Unterstützer der schottischen Unabhängigkeit demonstrierten am Mittwoch vor dem Supreme Court in London.

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Mit einem klaren Urteil hat der Londoner Supreme Court die Gesetzeslage bezüglich der möglichen Unabhängigkeit Schottlands geklärt – damit aber die Debatte angeheizt: Einstimmig verwarfen die fünf Höchstrichter das Projekt der schottischen Nationalistenregierung, in eigener Regie eine "konsultative" Volksabstimmung zu veranstalten. Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon sicherte in Edinburgh zu, die Entscheidung zu respektieren, auch wenn diese "eine bittere Pille" darstelle: "Wir haben ein klares demokratisches Mandat."

Befürworter der Abspaltung vom Vereinigten Königreich verfügen im Edinburgher Parlament über eine eindeutige Mehrheit. Die SNP und die Grünen wollten deshalb die Abstimmung für Oktober 2023 anberaumen.

Nach oben delegiert

Weil sie Zweifel an der Legalität des Vorgehens hatte, legte die oberste Juristin der schottischen Regierung, Dorothy Bain, dem Supreme Court das Gesetz vor.

In der mündlichen Anhörung im Oktober hatten die Advokaten der damaligen Tory-Regierung unter Liz Truss die Zuständigkeit des Gerichts bestritten: Dieses solle frühestens dann tätig werden, wenn das schottische Parlament das entsprechende Gesetz auch wirklich beschlossen habe. Die Argumentation wies Gerichtspräsident Robert Reed, ein Schotte, kühl zurück: Es gehe um das sogenannte Schottland-Gesetz des britischen Unterhauses, dafür sei man allemal zuständig.

Die sprachliche Spitzfindigkeit der Nationalisten, wonach die Abstimmung lediglich "konsultativen Charakter" haben solle, tat das Gericht brüsk ab: Natürlich hätte das Ergebnis, egal welcher Art, politische Konsequenzen. Da aber das Schottland-Gesetz die Zustimmung des Unterhauses erfordere, sei der Plan damit null und nichtig.

Im Vorfeld der ersten Abstimmung von 2014 hatten der damalige Nationalistenführer Alex Salmond und der damalige konservative Premierminister David Cameron bereits zwei Jahre zuvor die Bedingungen des Referendums ausgehandelt, ehe das Unterhaus dem schottischen Parlament die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Zustimmung erteilte. Am Ende votierten die Schotten mit 55:45 Prozent für den Verbleib.

Seither wird auf die damalige SNP-Position verwiesen: Die Abstimmung gelte "für eine Generation". Anders als seine Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss gab sich Premier Rishi Sunak am Mittwoch betont zurückhaltend: Man wolle eine gute Zusammenarbeit mit den Regierungen aller Regionen des Vereinigten Königreichs.

Neue Lage seit dem Brexit

Die Unabhängigkeitsbefürworter sehen die Rahmenbedingungen durch den Brexit komplett verändert. Beim EU-Referendum stimmten die Schotten 2016 mit 62 Prozent für den Verbleib, seither haben sie in allen Wahlen die SNP als dominierende politische Kraft bestätigt. Im Fall der Unabhängigkeit will Sturgeon ihre Nation an den Brüsseler Verhandlungstisch zurückführen.

Zunächst muss sie ihre nächsten Schritte planen. Im Unterhaus erklärten mehrere Nationalisten die Idee der freiwilligen Union der beiden Königreiche für einen "Mythos". Die politische Union besteht seit 1707, bereits seit 1605 haben beide Nationen denselben Monarchen.

Das rhetorische Sperrfeuer der SNP-Vertreter richtet sich nicht zuletzt an ungeduldige Unabhängigkeitsbefürworter in den eigenen Reihen. Zwar ist die radikalere Alba-Party von Ex-Ministerpräsidenten Alex Salmond in der Versenkung verschwunden; acht Jahre nach Sturgeons Einzug ins höchste Partei- und Staatsamt wird aber das innerparteiliche Murren über ihr vorsichtiges und streng legalistisches Vorgehen vernehmlicher. Zudem zerfleischt sich die Edinburgher Parlamentsfraktion über ein neues Transsexuellengesetz.

Wenig Appetit auf zweite Abstimmung

Unter den Schotten insgesamt gibt es Umfragen zufolge wenig Appetit auf eine zweite Unabhängigkeitsabstimmung. Darauf wies der konservative Oppositionsführer in Edinburgh, Douglas Ross, hin. Labour-Chef Anas Sarwar machte den Versuch, die Debatte auf Sturgeons Regierungshandeln zu richten: "Wir sollten auf unsere Probleme fokussieren, etwa die Krise im NHS."

Tatsächlich liegen das Gesundheitswesen, aber auch Schulen in der Zuständigkeit der Regionalregierung und vielerorts im Argen. Seit einiger Zeit werden die Fragen bohrender, ob die seit 15 Jahren regierende SNP ihre Kompetenzen auch ausnützt und die Staatskasse gut verwaltet. (Sebastian Borger aus London, 23.11.2022)