Noch ist das historische Parlamentsgebäude am Wiener Ring eine Baustelle. Während das Haus in einigen Wochen fertig sein soll, ist bei Österreichs Demokratie noch einiges zu sanieren.

Foto: apa / roland schlager

Wien – Eines schickt Martin Kreutner vorweg: "Wir wollen uns bewusst nicht messen an Inselstaaten oder an einem abstrakten Absurdistan." Der neue Demokratie-Index solle den Vergleich mit liberalen Demokratien in Europa anstellen, erklärte der Initiator des Antikorruptions-Volksbegehrens. Er präsentierte gemeinsam mit anderen NGO-Vertreterinnen das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit, heruntergebrochen auf eine Zahl: 57 Prozent. So lautet der Befund der Organisationen über den "Zustand der Infrastruktur der Demokratie" in Österreich.

Es handelt sich um die gewichtete Summe aus sieben untersuchten Kategorien: Souverän, Parteien, Legislative, Exekutive, Justiz, Medien und Zivilgesellschaft. Auch wenn es weltweit schon viele Indizes gebe, wollte man gezielt den Blick auf Österreich richten, sagt Kreutner. Den Wert nach unten ziehen vor allem die Legislative (43 Prozent) und die Exekutive (31 Prozent).

Amtsgeheimnis als Problem

Wo sehen die NGOs das Problem? Die schlechteste Bewertung erhält Österreich in Sachen Informationsfreiheit (22 Prozent). Das überrascht kaum, gilt in der Republik doch nach wie vor das Amtsgeheimnis, ein längst geplantes Informationsfreiheitsgesetz wird innerhalb der ÖVP blockiert. Auch beim Punkt "Exekutive Kontrolle" (38 Prozent) hakt es. Hier fehlten Antikorruptionsmaßnahmen, politische Skandale tragen ihr Übriges zur Wertung bei.

Schlechte Noten erhält Österreichs Demokratie auch bei Transparenz im Parlament: Marion Breitschopf von der Plattform "Meine Abgeordneten" kritisiert, dass es nach wie vor keine Konsequenzen gibt für Abgeordnete, die falsche Angaben über Nebentätigkeiten und Einkünfte machen. "Da liegen wir leider sehr weit hinter internationalen Standards zurück", sagt Breitschopf.

Auch wenn Abstimmungen im Nationalrat meistens nicht geheim sind (anders als auf diesem Foto), gibt es keine transparente Liste über das Stimmverhalten der Mandatarinnen und Mandatare.
Foto: apa / michael gruber

Eine Forderung der Organisation ist außerdem, dass ein bereits vorhandener Abstimmungsmonitor im Parlament in Betrieb genommen wird, um das Stimmverhalten der Mandatarinnen und Mandatare transparent zu machen.

Keine unabhängige Weisungsspitze

Die Probleme in der Justiz betreffen vor allem deren Unabhängigkeit. Die Umsetzung einer Bundesstaatsanwaltschaft würde den Wert etwa "massiv nach oben schnellen" lassen, sagt Kreutner. Eine solche unabhängige Weisungsspitze ist von der türkis-grünen Koalition geplant, aber noch nicht umgesetzt. Oberste Behörde über den Staatsanwaltschaften wäre dann nicht mehr die Justizministerin, sondern ein unabhängiges Gremium.

Wahlrecht positiv bewertet

Positive Entwicklungen sieht der beteiligte Verein Wahlbeobachtung.org bei verschiedenen Wahlrechtsreformen. So sei im vergangenen Jahr eine kleine Wahlrechtsreform umgesetzt worden, die die Inklusion von nichtbinären Personen verbessert und auch die Information von Wählerinnen und Wählern barriereärmer gestaltet. Weitere Reformschritte sind angekündigt, aber noch nicht umgesetzt. Die Maßnahmen würden aber "nicht gut kommuniziert, diese Reformen gehen in der öffentlichen Debatte oft unter", sagt Wahlbeobachter Paul Grohma.

Angesichts dieses Befunds sei eine Transparenzoffensive notwendig, fordern die Organisationen. Das beinhalte ein Informationsfreiheitsgesetz, die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz sowie Compliance-Regeln. "Blicken wir nach vorne und bauen das Vertrauen in den Staat wieder auf", sagt Kreutner.

Ab nun jährlicher Index

An der Gestaltung des Index waren acht demokratiepolitische NGOs beteiligt: das Antikorruptions-Volksbegehren, Meine Abgeordneten, Wahlbeobachtung.org, das Forum Informationsfreiheit, Epicenter Works, der Gründungsverein Demokratiestiftung, der Presseclub Concordia und Respekt.net. Den Index wollen die Verantwortlichen nun jedes Jahr veröffentlichen – in der Hoffnung, in Zukunft bessere Zahlen vorweisen zu können. (Sebastian Fellner, 24.11.2022)