Neymar da Silva Santos Junior übt bereits.

Foto: EPA/Friedemann Vogel

Über die brasilianische Nationalauswahl bräuchte man eigentlich nicht viele Worte verlieren. Die Seleção ist die beste, berühmteste, bezauberndste, erfolgreichste, ästhetischste, grandioseste, eleganteste, wunderbarste Fußballmannschaft der Welt. Brasilien, o jogo bonito! Wer immer Fußballfan ist, schnalzt dabei mit der Zunge.

Dieses Brasilien auftaktet heute gegen Serbien, das vergleichsweise bloß eine sehr gute Mannschaft ist, durchaus kompatibel gegen so ziemlich alle. Aber gegen Brasilien?

Die Seleção ist die Nummer eins der Welt. Sie hat die Südamerika-Qualifikation souverän gewonnen. Sie ist fünffacher Weltmeister. Sie ist eine Art Domina des Weltfußballs. Und sie ist selbstbewusst.

So selbstbewusst freilich, dass das zuweilen wirkt, als wäre es ein bisserl allzu zuversichtlich; überheblich beinahe. Neymar da Silva Santos Júnior – der nicht nur, aber schon auch durch exzessives Herumkugeln auf sich aufmerksam gemacht hat – instagrammisierte zuletzt ein Foto seiner Trikothose, auf der sich, fürwitzig fürwahr, ein sechster Stern findet.

Wieder Hexa

Wir – oder besser: die Konkurrenten – erinnern uns an die Heim-WM 2014. Der damalige Slogan lautete wie? Hexa! Und wie endete der Versuch, nach dem sechsten Stern zu greifen? Im Halbfinale gegen Deutschland mit einem 1:7. Zuweilen wird halt der Mund auch von Zauberern etwas sehr voll genommen. Denn der letzte der fünf WM-Titel stammt schon aus dem Jahr 2002. Da schlug im Finale zu Yokohama Ronaldo Deutschlands Goalie Oliver Kahn 2:0

Eingedenk dieser 20 Jahre dauernden Durststrecke war man auch daheim alarmiert. Auch in Brasilien gilt "Verschreien" als Sünde wider die Verwirklichung. Deutsche Medien, allen voran die Bild, bohrten gerne weiter: Arrogant seien sie. Der bei Tottenham tagwerkende Teamkollege Richarlison sprang aber Neymar gerne bei: "Die Arroganten sind sie, die Deutschen. Wir dagegen sind nur Träumer. Wir träumen von diesem sechsten Stern. Und wir werden ihn bekommen, ob sie es wollen oder nicht."

Bis es so weit ist, müssen Neymar und die Seinen treffen. Für den 30-jährigen Neymar steht nicht nur der Titel auf der Liste. Sondern auch ein Platz in der brasilianischen Ewigkeit. Verläuft das Turnier in seinem Sinne – nach seinem Hosenorakel –, dann fügte er seinen bisher 75 Teamtoren ein paar noch hinzu. Pelé, der ewig Beste, hält bei 77.

Raphinha, Flügel beim FC Barcelona, verrät diesbezüglich ein weiteres Arroganzdetail: "Wir haben bereits zehn verschiedene Jubeltänze einstudiert. Einen für das erste Tor, einen für das zweite und so weiter. Ab dem zehnten Treffer werden wir improvisieren müssen." Tanzen statt Kugeln – ein neuer Neymar.

Freilich bedarf der Superstar der Seleção eh ein bisschen der Imagepolitur. Er hat sich im heurigen Präsidentschaftswahlkampf auf die Seite des unterlegenen Jair Bolsonaro geschlagen. Das hat auch viele seiner Fans verstört. Zumal viele der Protestierer gegen den Sieg von Luiz Inácio Lula da Silva das heilige gelbe Trikot anzogen. Ednaldo Rodrigues, der Verbandspräsident, ermahnte die Politisierten: "Das Trikot der Seleção gehört allen Brasilianern, nicht dem einen oder anderen. Es gehört vor allem denjenigen, die damit brasilianische Fußballgeschichte geschrieben haben." Und, so wohl das eigentlich Gemeinte, demnächst wieder tun.

Alter Gegner

Brasiliens Team wird auf einen transferbezüglichen Gesamtwert von mehr als einer Milliarde Euro geschätzt. Auftaktgegner Serbien auf auch 360 Millionen. Der Weltverband führt die Serben auf Rang 21. Jausengegner sind sie aber keineswegs. Zumal bei dieser WM, bei der sie den komischen VAR so fein kalibriert haben, dass ein kleiner Finger schon genügt fürs Abseits. Offensivfeuerwerker müssen sich drauf einstellen, dass die Beurteilung von "gleicher Höhe" nun den strengen künstlich Intelligenten überlassen wird.

Das postjugoslawische Serbien ist zum dritten Mal bei einer WM. Die Gruppenphase überstand man noch nie. In Russland 2018 bewohnte die Balkaner die Gruppe E, wo sie gegen Brasilien 0:2 verloren. Es gibt also was gutzumachen. Oder – eher wahrscheinlich – schlecht.

Neymar hält bei 75 Teamtoren und greift bei der WM Pelés Rekordmarke von 77 Treffern für die Seleção an. Zu lässig sollte der 30-Jährige nicht sein, der Weltmeistertitel fehlt ihm ja noch. (Wolfgang Weisgram, 23.11.2022)

Technische Daten und mögliche Aufstellungen zur Fußball-WM in Katar am Donnerstag:

Gruppe G – 1. Runde:

Brasilien – Serbien (Lusail, Lusail Stadium, 20.00 Uhr MEZ/live ORF 1), SR Alireza Faghani (IRN)

Brasilien: 1 Alisson – 2 Danilo, 3 Silva, 4 Marquinhos, 6 Sandro – 5 Casemiro, 8 Fred – 11 Raphinha, 7 Paqueta, 10 Neymar – 9 Richarlison

Ersatz: 23 Ederson, 12 Weverton – 13 Alves, 14 Militao, 16 Telles, 24 Bremer, 15 Fabinho, 17 Bruno Guimaraes, 22 Everton, 18 Jesus, 19 Antony, 20 Vinicius Jr., 21 Rodrygo, 25 Pedro, 26 Martinelli

Serbien: 23 V. Milinkovic-Savic – 4 Milenkovic, 13 S. Mitrovic, 2 Pavlovic – 14 Zivkovic, 20 S. Milinkovic-Savic, 24 Ilic, 17 Kostic – 10 Tadic – 9 A. Mitrovic, 18 Vlahovic

Ersatz: 1 Dmitrovic, 12 Rajkovic – 5 Veljkovic, 3 Erakovic, 15 Babic, 25 Mladenovic, 6 Maksimovic, 8 Gudelj, 16 Lukic, 19 Racic, 22 Lazovic, 26 Grujic, 7 Radonjic, 11 Jovic, 21 Djuricic

Fraglich: 17 Kostic (Oberschenkel)