Im Gastblog reflektiert Stefan Czurda über das Erlangen jener Fähigkeiten, die stilvolle Straßenfotografie ausmachen.

Um mir ein wenig Inspiration für meine eigenen Fotografie zu holen, betrachte ich immer wieder gerne die Werke der großen Meister und Meisterinnen der Straßenfotografie. Darin finden sich nicht nur charakteristische Bildeigenschaften, sondern die Künstler und Künstlerinnen schaffen es, auf sehr hohem Niveau ihre Bildsprache zu reproduzieren und den Fotografien ihren persönlichen Stil zu geben.

Die Stilfindung in der Fotografie ist eine große Herausforderung. Bis man als ambitionierter Fotograf oder ambitionierte Fotografin charakteristische Fotos abbilden kann, ist typischerweise viel Übung und Zeit zum Experimentieren notwendig. Da ich dieses Thema wirklich sehr faszinierend finde, möchte ich der Stilfindung in der Straßenfotografie den folgenden Beitrag widmen.

Beispiele für Stil auf Profiniveau

Wollen wir zunächst einmal das Schaffen von ein paar Meistern und Meisterinnen der Straßenfotografie ansehen, die einen sehr unterschiedlichen, aber charakteristischen Stil besitzen.

Beginnen möchte ich mit dem wohl bekanntesten Vertreter der Straßen- und Reportagefotografie, Henri Cartier-Bresson. Er war ein Meister der Bildkomposition, der seine Fotos akribisch plante und auf den perfekten Moment wartete. Seine ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Bilder hat er meist mit einer 50-Millimeter-Linse fotografiert. Etwas entfernt vom Ort des Geschehens konnte er mit dieser Brennweite als stiller Beobachter seine Straßenszene stimmungsvoll inszenieren.

Zum Betrachten der Werke des französischen Fotografen sollte man sich unbedingt Zeit nehmen, denn Cartier-Bresson war ein Meister des Bildaufbaus und der Komposition. Kaum ein anderer Fotograf oder eine andere Fotografin hat diese zwei Eigenschaften besser umgesetzt als er.

Ganz im Gegensatz zu Cartier-Bressons Werken mit ihrem illustrativ-dokumentarischen Charakter steht der Stil des US-amerikanischen Fotografen Saul Leiter. Obwohl Leiter auch in Schwarz-Weiß fotografiert hat, sind viele bekannte Fotos von ihm farbenfroh, abstrakt und zeigen eine künstlerische Komposition. Untypisch für die Straßenfotografie, sind viele seiner bekannten Werke mit Tele-Brennweiten entstanden. Wer einen experimentellen oder fantasievoll anmutenden Zugang zur Straßenfotografie bevorzugt, der findet in Leiters Fotografie eine kunstvolle Inspiration.

Einen komplett anderen Ansatz hat der US-amerikanische Reportagefotograf Bruce Gilden. Bekannt wurde er vor allem durch seine fesselnden Dokumentationen der Einwohner von New York. Gilden kann man durchaus als einen kontroversen Fotografen bezeichnen, denn sein Stil ist sehr offensiv. Ohne Furcht geht er mit einem 28-Millimeter-Objektiv sehr nahe an seine Motive heran und arbeitet mit frontalem Blitz.

Durch den Einsatz des Blitzlichts hebt sich das Hauptmotiv sehr stark vom Hintergrund ab. Seine abgebildeten Personen zählen oft zu sozial schwächeren Bevölkerungsschichten und stechen in ihrer Erscheinung aus der Masse heraus, und das grelle Blitzlicht verstärkt diese Wirkung. Gildens Fotografie steht in komplettem Gegensatz zu Cartier-Bresson und Leiter. Sie ist nicht ästhetisch, sondern schockierend sowie schmutzig und teils auch verstörend. Auch wenn seine Art der Fotografie bei uns undenkbar wäre, sind seine Fähigkeit und sein Mut, sehr nahe an seine Motive heranzugehen, beeindruckend und lehren uns mit Sicherheit, dass man sich als Straßenfotograf oder Straßenfotografin auch etwas trauen muss, um interessante Szenen nahe abzubilden.

Straßenfotografie kann aber auch ruhig, still und melancholisch sein. Magnum-Fotograf Ferdinando Scianna beispielsweise zeigt in seinem Werk "To Sleep, Perchance to Dream" ausschließlich schlafende Menschen.

Ein weiteres schönes Beispiel einer stillen Straßenfotografie ist folgendes Bild von der großartigen Fotografin Vivian Maier.

Gerade für introvertierte, ruhige und behutsame Fotografen und Fotografinnen ist die stille Straßenfotografie ein Subgenre, in dem man sich kreativ ausleben kann und nicht die Nähe seiner Motive suchen muss.

Welcher Stil passt zu mir?

Beginnt man gerade, sich mit der Straßenfotografie auseinanderzusetzen, oder hat man eine kreative Sperre und fotografiert gerade nicht so, wie man es sich wünscht, kann man sich immer wieder von den großen Meistern und Meisterinnen inspirieren lassen.

Ich denke, wenn wir uns fotografisch finden wollen, sollten wir uns einen Stil suchen, der zu uns passt. Unsere Persönlichkeit sollte in die Art und Weise, wie wir fotografieren, einfließen, denn so können wir uns mit unseren eigenen Fotos besser identifizieren und authentische Fotos erstellen.

Nicht jeder kann wie Bruce Gilden fotografieren, aber wenn man die nahe Straßenfotografie bevorzugt, kann man sich selbst immer wieder vornehmen, etwas näher an sein Hauptmotiv heranzugehen, um eine Szene spannender zu machen. Ist man eher introvertiert und beharrlich, blüht man vielleicht in der stillen oder abstrakten Fotografie auf, in der man sehr geduldig sein muss und seine Szenerie gut auswählt, um eine ruhige Atmosphäre zu schaffen.

Die richtige Nische finden

Ich glaube, dass es in der Fotografie sehr wichtig ist, anfangs vermehrt mit verschiedenen Stilrichtungen zu experimentieren und zu probieren, welche Art der Fotografie einem liegt und Spaß macht. Hat man seine Richtung gefunden, sollte man daran festhalten und seinen Stil stetig ausüben und verbessern.

Um es auf den Punkt zu bringen, sollten gute Fotografen und Fotografinnen ihre Nische finden, kennen und diese kultivieren. Allan Schallers Nische ist beispielsweise die Schwarz-Weiß-Fotografie mit starken Kontrasten. Diesen Stil – er macht auch nichts anderes – hat er kultiviert, was man seinen ausdrucksstarken Fotos ansieht.

Sehr empfehlen kann ich seinen Vortrag zu diesem Thema, den ich sehr inspirierend finde:

B&H Photo Video

Mein eigener Weg

Meine eigene Stilfindung ist sicher noch lange nicht abgeschlossen. Im letzten halben Jahr habe ich vermehrt daran gearbeitet, meine Fotos interessanter zu gestalten, indem ich versucht habe, näher an meine Hauptmotive heranzugehen. Dazu verwende ich Brennweiten im Bereich von 24 bis 35 Millimeter, mit denen ich manchmal schon wirklich geringe Abstände wählen muss, damit eine spannende Szene nicht zu weit entfernt erscheint.

Diese Art der Fotografie ist für mich fordernd und teils auch eine große Überwindung, aber umso mehr freue ich mich, wenn mir ein spannendes Foto gelingt. Hier eine Auswahl aus meinen bisherigen Aufnahmen:

Am Weihnachtsmarkt
Foto: Stefan Czurda
Naschmarkt-Treiben
Foto: Stefan Czurda
Rauchender Kopf
Foto: Stefan Czurda

Ob meine Fotografie zukünftig in eine dokumentarische oder eher abstrakte Richtung gehen wird, ich mich auf Schwarz-Weiß konzentriere oder doch auch in Farbe abbilde, wird sich noch zeigen. Ich werde jedenfalls weiter experimentieren und herausfinden, welche Fotografie mir am meisten liegt.

Wenn Sie mich auf diesem Weg begleiten wollen, freue ich mich auf Ihre Kommentare zu diesem Thema und einen Besuch meines Instagram-Profils. (Stefan Czurda, 25.11.2022)