Rechtsanwältin Patricia Hofmann erklärt aus Anlass der von 25. November bis 10. Dezember jährlich stattfindenden 16 Tage gegen Gewalt an Frauen in ihrem Gastblog, welche Formen von Gewalt zu unterscheiden sind.

Ich habe dieses Jahr Vorträge in Schulen zum Thema "Hass und Gewalt" gehalten. Am Anfang frage ich gerne einmal in die Runde, was die Schüler und Schülerinnen denn unter Gewalt beziehungsweise Hass verstehen. "Jemanden schlagen", "treten", sogar "jemanden töten" sind die ersten Antworten, die nach der Frage zur Bedeutung von Gewalt so in den Klassenraum gerufen werden. Alles richtig natürlich, doch es gibt ein Aber. Denn Gewalt ist nicht nur auf körperliche Handlungen beschränkt, sondern hat viele Ausprägungen.

Physische und psychische Gewalt

Die weitgehend bekannte Form der physischen Gewalt umfasst alle körperlichen Übergriffe sowie Misshandlungen. Das reicht von Handlungen wie Schubsen, Treten, Schlägen diverser Intensität, Würgen bis hin zu Mord. Mit körperlicher Gewalt geht meist auch psychische Gewalt einher. Psychische Gewalt ist sehr weitreichend und oftmals schwer fassbar. Um nur einige Beispiele zu nennen: Unter psychischer Gewalt werden unter anderem Beschimpfungen, Demütigungen, Manipulationen, Einschüchterungen, Psychoterror, Drohungen oder auch Stalking verstanden.

Man denkt bei Gewalt eventuell zuerst an körperliche Grenzüberschreitungen, doch es gibt auch noch andere Formen wie etwa psychische Gewalt.
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Gerade da psychische Gewalt sehr schwer erkennbar ist, kann es für Betroffene hilfreich sein, mit außenstehenden Personen – beispielsweise einer Opferschutzeinrichtung – zu sprechen. Dies gilt aber selbstverständlich bei jeder Form von Gewalt.

Nein bedeutet Nein

Sexualisierte Gewalt: eine Gewaltform, die oft tabuisiert wird. Da allerdings die Zahl jener Personen, die in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erfahren haben, und auch die Dunkelziffer hier besonders hoch sind, darf diese Form der Gewalt keinesfalls unausgesprochen bleiben. Doch was bedeutet sexualisierte Gewalt? Grundsätzlich ist darunter jedes Verhalten zu verstehen, das in die sexuelle Selbstbestimmung einer Person eingreift, sich also über den Willen der Person stellt und ohne Zustimmung erfolgt. Die Ausgestaltung von sexualisierter Gewalt umfasst ganz unterschiedliche Ereignisse. Es reicht von sexueller – einmaliger oder wiederkehrender – Belästigung über geschlechtliche Nötigung bis hin zu Vergewaltigung und schwerem sexuellem Missbrauch von Unmündigen. Sexualisierte Gewalt kommt in allen Lebensbereichen vor, zum Beispiel in der Familie oder der Partnerschaft, auch in der Schule, im Sport, im Rahmen von Betreuungsverhältnissen oder auf offener Straße ist sexuelle Gewalt präsent.

Anstieg an Verurteilungen von Sexualdelikten

Ein interessanter Fakt dazu ist der Anstieg an Verurteilungen bei Sexualdelikten. Im Jahr 2021 wurden laut Verurteilungsstatistik 843 Personen wegen strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (so der Überbegriff der Sexualdelikte im Strafgesetzbuch) verurteilt. Sieht man sich dazu die Zahlen aus den vergangenen Jahren an, zeigt sich ein deutlicher Anstieg. So waren es im Jahr 2020 nur 701 und im Jahr 2019 673 Verurteilungen. Mit 670 Verurteilungen von Sexualdelikten im Jahr 2018 ist die Zahl zum Jahr 2019 nahezu gleich geblieben.

Die anderen Ausprägungen von Gewalt

Symbolische, institutionelle oder finanzielle Gewalt sind dann wohl schon wieder nicht mehr so gängige Begriffe, sollen aber keinesfalls unerwähnt bleiben. So ist ein Teil von symbolischer Gewalt, Personen abzuwerten, dies wird vor allem über Denk- und/oder Handlungsweisen vermittelt. Klingt erstmals etwas wissenschaftlich, aber an einem Beispiel erkennt man rasch, was darunter zu verstehen ist: Mit den Worten "Rabenmutter", "Karrierefrau" oder "Schlampe" wird angezeigt, wie Frau nicht sein soll. Unter die strukturelle und institutionelle Gewalt fallen alle Formen der Diskriminierung und ungleicher Verteilung von Lebenschancen. Bei ökonomischer und finanzieller Gewalt lässt sich bereits aus dem Begriff viel ableiten, hierbei werden vor allem Geldmittel – leider oftmals vom Partner – als Machtinstrument eingesetzt.

Hilfe, wenn man Hilfe braucht

Für Betroffene von Gewalt ist es oftmals ein Teufelskreis. Die Scham, sich an Dritte zu wenden, ist vielfach groß, dann kommt doch wieder eine Entschuldigung des Täters oder der Täterin, und man denkt sich: Vielleicht ändert er oder sie sich. So passiert es, dass Betroffene auf die Frage "Warum sind Sie nicht früher gegangen?" gar keine Antwort haben, denn sie verstehen es rückblickend oft selbst nicht. Sie waren gefangen in der Gewalt, in dem Kreislauf, und ein Ausbruch ist nicht einfach. Denn die Gewalt kommt nicht selten schleichend, und durch das leugnende Verhalten des Täters, der Täterin, sind Betroffene manchmal selbst verunsichert, was ihre Wahrnehmungen angeht. Doch das ist auch meist das Ziel des Täters oder der Täterin.

Warum nun die Kenntnis von verschiedenen Gewaltformen überhaupt relevant ist, fragen sich jetzt vielleicht Lesende. Die Antwort: zur Prävention. Denn neben vielen anderen Präventionsmaßnahmen ist die Kenntnis darüber, was – bereits – Gewalt ist, eine Möglichkeit, Sichtbarkeit und Bewusstsein zu schaffen. Sensibilisierung und Aufklärung sind zumindest ein Anfang, um Personen bei ihrem Weg raus aus der Gewalt zu unterstützen.

Zum Schluss noch einmal zurück zum Anfang: Wenn am Ende eines Vortrags in der Schule dann ein Schüler, eine Schülerin mehr weiß, dass auch andere Formen von Gewalt existieren, so ist das ein Schritt hin zur Prävention dieser Gewalt. (Patricia Hofmann, 28.11.2022)