Mehrere rechte soziale Netzwerke liefern sich aktuell einen Konkurrenzkampf – unter ihnen Gettr, das auch in Österreichs Politik und Medien angekommen ist.

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Ganz Österreich sucht nach einer Alternative zu Twitter. Ganz Österreich? Nein. Ein ehemaliger Präsidentschaftskandidat scheint sie bereits gefunden zu haben. Seit geraumer Zeit macht Gerald Grosz, Ex-FPÖ- und BZÖ-Politiker und nunmehr rechtspopulistische One-Man-Show, Werbung für die rechte Social-Media-Plattform Gettr. Gegründet am symbolträchtigen 4. Juli 2021 – dem US-amerikanischen Unabhängigkeitstag –, versteht sich Gettr selbst als "Marktplatz der Ideen". Zielsetzung: die, laut eigener Auffassung allgegenwärtige, Big-Tech-Zensur von Twitter, Facebook oder Instagram zu bekämpfen.

Wer sich bei dieser Beschreibung an Donald Trumps Eigenkreation Truth Social erinnert fühlt, liegt nicht weit daneben. An der Spitze von Gettr steht mit Jason Miller Trumps Ex-Sprecher, weiterhin ein enger Vertrauter. Lange war darüber spekuliert worden, ob der auf Twitter gesperrte Trump auf Gettr seine Auferstehung feiern würde. Doch auch ohne Trump feiert sich Gettr selbst als das am schnellsten wachsende soziale Netzwerk der Welt, aktuell hält man bei rund sieben Millionen Nutzerinnen und Nutzern.

Zweite Heimat für Twitter-Verbannte

Die politische Schlagseite der Plattform ist klar. Hier tummeln sich Journalistinnen, PR-Berater, Autorinnen und Medien vom rechten Rand. Eine große Fanbasis hat der abgewählte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro: 1,2 Millionen Userinnen und User sollen in Brasilien registriert sein. Der frühere Trump-Mastermind Steve Bannon, der österreichische Identitären-Chef Martin Sellner und Social-Media-Star Andrew Tate, der vor allem wegen seiner frauenfeindlichen Postings auffällt, fanden nach ihren Twitter-Sperre in Gettr eine zweite Heimat.

Foto: Gettr / Screenshot

Jason Miller entkommt man auf der Plattform nur schwer. Wer sich neu anmeldet, findet den eigenen Newsfeed voll mit den Beiträgen des CEOs, ohne ihm jemals gefolgt zu sein. Schnell wird klar, dass Miller noch immer klar hinter Donald Trump steht – auch wenn der sich nicht dazu hinreißen ließ, Gettr beizutreten. Er spricht von einem Krieg, den Trumps Feinde gegen ihn führten. Nach Trumps Twitter-Sperre warnte er dessen Anhängern: "Wenn ihr nicht glaubt, dass sie euch als Nächstes holen, liegt ihr falsch." Von Trumps Bekanntgabe seiner neuerlichen Kandidatur im November – auf Gettr live gestreamt – postete Miller Fotos aus dem Backstage-Bereich.

Österreich-Tour

Auf die österreichische Rechte scheint CEO Jason Miller ein besonderes Auge geworfen zu haben. Im Sommer tourte er durch Wien, traf den Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp, dessen nach Ibiza in Ungnade gefallenen Vorgänger Johann Gudenus und oe24-Chief-Digital-Officer Tamara Fellner, die sich alle stolz mit dem amerikanischen PR-Haudegen fotografierten – und die Bilder auf ihren Gettr-Profilen teilten.

Bei Fellners Mann, "Österreich"-Herausgeber Wolfgang Fellner, war Jason Miller zuletzt im November in einer Liveschaltung zu Gast – und konnte sich über eine sehr wohlwollende Vorstellung seiner Plattform freuen. Bei exxpress.tv durfte Miller bereits im Februar seine Thesen über freie Meinungsäußerungen darlegen. Ein exklusives Interview gab es auch für den "Heimatkurier" aus dem identitären Lager.

Werbeträger Grosz

Besonders tut sich aber Gerald Grosz hervor. Zwar bewegt sich der Grazer auf praktisch jeder ihm zur Verfügung stehenden Onlineplattform – auch weiterhin auf Twitter – lautstark und mit großer Resonanz. Auffällig ist aber die offensive Werbung, die Grosz für Gettr macht. "SCHLUSS mit Zensur, SCHLUSS mit Big Data! GETTR, die Plattform für Meinungsfreiheit", schreibt er – unzensiert – auf Twitter, von wo aus er regelmäßig seine Livestreams auf Gettr promotet.

Foto: Gettr / Screenshot

Auf Selfies mit Miller bedankt er sich für die Freundschaft, zum einjährigen Jubiläum der Plattform gratulierte er Miller und bezeichnete Gettr "als Pionier der Redefreiheit in den sozialen Medien". Dazu trug er Shirt und Kappe seiner eigenen Präsidentschaftskampagne, die mit "Make Austria Grosz Again" Anleihen am Schaffen des früheren Trump-Beraters nahm. Der habe sich, so Grosz, von sich aus mit ihm als Influencer in Kontakt gesetzt. Für die Werbung für Gettr gebe es jedenfalls keine Gegenleistung. Dafür bezeichnete Miller Grosz' Livestream auch schon einmal als einen seiner "Favoriten".

Etwa 500 Zuschauerinnen und Zuschauer waren bei Grosz' letzten Streams dabei. Ein großer Teil seiner 15.000 Follower treten ohne Klarnamen und Foto auf, die Zahl ihrer Follower und gefolgten Profile bleibt im einstelligen Bereich, entsprechend niedrig bleiben auch die Reaktionszahlen auf Beiträge. Manche von ihnen tragen Namen wie "Ostfront_Muc" oder zitieren in ihren Profilbeschreibungen den SS-Wahlspruch "Unsere Ehre heißt Treue".

Wer zahlt?

Woher das Geld für die Plattform genau kommt, bleibt unklar. Miller selbst brachte in einem Artikel des US-Magazins "The Daily Beast" einmal die Rede auf eine nicht näher benannte Stiftung, die in Verbindung zu Guo Wengui stehe, einem chinesischen Unternehmer im Exil, der auch unter den Pseudonymen Miles Guo oder Miles Kwok auftritt.

2017 gab die chinesische Regierung bekannt, dass Interpol den Dissidenten auf Betreiben Chinas suche. Er soll zumindest zeitweise in Donald Trumps Anwesen in Mar-a-Lago gewohnt haben, wie die "New York Times" berichtete. Selbst ist Guo auf Gettr äußerst aktiv. In seiner Profilbeschreibung ist zu lesen: "Wir sind die Bürger des neuen Bundesstaates China. Unsere Mission ist es, die böse (evil) chinesische Kommunistische Partei zu stürzen."

Fragen, die bei all dem auftauchen, wollte Gettr dem STANDARD nicht beantworten, entsprechende Anfragen blieben unbeantwortet. Ob Gettr zur massentauglichen Alternative zu Twitter wird? Wohl kaum. Aber es dürfte in künftigen Wahlkämpfen dazu beitragen, die politischen Fronten noch weiter zu verfestigen. Nicht nur in den USA. (Michael Windisch, 27.11.2022)