Es wäre womöglich die größte wissenschaftliche Entdeckung der Geschichte, und wenn es nach der ehemaligen Wissenschaftschefin der Nasa, Ellen Stofan, geht, könnte es bereits in wenigen Jahren so weit sein. Sie prognostizierte bei einer Podiumsdiskussion 2015, dass es bereits 2025 starke Hinweise auf Leben im All geben sollte, mit definitiven Beweisen in den folgenden Dekaden.

Es handelte sich um eine kühne Prognose, die eine mehrjährige Verzögerung des James-Webb-Teleskops noch nicht einkalkuliert hatte. Die Verspätung kann getrost zu ihrer Prognose hinzuaddiert werden, denn auch wenn Webb nicht die einzige Möglichkeit ist, Leben im All zu entdecken, kommt ihm doch eine Schlüsselrolle zu. Mit dem neuen Teleskop, das im Infrarotbereich arbeitet, lassen sich die Atmosphären fremder Planeten in nie dagewesener Qualität analysieren.

Das Spektrum des Planeten Wasp-39b. Der "Peak" des Schwefeldioxids ist gut erkennbar. Wer genau hinsah, konnte ihn schon in der ersten Veröffentlichung zur Entdeckung von CO2 in der Atmosphäre des Planeten entdecken.
Foto: NASA, ESA, CSA, J. Olmsted (STScI)

In der ersten Phase der Veröffentlichungen spektakulärer, bunter Himmelsphänomene gingen die sonderbaren, gezackten Kurven der Exoplanetenanalysen Webbs beinah unter. Doch sie demonstrierten bereits die erhoffte Fähigkeit des Teleskops, detaillierte Untersuchungen von fernen Planeten durchzuführen.

Doch nachdem bereits im August beim 700 Lichtjahre entfernten Planeten Wasp-39b, der als eine Art Modellsystem für die Forschungen mit Webb fungiert, erstmals Kohlendioxid in der Atmosphäre eines Exoplaneten festgestellt wurde, entdeckten die Forschenden nun neben Natrium, Kalium, Wasser, Kohlenstoffmonoxid und Kohlenstoffdioxid auch einen seltsamen Ausschlag der Kurve, der die Existenz von Schwefeldioxid belegt, wie eine internationale Forschungskooperation unter Mitwirkung von Patricio Cubillos, Ludmila Carone und Katy Chubbzur vom Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz nun in Fachjournalen erschienenen Studien darlegte.

Webb ist für diese Forschung deshalb so effektiv, weil es eine große Bandbreite an Wellenlängen im Infraroten bis hin zum sichtbaren Spektrum abdeckt. "Das ist ein Novum und ein großer Schritt vorwärts in der Geschichte der Exoplanetenforschung. Denn so eine große Abdeckung in hoher Auflösung erlaubt es uns, die Chemie von Exoplaneten-Atmosphären in ihrer Gesamtheit zu erfassen", sagt Carone. Deshalb gelang auch die Auflösung des überraschenden "Peaks" in der Kurve neben dem bereits bekannten Signal für CO2. "Man sah auf einmal ein Molekül mehr als erwartet", zeigt sich auch IWF-Direktorin Christiane Helling begeistert.

Woher stammt das Schwefeldioxid?

Das stellte aber erstmal ein Rätsel dar. Schwefeldioxid wäre in einer Atmosphäre wie jener der Venus zu erwarten, die von Kohlendioxid dominiert wird. In einer Atmosphäre mit viel Wasserstoff und Helium sollte sich Schwefeldioxid gar nicht bilden.

Genau nach solchen widersprüchlichen Signalen sucht die Forschung. Kann die Existenz einer Chemikalie in der Atmosphäre nicht durch normale physikalische Prozesse erklärt werden, müssen andere Erklärungen in Betracht gezogen werden, etwa die Existenz von Leben. Fallen alle andern Erklärungen weg, muss die übriggebliebene, wie unwahrscheinlich sie auch wirken mag, die Wahrheit sein, um es in den Worten von Sherlock Holmes zu sagen.

Die Erde ist ein solcher Fall: Die großen Mengen von molekularem Sauerstoff, etwa 21 Prozent, sind durch planetare Prozesse nicht erklärbar. Sauerstoff ist hoch reaktiv und würde schnell durch Oxidation aus der Atmosphäre gebunden.

Ein mehrstufiger Prozess wandelt in dem Exoplaneten Wasp-39b Schwefelwasserstoff zu Schwefeldioxid um.
Foto: NASA/JPL-Caltech/Robert Hurt; Center for Astrophysics-Harvard & Smithsonian/Melissa Weiss

Wasp-39 b ist allerdings kein typischer Kandidat für außerirdisches Leben. Es handelt sich um einen Gasriesen mit Ähnlichkeiten zu Saturn, der äußerst nah an seinem Stern vorbeizieht, und zwar näher als Merkur an unserer Sonne. Das geht mit hohen Temperaturen von mehreren hundert Grad einher. Wasp-39b ist also weit außerhalb der sogenannten habitablen Zone, in der mit flüssigem Wasser zu rechnen ist, das als Voraussetzung für Leben in der uns bekannten Form gilt.

Erklärung gefunden

Tatsächlich konnten Forschende vom Institut für Weltraumforschung eine andere Erklärung finden, die sie nun zur Publikation einreichten und als Preprint veröffentlichten. Demnach könnte Wasser eine Rolle bei der Bildung des Schwefeldioxids gespielt haben, das unter Einfluss des Sternenlichts Schwefelwasserstoff in Schwefeldioxid verwandelte. Für diese Analyse bedurfte es detaillierter Atmosphärenmodelle, die zum Teil von Patricio Cubillos und Ludmila Carone vom IWF beigesteuert wurden.

Die Entdeckung von Leben auf einem fremden Planeten wurde also vorerst abgesagt. Sie übt als mögliche Jahrhundertentdeckung auf die breite Öffentlichkeit eine besondere Faszination aus, doch für die Forschenden ist dieser unsichere Hauptgewinn beileibe nicht das einzige Ziel. Nachdem der Prozess um die Entstehung des Schwefeldioxids geklärt ist, interessieren sie sich besonders für den Ursprung der Ausgangssubstanz, des Schwefelwasserstoffs.

"Wir haben es hier mit Zeitzeugen aus der fernen Vergangenheit zu tun, welche es jetzt weiter zu untersuchen gilt. Das IWF wird auf jeden Fall auch bei dieser Reise in die Vergangenheit entscheidend mitwirken", betont die IWF-Direktorin.

Angesichts der Demonstration der Fähigkeiten von Webb, Einblicke in komplexe chemische Vorgänge in den Atmosphären fremder Planeten zu liefern, darf man jedenfalls auf die nächsten Ergebnisse Webbs zu Exoplaneten gespannt sein. Spätestens wenn, wie im Fall der Entdeckung von Gravitationswellen oder des ersten Bildes eines Schwarzen Lochs, die Präsentation "neuer, aktueller Entwicklungen" im Forschungsgebiet angekündigt wird, lohnt es sich, die Uhrzeit für die Präsentation in den Kalender einzutragen und ausreichende Mengen an Popcorn einzukaufen. Es könnte sich um die größte Entdeckung der Menschheit handeln. (Reinhard Kleindl, 26.11.2022)