen sollen wissen, wie Dinge hergestellt wurden und wie sich Preise zusammensetzen. Während der Pandemie haben wir gemerkt: Wenn die Regale einmal leer sind, ist das mit Panik verknüpft, auch in der medialen Berichterstattung. Solange es nicht um den Grundbedarf geht, finde ich es nicht schlimm, wenn gewisse Produkte eine Zeitlang nicht vorhanden sind. Eigentlich müsste eine gesellschaftliche Diskussion angestoßen werden, was wir wirklich brauchen, wie wir den Überkonsum eindämmen können.

STANDARD: Meist profitieren Fast Fashion und die internationalen Marken vom Black Friday. Ist es sinnvoll, an jenen Tagen sogenannte nachhaltige Mode zu kaufen?

Zahn: Wenn der Kaufimpuls da ist, würde ich eher für den Kauf eines nachhaltigen Produkts, das slow und fair produziert wurde und soziale Arbeitsbedingungen sicherstellt, plädieren. Wirklich nachhaltig wäre aber, auf den Kauf zu verzichten. Das beste Produkt ist das, das nicht gekauft wird. Verzicht ist für viele negativ konnotiert, doch letztlich müssten wir uns vor Augen führen, dass unser Konsum für alles, was wir unseren Kindern hinterlassen, schädlich ist.

STANDARD: Mittlerweile gibt es Aktionen wie den Green Friday oder Sunday, manche Marken boykottieren auch den Black Friday. Sind das Greenwashing-Aktionen?

Zahn: Eine klare Antwort kann ich auch hier nicht geben. Das müsste man sich im Einzelfall anschauen. Aber wenn eine Marke wie Ecoalf am Black Friday bewusst auf Rabatte verzichtet und darüber aufklärt, empfinde ich das nicht als Greenwashing. Ich habe eher das Gefühl, dass manche nachhaltige Modemarken über Rabatte Zielgruppen erreichen, für die die Produkte sonst zu teuer wären. Wenn man die Kleidung dann auch länger trägt, ist das gut.

STANDARD: Sparen und Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen: Muss das ein Widerspruch sein?

Zahn: Das hört sich natürlich paradox an, aber wer diese Tage nutzt, kann trotzdem verantwortlich handeln. Entscheidend ist immer unser Verhalten über das gesamte Jahr.

STANDARD: Wie halten Sie es mit dem Black Friday?

Zahn: Wir haben mit der Familie eine Liste angelegt mit Dingen, die wir brauchen. An diesen Tagen schaue ich mir schon an, ob jene Produkte günstiger angeboten werden. Ich versuche bereits so ressourcenschonend wie möglich zu konsumieren, merke aber, dass die derzeitige Unsicherheit unserer Gesellschaft Auswirkungen auf mein Konsumverhalten hat. Wir fragen uns noch mehr, was notwendig ist. Diese Sensibilisierung beobachte ich auch bei vielen anderen. Trotzdem hoffe ich ehrlicherweise, dass die Rabattschlachten der Unternehmen nicht erfolgreich sind. Der Black Friday ist einer der schlimmsten Tage im Jahr, er steht für die die massenhafte Produktion von Dingen, die wir großteils nicht brauchen. (feld, 24.11.2022)