Ernste Lage, schwierige Aussichten beim öffentlich-rechtlichen Milliardenkonzern: ORF-General Roland Weißmann warnt vor Verlusten ab 2024 mit aktueller GIS-Finanzierung.

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Der ORF und die Kreativwirtschaft: Vorzeigeprojekt "Totenfrau" mit Netflix, im Bild Anna Maria Mühe und Sebastian Hülk.

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Wien – ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat am Donnerstag vor Verlusten bei Österreichs größtem Medienkonzern schon ab 2024 gewarnt. Mit den bestehenden Mitteln sei schon ab diesem Jahr "kein positiver Pfad mehr möglich". Die GIS-Erhöhung in diesem Jahr um acht Prozent für die nächsten fünf Jahre reiche nicht, lautet die Botschaft.

Die GIS-Erhöhung um acht Prozent für fünf Jahre bedeute weniger als zwei Prozent pro Jahr, betonte Weißmann – sie sind weit entfernt von den inzwischen zweistelligen Inflationsraten.

Der ORF muss spätestens alle fünf Jahre berechnen, ob die Gebühren zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Auftrags ausreichen – er könnte aber auch laut geltendem Gesetz eine weitere Gebührenerhöhung beantragen, wenn dies nicht der Fall ist.

Neue GIS-Regelung bis März 2023

Nun steht aber nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs eine Neuregelung der Gebühren an. Das Höchstgericht hat die aktuelle GIS aufgehoben, weil sie nicht für Streaming eingehoben wird – das sei verfassungswidrig. Zur Diskussion stehen nun eine auf Streaminggeräte erweiterte GIS, eine Haushaltsabgabe oder eine Finanzierung aus dem Bundesbudget – in noch festzulegender Höhe. 2022 nimmt der ORF laut Finanzplan mit GIS-Gebühren rund 660 Millionen Euro** ein, zwei Drittel seines Milliardenbudgets.

ORF-General Weißmann berichtete von einem Gespräch mit Medienministerin Susanne Raab (ÖVP). Seine Botschaft war, dass es bis März 2023 eine Festlegung auf die neue Finanzierung ab 2024 brauche – um diese auch zeitgerecht umzusetzen. Diese Notwendigkeit sei im ressortzuständigen Medienministerium bekannt und bewusst.

Weißmann hofft, dass "der ORF ab 2024 eine nachhaltige Finanzierung bekommt" – damit er etwa weiterhin seinen Beitrag für die österreichische Filmwirtschaft leisten könne. Und er würde auch die 120 Millionen Euro, die der ORF pro Jahr in Kunst und Kultur investiere, "gerne fortsetzen". Verweise auf Beiträge des ORF zu Produktions- und Kreativwirtschaft gehören zum Standardrepertoire des ORF bei Gebühren- und Finanzierungsdebatten.

Unterstützung der Kreativwirtschaft gesucht

Wenn es um die Finanzierung und die Gebühren des ORF geht, sind die warnenden Rufe der österreichischen Film- und Kreativwirtschaft rasch zur Stelle. Nun braucht der ORF bis Ende 2023 ein neues Finanzierungsmodell nach der heutigen GIS. Und so warnten Filmschaffende am Donnerstag im ORF-Publikumsrat: "Die österreichische Produzentenlandschaft lebt und stirbt mit dem ORF."

Diese Warnung sprach Andreas Kamm aus, geschäftsführender Gesellschafter des Produktionsriesen MR Film und Vorsitzender der Berufsgruppe Fernsehfilm. Er versicherte dem ORF und seinem Generaldirektor Weißmann auf dem Küniglberg: "Wir werden immer für einen starken ORF kämpfen" – und für seine Finanzierung. Denn: "Wir sitzen mit dem ORF und mit dem Publikum in einem Boot."

"Ohne ORF geht nichts"

"Ohne den ORF geht schlichtweg nichts", formuliert das der steirische Produzent Matthias Ninaus (Ran-Film).

Produzent Kamm regt Mindestquoten für die Programmproduktion an. Seine Zielwerte: Mindestens 20 Prozent vom ORF-Umsatz sollten dafür reserviert werden – oder "zumindest 30 Prozent der Gebühren".

Derzeit verpflichtet sich der ORF über drei Jahre – 2022 bis 2024 – zu einem Auftragsvolumen von 310 Millionen Euro*, davon 165 Millionen für fiktionale Produktionen.

Kamm wünscht sich und der Branche längerfristige Planung und erklärt das etwa mit der Entwicklung der ORF/Netflix-Produktion "Vienna Blood". Die Entwicklung der Serie habe sieben Jahre gedauert und 800.000 Euro gekostet. "Wenn wir uns von einem Jahr zum nächsten hanteln, blutet die Produktionswirtschaft aus." Budgets würden "spärlich valorisiert", in Zeiten hoher Inflation eine große Unsicherheit; Kamm moniert zudem, dass große Produktionen mangels Abspielbudgets beim ORF liegen bleiben (erst mit der Ausstrahlung wird ein Teil der Auftragssumme fällig).

"Wissen nicht, wie viel Geld wir ab 2024 zur Verfügung haben"

Längerfristige Planung fällt gerade jetzt etwa Michael Krön schwer, er managt als Chefproducer des ORF das ORF-Fernsehbudget. Er verweist auf das 2023 anstehende, aber noch zu verhandelnde künftige Finanzierungsmodell für den ORF: "Wir wissen nicht, wie viel Geld wir ab 2024 zur Verfügung haben werden."

Appell des ORF-Chefs

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann unterstrich in einem Appel an die Kreativbranche und die Publikumsräte: "Wir wissen nicht, wie die Finanzierung des ORF ab 2024 ausschaut. Der Gesetzgeber ist gefordert, für 2024 eine neue Finanzierung des ORF gesetzlich zu verankern. Ich muss alle Partner auffordern, sich dafür einzusetzen".

Krön äußerte sich im Publikumsrat "zuversichtlich", in "fast allen Fraktionen" sieht er "Verständnis dafür, was der ORF für die Gesellschaft in Österreich leistet".

"Nicht konkurrenzfähig"

Der Chefproducer erinnerte auch an die ORF-Forderung nach mehr Möglichkeiten im Streaming: "Wenn ich den digitalen Verwertungsarm nicht habe, wir digital nicht besser verwerten können, sind wir gar nicht mehr konkurrenzfähig. Das Publikum hat die Produktionen ja bezahlt – und sie verschwinden nach sieben Tagen." Der ORF will für Streaming oder online first produzieren können und Produktionen länger als sieben Tage abrufbar anbieten.

Appelle für Erhalt von ORF.at

Einschränkungen des Textangebots auf ORF.at im Zuge einer Digitalnovelle für den ORF wurden im Publikumsrat in vielen Wortmeldungen kritisiert und abgelehnt. Weißmann hat im September eine Halbierung des Textangebots angeboten, um die Verhandlungen über mehr multimediale ORF-Inhalte und Streamingproduktionen wieder in Gang zu bringen.

"Ich habe nichts davon, dass ich am Ende keine Digitalnovelle habe, sondern eine zeitungsähnliche blaue Seite", erklärte Weißmann im Publikumsrat. "Keine Digitalnovelle für den ORF wäre das Schlimmste. Dann werden wir der Nachlassverwalter eines Broadcasters."

"Wir sollten die blaue Seite nicht unter Denkmalschutz stellen", warnte Andreas Kratschmar, von der Politischen Akademie der ÖVP in den Publikumsrat entsandt.

"Will blaue Seite nicht schwächen"

Es gehe um eine "Fortentwicklung der blauen Seite", erklärte Weißmann und versicherte: "Ich will die blaue Seite nicht schwächen. Wir werden keinen einzigen Leser weniger haben, wenn wir das mit Bewegtbild weiterentwickeln."

Am 28. November startet das ORF-Onlineangebot "Topos" für Wissenschaft, Religion, Kultur. Mit Video, Audio und Textangebot sei "Topos" ein "Rolemodel" für die weitere Entwicklung von ORF.at. (fid, 24.11.2022)