Es gibt nicht viele Gelegenheiten, bei denen die Amis selbst zugeben, dass sie Underdogs wären. Aber im Fußball nach der Association-Art sind sie es zweifellos. Schon wie sie das Ding benennen: Soccer! Als gäbe es neben dem Fußballspiel noch irgendwas anderes ähnlich Wichtiges!

Aber ganz so, wie wir Europäer und die europäischen Amerikaner – die aus dem lateinischen Süden – das sehen, ist es natürlich auch nicht. Dieses riesige, stets für eine Überraschung gut seiende Land zwischen Kalifornien und New York Island, zwischen den Mammutbaumwäldern und den Wassern des Golfstroms, hat schon auch eine schöne Soccer-Tradition.

Zehnmal hat ein Team der Vereinigten Staaten schon teilnehmen können an einer WM-Endrunde. Gleich beim ersten Mal – 1930 in Uruguay war das – stießen die Yankees bis ins Halbfinale vor, wo sie mit 1:6 Argentinien unterlagen; diesem armen Argentinien, wie man aus heutiger Sicht ruhig hinzufügen darf. 2002, in Südkorea/Japan, war auch erst mit Viertelfinale Schluss. 0:1 gegen Deutschland; diesem armen Deutschland, wie man aus heutiger Sicht reinen Gewissens hinzufügen muss.

Aktuell, in Katar, sind die Yankees auf einem auch nicht schlechten Weg. Sie spielten 1:1 gegen die zweiten Briten der Gruppe, Wales. Nun wartet mit England klarerweise ein anderes Kaliber.

US-Fans vor der Partie gegen Wales.
Foto: IMAGO/Agencia MexSport//Cristian de Marchena

Alte Geschichten

Doch die Amis wären keine Amis, würden sie sich diesbezüglich nicht die schönen alten Geschichten vom "overwhelming underdog" erzählen: wie sie damals, 1950 war das, und 1993 die Engländer betoniert haben. 1:0 und 2:1. Insgesamt sind die beiden, die so viel verbindet abseits des schönen Spiels, elfmal aufeinandergetroffen. Zu den zwei grandiosen Siegen gesellte sich 2010 bei der WM in Südafrika noch ein deutliches 1:1.

Die schönste dieser Geschichten – Soccerwestern, gewissermaßen – spielt in Brasilien 1950. Von einem gewissen Joe Gaetjens handelt sie. Der Urenkel eines nach Haiti ausgewanderten Bremers namens Thomas Gätjens schoss das 1:0 gegen England. Die doch einigermaßen überheblichen englischen Profis, die ihren Star Stanley Matthews geschont hatten, schlichen geknickt aus dem Maracanã. Im Gegensatz zu Gaetjens. Der wurde gefeiert.

England nahm in Brasilien erstmals an einer WM teil, zuvor hatten die Engländer das nicht für nötig befunden. Sie hatten das Spiel schließlich erfunden, waren quasi qua Geburt die Weltbesten. Mit Matthews, dem späteren Weltmeister-Coach Alf Ramsey, Billy Wright und Tom Finney hatte Trainer Walter Winterbottom auch einige der damals wirklich Weltbesten im Team.

Die englische Überheblichkeit ist längst einer echten Bemühung gewichen. Trainer Gareth Southgate hat schon vor vier Jahren ein sehr kompatibles Team komponiert. Und er wird wohl auch darauf schauen, dass der Auftakt seine rechte Einordnung erhält. Das 6:2 gegen einen Iran, der – darin den deutschen Zeichensetzern gleich – ganz andere Dinge im Kopf hatte, sollte doch nicht allzu überbewertet werden.

Joe Gaetjens wurde 1950 nach seinem Siegtor gegen England von den US-Fans gefeiert.
Foto: AP Photo

Kane kann

Nicht genug überbewerten können Southgate und sein Team allerdings die Fisimatenten um Harry Kane, der sich zu einem echten Spielführer entwickelt hat, einem Einfädler, der die Seinen mit präzisen, oft tödlichen Pässen zu versorgen weiß. Im Spiel gegen den Iran hat er sich eine Knöchelblessur zugezogen. Gerüchte, er müsse pausieren, machten die Runde. Coach Southgate beruhigt: "Harry geht es gut. Er hat etwas getrennt von der Gruppe gearbeitet, aber alles gut für Freitagabend." Eine Untersuchung am Mittwoch habe sichergestellt, dass alles in Ordnung ist.

Um aber auch das traurige Ende der schönen Geschichte von Joe Gaetjens zu erzählen: Er kehrte nach Haiti zurück. Nach der Machtübernahme von "Papa Doc" François Duvalier 1957 wurde es für den Geschäftsmann eng. Er kam den Machthabern in die Quere. 1964 wurde er in das berühmt und berüchtigt gewordene Gefängnis Fort Dimanche verschleppt. Und dort vermutlich bald darauf hingerichtet als eines von 30.000 Opfern des Terrorregimes von Papa Doc, der in der Welt-Blutgeschichte einen Platz gefunden hat. Nicht weit von ihm auch sein Sohn, der Baby Doc. (Wolfgang Weisgram, 24.11.2022)

Gruppe B – 2. Runde:

England – USA (Al Khor, Al Bayt Stadium, 20.00 Uhr/live ORF 1, SR Jorge Urrego Martinez/VEN)

England: 1 Pickford – 12 Trippier, 5 Stones, 6 Maguire, 3 Shaw – 4 Rice, 22 Bellingham – 17 Saka, 19 Mount, 10 Sterling – 9 Kane

Ersatz: 13 Pope, 23 Ramsdale, 2 Walker, 15 Dier, 16 Coady, 18 Alexander-Arnold, 21 White, 8 Henderson, 14 Phillips, 20 Foden, 26 Gallagher, 7 Grealish, 11 Rashford, 24 Wilson

Fraglich: 25 Maddison (Knie)

USA: 1 Turner – 2 Dest, 3 Zimmermann, 13 Ream, 5 Robinson – 8 McKennie, 4 Adams, 6 Musah – 7 Reyna, 9 Ferreira, 10 Pulisic

Ersatz: 12 Horvath, 25 Johnson – 15 Long, 18 Moore, 20 Carter-Vickers, 22 Yedlin, 26 Scally, 11 Aaronson, 14 De la Torre, 17 Roldan, 23 Acosta, 16 Morris, 19 Wright, 21 Weah, 24 Sargent