Der Gedenkstein für die von den Nazis Ermordeten ist auf einem Grundstück der Krankenkasse in Goldegg zu finden.

Foto: Thomas Neuhold

Eigentlich sollte die Neufassung jenes Kapitels der Goldegger Ortschronik, das die NS-Vergangenheit des Pongauer Ortes beleuchtet, den seit Jahren schwelenden Konflikt um die Goldegger Deserteure entschärfen. Das ist gründlich misslungen, wie ein Schreiben von Gerhard Baumgartner, wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW), an den Salzburger Landeshauptmann und seine Stellvertreter zeigt.

In dem Mitte November verfassten Schreiben fordert Baumgartner, die Publikation des Salzburger Landesarchives "Goldegg im Pongau im Nationalsozialismus" so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. "Ich möchte Sie eindringlich bitten, alle notwendigen Schritte zu ergreifen, um den Opfern von Goldegg nach 80 Jahren endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen", heißt es in dem Schreiben an Wilfried Haslauer, Christian Stöckl (beide ÖVP) und Martina Berthold (Grüne).

Langer Konflikt

Die Konfliktgeschichte um die 14 Deserteure und Widerstandskämpfer, die am 2. Juli 1944 von einer Todesschwadron der SS und der Gestapo getötet wurden, reicht ins Jahr 2013 zurück. Damals versuchte Brigitte Höfert, Tochter eines der Ermordeten, einen Gedenkstein für die Opfer in der Gemeinde verlegen zu lassen. ÖVP und Grüne brachten das Vorhaben zu Fall. Dahinter steht, dass es in Goldegg neben den Opferfamilien auch viele Täterfamilien gibt, auf die man Rücksicht nehmen wollte.

Der Stein wurde trotzdem verlegt, allerdings auf einem Grundstück, das zu einem Rehazentrum der Salzburger Gebietskrankenkasse gehört. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurde auch bekannt, dass die Widerständler in der offiziellen Ortschronik Goldeggs unter anderem als "Landplage" diffamiert werden. Die Chronik stammt aus dem Jahr 2009.

Zeithistorische Bewertung "inakzeptabel"

Nun sollte dieser Teil der Ortschronik neu und von renommierten Historikern verfasst werden. Das Ergebnis beschreibt DÖW-Leiter Baumgartner in dem Schreiben an die Landesregierung als zeithistorisch "inakzeptabel". Baumgartner kritisiert, dass nicht das Schicksal der Deserteure im Mittelpunkt der Publikation stehe, sondern es seitenlange Darstellungen der inszenierten "Volksgemeinschaft" bei Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel gebe. "Die Opfer der Massenverhaftung und Folterungen werden nicht einmal beim Namen genannt." Zudem fehlten die Nachkriegsverfahren gegen die als brutal bekannten Salzburger Gestapo-Männer.

Marterl in Goldegg für zwei von der Gestapo hinterrücks erschossene Bauernsöhne.
Foto: Thomas Neuhold

Baumgartner kritisiert ferner, dass neben der "unverständlichen und unerträglichen Gewichtung" im Schlusswort der Broschüre "die vielen positiven Auswirkungen des NS-Regimens auf Goldegg dargestellt werden – Wasserleitung, Straßenbau, Fremdenverkehr, verfügbare Zwangsarbeiter (!) –, während lediglich die Verfolgungsmaßnahmen als etwas exzessiv und überzogen charakterisiert werden".

Baumgartner ist übrigens nicht allein mit seiner Kritik. Die Schriftstellerin Hanna Sukare, die die Verbrechen der Nazis in Goldegg in dem Buch "Schwedenreiter" literarisch verarbeitet hat, sprach schon unmittelbar nach der Präsentation der Broschüre im Mai von einer "Anti-Deserteurs-Argumentation", obschon die Ermordeten von der Republik Österreich längst rehabilitiert worden seien.

"Höchste Eskalationsstufe"

Der Verfasser des in die Kritik geratenen Werkes ist der im Salzburger Stadtarchiv tätige Historiker Johannes Hofinger. Im STANDARD-Gespräch meint Hofinger, dass den Vorwürfen ein großes Missverständnis zugrunde liege. "Die Fokussierung auf die Deserteure war nicht mein Auftrag", sagt Hofinger. Ähnlich äußert sich der Herausgeber der Broschüre, Landesarchivleiter Oskar Dohle. Der Auftrag habe gelautet, die gesamte NS-Geschichte aufzuarbeiten, nicht nur die Geschichte der Deserteure.

Hofinger seinerseits kritisiert das DÖW: Mit dem Schreiben an den Landeshauptmann habe man gleich die "höchste Eskalationsstufe" gewählt. Besser wäre es gewesen, vorher miteinander zu reden. Hofinger schlägt nun vor, einen Historiker oder eine Historikerin mit der Aufarbeitung der Goldegger NS-Geschichte zu beauftragen, der oder die außerhalb der Gemeinde, des Deserteursvereins oder des Landes Salzburg stehe – also Distanz zu allen Seiten habe.

Im Büro von Landeshauptmann Haslauer sieht man die Causa pragmatisch. Es handle sich "um eine historische Diskussion zweier Experten", sagt ein Sprecher Haslauers. Beide Seiten hätten "große Expertise", man arbeite nun daran, den Konflikt zu lösen. (Thomas Neuhold, 24.11.2022)