Virtuose Körperlichkeit wieder gefragt: "Waiting for the Sea Eagle" der schottischen Tänzerin Iona Kewney im Wuk.

Foto: Lieven Dirckx

Neue Wendezeit in den Geisteswissenschaften! Deren "Turns" werden von der breiteren Öffentlichkeit zwar kaum wahrgenommen, aber sie wirken im Hintergrund als kulturelle Richtungsgeber. Zu den effektivsten bisher zählten der Linguistic Turn oder die performative Wende. Jetzt beginnt sich wegen der Klimakrise mit den Environmental Humanities ein "Plant Turn" zu etablieren.

Das Tanzquartier Wien trägt dieser Wende Rechnung und hat die renommierte Kulturtheoretikerin Felicia McCarren zu einem Vortrag (25. 11.) eingeladen. McCarrens Überlegungen zu Planting Dance sind mit der Uraufführung des Tanzstücks Hedera helix der in Detroit geborenen Wiener Choreografin Elizabeth Ward verknüpft. Hedera helix ist die wissenschaftliche Bezeichnung für Efeu.

In ihrem Stück tritt Ward selbst auf, zusammen mit drei prägenden Figuren der lokalen Szene: Mzamo Nondlwana, Alix Eynaudi und Samuel Feldhandler. Getanzt wird ebenso mit Bezug auf die TV-Serie Fame wie auf historische groteske Wiener Ballette. McCarren will Hedera helix nicht erklären, aber sie liefert Zusammenhänge, in denen sich Wards sehr tänzerische Choreografie positioniert. Zu hoffen ist, dass aus dem Umweltthema nicht wieder ein Megatrend im Tanz wird, der die Vielfalt dieser Kunstform abtötet. Daher sollten auch Entwicklungen beleuchtet werden, die aus der Kunst selbst kommen.

Zirkus tanzt

Im Wiener Wuk bietet sich dafür jetzt das Festival On the Edge an. Es zeigt, wie gerade im experimentellen Zirkus getanzt wird, einer Weiterentwicklung des in den 1970ern entstandenen Cirque nouveau. Als dessen bekannteste Formation gilt der Cirque du Soleil, doch mittlerweile touren zahlreiche Kompanien wie etwa die Groupe Acrobatique de Tanger, die gerade im Festspielhaus St. Pölten gastiert hat.

Seit den Nullerjahren bildet sich eine neue Generation von Artisten und Artistinnen auch als Reaktion auf den Performance-Trend im Tanz. Die jungen Tanzenden – dazu gehörte auch der Choreografie-Star Florentina Holzinger – wollten auf virtuose Körperlichkeit nicht verzichten. Bei On the Edge war bereits unter anderem das Stück ||||| der jungen österreichischen Tänzerin Sandra Hanschitz zu sehen, die mit einem schweren Metallreifen und einem gewitzten Musiker ein kleines Meisterwerk ablieferte. Dieses Wochenende bringt etwa Waiting für the Sea Eagle der ehemaligen Vandekeybus-Tänzerin Iona Kewney. (Helmut Ploebst, 25.11.2022)