Der deutsche Handelskonzern Rewe boykottiert die WM. Sammelalben und Karten gibt's aber noch.

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Alkoholverbot rund um die Stadien, keine Erlaubnis für One-Love-Armbinden als Zeichen gegen Homophobie, strenge Überwachung für Fans und Spieler – keine Frage, ein Fest der Freude kann man auch anders interpretieren. Dass die Fußball-WM in Katar kein uneingeschränkter Hort der Herrlichkeit ist, bekommen nicht nur Veranstalter, sondern auch Sponsoren zu spüren. Die anhaltende Kritik am Turnier sorgt für Imageverluste.

Laut einer Studie der Uni Würzburg hält etwa eine überwältigende Mehrheit der Deutschen ein WM-Sponsoring für rufschädigend. "Den Auswirkungen auf die Marke muss sich jeder Sponsor stellen. Speziell Großevents stehen im Scheinwerferlicht und verlangen nach einer kritischen Prüfung seitens der Firmen. Mögliche Auswirkungen auf das Image müssen im Vorfeld gut überlegt sein. Die Wucht der sozialen Medien ist eine andere als früher", sagt Karin Wiesinger, die Präsidentin des Public Relations Verband Austria (PRVA) dem STANDARD.

14 Großsponsoren unterstützen den Weltfußballverband (Fifa) und die WM in Katar. Die meisten kommen aus Asien, davon wiederum die meisten aus China. Europa mag das Spiel erfunden haben, das Geld wird längst anderswo gemacht. So unterstützen etwa der chinesische Haushaltsgerätehersteller Hisense, der Immobilienriese Wanda Group ebenfalls aus China, ein koreanischer Autokonzern oder der indische Technologiekonzern Byju's die WM. Mit Adidas ist nur mehr ein in Europa ansässiger Sponsor im Boot. Gemeinsam überweisen alle Förderer der Fifa für ihre Werberechte in diesem Jahr mehr als 1,5 Milliarden Dollar, insgesamt soll die WM 4,66 Milliarden Dollar in die Kassen der Fifa spülen. Der schleichende Rückzug der Europäer kann der Fifa relativ egal sein.

Die TV-Kameras und die weltweite Aufmerksamkeit sind auf die WM in Katar gerichtet.
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Fehlende Erinnerung

Handelt es sich bei der Kritik an Katar um eine eurozentristische Debatte? Sind diese Negativeffekte aus Sicht der Sponsoren im globalen Maßstab nur eine Randnotiz? Wiesinger verneint das, "die Globalisierung am Meinungsmarkt" habe längst stattgefunden. "Katar hat weltweit Auswirkungen auf die Reputation von Sponsoren. Dem gegenüber steht das Verbindende, die sportlichen Leistungen der Fußballer, die Begeisterung der Jugend, was wiederum für das Engagement der Unternehmen spricht."

Marcello Demner, Geschäftsführer der Wiener Werbeagentur Demner, Merlicek und Bergmann, sieht Sponsoren auf einem schmalen Grat wandern zwischen der Unterstützung des Sports und dem Streben, mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. "Es ist die umstrittenste WM, die es je gab. Viele Sponsoren werden künftige Kooperationen rund um das Turnier wesentlich kritischer evaluieren", sagt Demner dem STANDARD.

Die FIFA und das katarische Regime betonen immer wieder, dass auch LGBTIQ-Personen bei der WM willkommen sind. Menschenrechtsorganisationen berichten währenddessen von willkürlichen Verhaftungen, Misshandlungen und Konversionstherapien. Wie es um die LGBTIQ-Rechte im Golfstaat wirklich steht
DER STANDARD

Marketingexperte Christoph Kullnig sieht ein Problem im fehlenden Langzeitgedächtnis von Menschen und Medien. "Nach ein bis zwei Monaten sind manche Aufregerthemen leider schon wieder vergessen."

Unternehmen analysieren mit Compliance-Regeln ganz genau, wie sich das eigene Verhalten auf ihre Kunden auswirkt. So hat der deutsche Handelskonzern Rewe seinen Partnerschaftsvertrag mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) wegen des Verbots der One-Love-Binde in Katar "ab sofort" ruhend gestellt und verzichtet auf Werberechte. Für Lionel Souque ist die "skandalöse Haltung der Fifa" als Konzernchef eines vielfältigen Unternehmens und als Fußballfan "absolut nicht akzeptabel". Bei Rewe könnte hinter der Entscheidung freilich auch der Wunsch stecken, die Gunst der Stunde zu nutzen und sich öffentlich zu profilieren. Der Handelskonzern hatte bereits im Oktober mitgeteilt, sein langjähriges Sponsoring des DFB nicht weiterzuführen.

Public-Relations-Expertin Karin Wiesinger: "Die Wucht ist anders."
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Das Dilemma

Dass diverse Unternehmen und Medien die WM boykottieren, hat nicht selten mit Aktionismus zu tun. Es war schon einmal leichter, die Projektionsfläche der WM als Werbebühne zu nutzen. Viele Kritikpunkte zu Katar waren im Vorfeld der WM über Jahre längst bekannt. "Der Imageschaden wurde offenbar aber unterschätzt. Die Einflussfaktoren auf die öffentliche Meinung sind heute schon so vielfältig, dass Sponsoren zum Zeitpunkt eines Commitments diese Dynamiken schwer abschätzen können. Das ist auch ein Dilemma", sagt Wiesinger. Deshalb kann Katar auch eine Lehre sein. "Die geopolitische Lage spricht Bände. Viele heimische Unternehmen legen ihren Fokus auf lokale Veranstaltungen." (Florian Vetter, 24.11.2022)