Es gibt wenige Orte auf der Welt, die ähnlich unwirtlich und lebensfeindlich sind wie die Oberfläche eines fremden Planeten. Einer davon ist die Antarktis. Aus diesem Grund betreibt die europäische Weltraumorganisation Esa dort eine Einrichtung, in der die Folgen von langer Isolation erforscht werden. Eine der dort aktiven Forscherinnen wurde nun in einem komplexen Auswahlverfahren zur Reserveastronautin gewählt. Erfreulich für Österreich: Sie ist Kärntnerin.

Dass eine Österreicherin zum Zug kommt, ist außergewöhnlich, gilt doch Österreich, trotz einer reichen Historie und Spitzeneinrichtungen wie dem Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, als kleine Weltraumnation, die allerdings derzeit mit Josef Aschbacher den Esa-Chef stellt und zum jährlichen Esa-Budget künftig 116 Millionen Euro beiträgt. Nur ein Österreicher war mit Franz Viehböck bislang im All, 1991 verbrachte er etwas mehr als sieben Tage auf der Raumstation Mir.

Possnig ließ sich von der vermeintlich geringen Chance nicht abschrecken und meldete sich 2021 als eine von rund 22.500 Bewerberinnen und Bewerbern auf eine Ausschreibung der Esa, die bewusst offen gestaltet und von großem Medienecho begleitet war. Die Voraussetzungen: ein naturwissenschaftliches Studium, drei Jahre Berufserfahrung, eine medizinische Bescheinigung der Flugtauglichkeit. 466 Personen aus Österreich reichten ihre Bewerbung ein.

Ein Außeneinsatz des deutschen Esa-Astronauten Matthias Maurer im März.
Foto: ESA/NASA

Danach begann das mehrstufige Auswahlverfahren. 831 Männer und 530 Frauen schafften es in die zweite Runde. Das Ungleichgewicht spiegelt dabei das Übermaß an Männern bei den Bewerbungen wider, die mit fast 17.000 klar in der Überzahl waren. Einem ersten Screening folgten psychologische und medizinische Tests, die zwischen April 2021 und Juli 2022 durchgeführt wurden. Dann begann die Befragung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Medizinische Eignung

Dass der körperlichen Fitness eine große Rolle zukommt, ist etwas paradox, schließlich spielt sich ein großer Teil der Arbeit auf engem Raum bei nur minimaler körperlicher Anstrengung ab. Doch die annähernde Schwerelosigkeit (man spricht von Mikrogravitation) ist für sich genommen eine Belastung für den Körper. Personen, die lang im All sind, bauen Muskel- und Knochenmasse ab, trotz regelmäßiger Trainingseinheiten. Eine grundlegende Fitness ist schon aus diesem Grund entscheidend. Dazu kommt, dass ein medizinischer Notfall im All große Risiken mit sich bringen würde. Hier macht sich Possnigs medizinische Ausbildung bezahlt, eine Qualifikation, die sie mit einer ganzen Reihe von ehemaligen Astronautinnen und Astronauten teilt.

Von den ursprünglich 22.523 Probandinnen und Probanden schafften es 831 Männer und 530 Frauen in die zweite Runde.
Foto: ESA

Possnig brachte einen ungewöhnlichen Erfahrungsschatz in die Bewerbung mit ein, der mit der Antarktis-Station Concordia zu tun hat. Ein entscheidender Faktor in der Raumfahrt besteht darin, die Belastung einer langen Isolation zu ertragen, die viele Menschen in der Corona-Pandemie in abgeschwächter Form am eigenen Leib erlebten. Um diesen Einflussfaktor zu erforschen, nutzt die Esa die entlegene Station.

"Concordia ist insofern ein idealer Ort für uns, als die Forschungsstation in puncto Isolation ähnliche Bedingungen bietet wie ein Raumschiff, zumindest im Winter", erklärt Oliver Angerer von der Esa. "Und der dauert in der Antarktis von Mitte Februar bis November, also rund neun Monate." Die Station liegt im Winter in permanenter Dunkelheit, bei Temperaturen von bis zu –84 Grad und völlig monotoner Umgebung, 1.000 Kilometer von der Küste entfernt. "Die Concordia-Crew ist vielen Faktoren ausgesetzt, die in psychologischer Hinsicht extrem sind und den Herausforderungen einer Marsmission sehr ähneln", sagt Angerer. "Ziel ist es, Rückschlüsse über die soziale Interaktion zu ziehen."

Possnig selbst verbrachte mehr als ein Jahr in der Station, wo sie als Ärztin für das dort stationierte Team fungierte. 2018 war sie mit zwölf weiteren Personen dort für 13 Monate stationiert.

Possnig spricht über ihre Ambitionen als mögliche Raumfahrerin.
European Space Agency, ESA

Nur sechs in weiterer Ausbildung

Eine vollständige Astronautenausbildung erhält Possnig vorerst aber nicht. Sie wird nicht sofort Berufsastronautin, sondern bleibt in Reserve. Die sechs Auserwählten, die gleich in den aktiven Dienst kommen, müssen sich auf ein intensives Training einstellen, dass vielfach unter Wasser in einem eigenen "Nullauftriebslabor" der Esa stattfinden wird. Dort lassen sich Weltraumspaziergänge gut simulieren. Doch auch Schulungen in Robotik, Andockmanöver, Verhaltenstraining und sogar Russischkurse sind Teil des Programms, wobei die Bedeutung Letzterer leider in den vergangenen Monaten abgenommen haben dürfte.

Auch der für die Esa reservierte Bereich der Internationalen Raumstation ISS, das Columbus-Weltraumlabor, ist als Trainingsumgebung auf der Erde nachgebaut und wird mit seinen vier Laborumgebungen für Missionen zur Raumstation genutzt. Ist eine konkrete Mission ausgewählt, folgen noch einmal zwei Jahre spezielles Training.

Carmen Possnig setzte sich in einem Auswahlverfahren der Esa als eine von 17 Bewerberinnen gegen mehr als 22.500 Kandidatinnen und Kandidaten durch.
Foto: ESA - P. Sebirot

Den Ausgebildeten winken nicht nur Aufenthalte in Raumstationen, sondern auch Flüge auf den Mond, die in der Ausschreibung explizit als Missionsziel genannt wurden. Doch der Mond soll nur der Anfang sein, hinter vorgehaltener Hand ist längst vom Mars die Rede. Auch einem ausgedehnteren Ausflug auf den Nachbarplaneten sei sie nicht abgeneigt, lässt Possnig wissen.

Parastronaut

Mitglied des Teams, das nun seine eigentliche Ausbildung beginnt, ist "Parastronaut" John McFall, der bei einem Motorradunfall im Alter von 19 Jahren seinen rechten Unterschenkel verlor. Auch nach Personen mit Beeinträchtigung wurde in der Esa-Ausschreibung dezidiert gesucht. McFall könnte nun der erste Mensch mit einer körperlichen Einschränkung im All werden.

"Es ist eine spannende Zeit für eine Karriere in Wissenschaft oder Technologie", sagt Possnig, die sich auf die kommenden Aufgaben freut. "Raumfahrt ist ein bedeutender Weg, um zu der Art und Weise beizutragen, wie die Menschheit ihre Zukunft gestaltet." Die Forschung bringe am Ende allen etwas. (Reinhard Kleindl, 25.11.2022)