Auf Twitch hat die junge Frau über 91.000 Follower, auf Youtube, Twitter und Instagram hat sie natürlich auch aktive Accounts.

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Wie kann es Spaß machen, auf virtuelle Menschen zu schießen? Mit dieser Frage wurde die 24-jährige Vollzeit-Streamerin und "Call of Duty"-Spielerin Renée Veyla Donnerstagabend in der österreichischen Talk-Show "Stöckl" konfrontiert. Da es auf diese Frage bereits seit Jahrzehnten gute Antworten gibt, referenzierte auch die junge Frau im Gespräch mit der Talk-Runde Studien und Beispiele aus dem Games-Umfeld, die den sportlichen Charakter von Shootern oder Fighting Games als Hauptmotivation feststellen.

Trotzdem blieb in der folgenden Diskussion, die sehr interessiert an der Thematik begonnen hat, ein negativer Unterton gegenüber den Inhalten, mit denen die Streamerin ihr Geld verdient. Auch das Berufsfeld Content-Creator, die damit verbundenen Strapazen, aber auch Möglichkeiten, sich zu verwirklichen – darauf wurde nur sehr am Rande eingegangen. DER STANDARD hat sich die Zeit genommen, noch einmal in Ruhe nachzufragen, wie eine junge Österreicherin – wie so viele andere junge Menschen rund um die Welt – mittlerweile von ihrem Hobby leben und sich trotz Krise weiter ambitionierte Ziele setzen kann.

Junge Hüpferin

Mit fünf Jahren fängt Renée an, sich für Videospiele zu interessieren. Sie spielt "Nintendogs" am Nintendo DS – ein Spiel, bei dem man einen kleinen Hund betreuen muss. Später folgen Klassiker. "Super Mario", "Sonic", und auf der Wii wird "Animal Crossing" und "Wii Sports" gespielt. Mit 14 Jahren lernt sie über einen Freund die Shooter-Serie "Call of Duty" kennen und beginnt sich für das taktische Zusammenspiel zu interessieren. Dass man auf digitale Abbilder von Menschen schießt, spielt dabei keine Rolle. "Meine Mama wusste nicht, dass es erst ab 18 Jahren ist," gibt Renée verschmitzt lächelnd zu.

"Es ging um Koordination und teambasiertes Spielen, das weckte meinen Ehrgeiz", erzählt die Gamerin. Langsam beginnt sie auch Videos auf Youtube anzuschauen, wo Streamer Gameplay-Videos kommentieren. Renée findet das unterhaltsam und startet 2018 damit, ebenfalls eigene Inhalte auf die Videoplattform hochzuladen. Die dafür nötige Ausrüstung kauft sie mit ihrem ersten verdienten Geld von ihrem Nebenjob, den sie sich nach der Matura gesucht hat. Wenig später entdeckt sie Twitch für sich und beginnt regelmäßig zu streamen. Sie jobbt Teilzeit, und den Rest der Zeit investiert sie in ihren Traumberuf: Streamerin. Selbst setzt sie sich das Ziel, nach einem Jahr vom Streaming leben zu können, sonst würde sie es aufgeben. Der Plan geht auf.

Erfolgreich baut sie sich eine Community auf und teilt ihre Leidenschaft mit anderen Menschen. Erste Kooperationsanfragen erreichen die junge Frau, die zugibt, bis dahin eher nicht gerade selbstständig gewesen zu sein. "Mir hat es als Kind an nichts gefehlt, und ich wurde auch danach immer von meiner Familie unterstützt." Die Umstellung auf die Selbstständigkeit, um als Streamerin Geld verdienen zu können, war deshalb nicht ganz einfach.

Schnell lernt Renée, sich mit Buchhaltung auseinanderzusetzen, sich mit potenziellen Werbekunden abzusprechen und ihr Leben selbst zu strukturieren. Ihre Eltern sehen, wie die junge Frau aufblüht und schnell erwachsen wird. Steine werden ihr deshalb nicht in den Weg gelegt.

Interaktion mit dem Chat gehört zum Job dazu.
Foto: Twitch/Renée Veyla

Nicht-Gamer ignorieren

9,4 Milliarden schwer war die Games-Branche allein in Deutschland im Jahr 2022, erklärt die Streamerin – im Interview mit dem STANDARD und auch in der TV-Show. "42 Prozent der Bevölkerung in Deutschland spielen Videospiele, das Thema ist einfach allgegenwärtig." Das Aufzählen von Studienergebnissen, die Videospiele als leistungsfördernd für die Hand-Augen-Koordination nennen, wird in der TV-Runde nur belächelt. "Wenn das alles ignoriert wird, dann kannst du mit solchen Leuten einfach nicht diskutieren", gibt sich Renée dem linearen Fernsehen endgültig geschlagen.

Auf den eigenen Kanälen der Streamerin wird übrigens nicht nur geschossen. Sie redet in Streams auch über ihr Leben, kocht mit anderen Streamern oder nimmt ihre Community mit zum Skifahren. Die dafür investierte Zeit erlaubte in knapp drei Jahren kaum freie Tage, geschweige denn einen längeren Urlaub. "Ich hab einmal eine Woche Urlaub gemacht und deshalb in der Woche davor Content für ebendiese Woche vorproduziert". Das war zu viel, gibt die junge Streamerin zu. Danach wollte sie nie wieder Urlaub machen.

Mittlerweile nimmt sie sich allerdings gezielt Pausen, um nicht auszubrennen. "Ich hab mir schon immer mal wieder gedacht, wie cool es wäre, einen Job zu haben, bei dem man einfach nach Hause geht und nicht mehr daran denken muss." Die eigene Kreativität ausleben und das eigene Zeitmanagement bestimmen zu können, sei dann aber doch die Mühe wert. Viel hilft ihr dabei das vor einem Jahr an sie angedockte Management. Eine Agentur, die als Ansprechpartner, Werbekundenvermittler und Seelsorger zugleich auftritt.

Primär wegen des Geldes solle man den Job deshalb nicht machen, warnt die junge Frau aufstrebende Streamerinnen. Es sei das falsche "Mindset", und die Zuschauer würden es merken, wenn die Person vor der Kamera nicht mit Leidenschaft dabei sei. Am Anfang verdiene man fast gar nichts, und der Weg nach oben sei steinig. Für einen Abonnenten auf Twitch erhalte man etwa zwei Euro, von dem die Steuer noch einmal die Hälfte wegnehmen würde.

Bei Youtube seien es vor allem die zwischengeschalteten Werbespots, dazu Tiktok – alles müsse bespielt werden. Das kostet Zeit und Kraft. Wer dabei keinen Spaß hat, der könne unmöglich durchhalten, bis die Reichweite das eigene Leben finanzieren kann. Kooperationen mit Firmen seien oftmals kurzfristig. Ein Jahresvertrag sei schon die Ausnahme, so die Streamerin.

Veyla

Selbstläufer Frau-Sein

Dass man es als Frau leichter auf Twitch hat, wie die Streamerin immer wieder in ihrem Chat lesen muss, will Renée nicht hören. "Unter den Topverdienern auf Twitch sind 99 Männer in den Top 100", zitiert sie eine aktuelle Analyse der Streamingplattform. Woran das liegt, wisse sie nicht.

Hass im Netz kennt die junge Frau natürlich. Am Anfang ihrer Karriere ging ihr Kritik jeglicher Art noch sehr nahe, mittlerweile habe sie es aufgegeben, mit bestimmten Leuten zu diskutieren. "Es gibt Menschen, die sind nie zufrieden, egal was du machst", hat Renée über die Jahre festgestellt. Man könne lustig sein, spielerisch erfolgreich, und trotzdem würden das manche einfach nur "kacke" finden. Im Notfall würde sie solche Leute blockieren. "Wenn jemand einen Straßenmusiker nicht gut findet, geht er einfach vorbei, aber er schüttet keine Flasche über ihm aus. Das sollte im Internet auch nicht passieren."

Renée heißt die Frau übrigens wirklich – Veyla ist nur ihr Künstlername. Ihren echten Namen hängt sie auch deshalb nicht an die große Glocke, weil sie ihre Wohnadresse möglichst lange geheimhalten möchte.

Schnell vergessen

Zwei Stunden nach dem Gespräch mit dem STANDARD streamt Renée wieder und spricht auch dort offen mit ihrer Community über die Talkshow und die offen geäußerte Skepsis gegenüber Games. "Ich wollte die Parallele zwischen E-Sport und Sport erklären, wurde dabei aber unterbrochen", erzählt sie im Stream. Einzig der ehemalige Song-Contest-Teilnehmer und Musiker Cesár Sampson habe versucht, ihre Position einzunehmen, da er selbst Fighting Games wie "Tekken" spielt.

Die Erklärungen der beiden, dass es einen Unterschied zwischen Spiel und Realität gibt, verhallt in einer kurzen, aber heftigen Diskussion von Skeptikern, die immer wieder betonen, der Thematik eigentlich völlig fremd zu sein. Für die Community von Renée ist das egal. Keiner in ihrem Chat kennt die TV-Sendung. Bald wird wieder über das Spiel diskutiert, in dem man als Team versucht, besser zu sein als die anderen Spielerinnen und Spieler. Wenige Stunden später wird Renée in einem Turnier um 10.000 Euro spielen. Motivation genug, die nächsten Stunden konzentriert am eigenen Können zu feilen. (Alexander Amon, 25.11.2022)